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"Das Rallyefahren ist schon eine geile Geschichte!"

Es sollte einfach nicht sein.

Die erste Rallye Dakar endete für Matthias Walkner nicht in Buenos Aires, sondern auf einem Verbindungsteil der neunten Etappe.

Dennoch: Der ehemalige Motocross-Weltmeister aus Kuchl war eine der Überraschungen der diesjährigen Auflage. Vom Start weg mit Top-10-Zeiten und schon am dritten Teilstück gar mit einem Etappensieg aufzeigend, war die erst zweite Rallye in der Karriere des 28-Jährigen schon mehr als eine Talentprobe.

Und die Dakar-Premiere hatte für den KTM-Werksfahrer fast alle Höhen und Tiefen zu bieten: Das Zuschauerinteresse, die Kollegialität, pure Glücksgefühle – aber ebenso technische Defekte, Blindflüge im Sands und körperliche Grenzgänge.

Bei LAOLA1 schließt Matthias Walkner mit seinem Erstauftritt beim größten Abenteuer auf zwei Rädern ab.

 

MATTHIAS WALKNER ÜBER…

 

...DIE „DAKAR“ IN EINEM SATZ

Das längste, härteste und einprägendste Erlebnis, das ich bisher gemacht habe.

 

...SCHÖNE MOMENTE

Gleich einer der ersten Eindrücke, wenn man auf die Startrampe fährt: Ich habe noch nie so viele Menschen auf einem Haufen gesehen. Es schauen wirklich so viele Leute zu, die zudem mit Begeisterung bei der Sache sind. Als ich meine technischen Probleme hatte und erst als 90. ins Ziel gekommen bin, bekam ich trotzdem das gleiche Gefühl, als wäre ich als Erster gestartet. Es wird jeder als Hero und als Star gefeiert. Besonders hervorheben möchte ich den fünften Tag: Da hat meine Navigation gut funktioniert und ich bin richtig geil gefahren, das war für mich ein extremes Glücksgefühl. Ich habe richtig in den Flow reingefunden und mir unter dem Fahren erstmals gedacht: „Das Rallyefahren ist schon eine geile Geschichte!“ Ich habe mich zwischendurch gefreut, noch fünfzig Kilometer ins Ziel zu haben, und sogar die Landschaft richtig genießen können. Am Schluss war ich fertig, aber es hat richtig Spaß gemacht, sich abzuplagen.

 

...WENIGER SCHÖNE MOMENTE

Auf der sechsten Etappe, als eine Schraube am Rahmenheck abriss, war meine Dakar-Rallye fast hinüber. Ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt ins Ziel komme, hatte nichts mehr zu trinken und war bei 40 Grad irgendwo draußen in der Wüste. Aus körperlicher und technischer Sicht bin ich an meine Grenzen gestoßen. Bis zu dem Punkt war es zwar ebenfalls mühsam, aber bewältigbar. Doch auch daraus habe ich lernen können: Zum Beispiel, wo mein Boardwerkzeug ist und wie ich mich in so einem Fall verhalten muss. Auch die unberechenbaren Momente sind schlimm. Wenn man auf den Vordermann aufschließt, fährt man lange im Staub – fast in eine richtige Wand hinein. Da sieht man dann keine zwei Meter weit, weiß nie, was als nächstes kommt. Ein ungutes Gefühl.

 

…DIE ZWEI GESICHTER DER DAKAR

Wenn man vorne startet, ist sie unspektakulär. Man tappt etwas im Dunkeln, weiß nie, ob man richtig fährt, ob man vom Tempo her vorne dabei ist. Dazu ist man ständig nervös, weil man nicht will, dass der Hintermann aufschließt. Es ist also ein gewisser Druck vorhanden. Wenn man hingegen von hinten startet, kann man befreit fahren, hat Spuren, an denen man sich orientieren kann, und erlebt auch mehr. Als ich am sechsten Tag die Probleme hatte, habe ich jemandem geholfen, der sich die Hand gebrochen hat, und einen anderen Kollegen beim Ausgraben des Motorrads unterstützt. Dann ist mir einen Kilometer vor dem Tankstopp der Sprit ausgegangen. Nach 500 Metern des Schiebens habe ich aufgegeben, aber mich hat jemand abgeschleppt. Der Zusammenhalt unter den Amateuren ist beeindruckend, wenn nicht der Konkurrenzkampf, sondern das „Adventure“ im Vordergrund steht. Da habe ich viel gelernt und mitnehmen können. Dafür kommt man sich auf der Strecke mehr in die Quere. Besonders Quads sind für mich eine Katastrophe, denn die Wirbeln mehr Staub als ein Auto auf. Und wenn dich ein LKW überholt, weißt du: Der Tag war eher nix.

 

... SEINEN SIEG AUF DER DRITTEN ETAPPE

Es war unreal! Ich weiß selber nicht, wie das gegangen ist. Es war eine technische Etappe, wo wir hauptsächlich in einem ausgetrockneten Flussbett gefahren sind. Das ist mir als Motocrosser sicher entgegengekommen. Als mir schon alle gratuliert haben, dachte ich mir noch: „Das gibt es nicht!“ Auf dem Verbindungsstück habe ich dann zu singen und zu schreien begonnen, denn da realisiert man erst, was man geschafft hat. Sobald man ins Biwak kommt, tut sich extrem viel. Die Menschen gratulieren und das ganze Team freut sich mit einem, auch den medialen Rummel habe ich so noch nie erlebt: Ich musste gute zehn Interviews und Autogramme geben.

...GRÜNDE FÜR SEINEN AUSFALL

Am Ruhetag habe ich mich eigentlich gefreut, dass es statt den Nudeln endlich einmal etwas anderes zu essen gibt – Paella. Doch irgendwie hat es mir der Fisch nicht so angetan, ich habe extreme Magenkrämpfe und Durchfall bekommen, mich sogar übergeben müssen. Dazu gibt es eine Geschichte: Ich bin um zwei Uhr morgens aufgestanden, mein Wohnmobilkollege Jakub Przygonski fragte verwundert, was los sei. Meine Antwort: „Ich brauche eben ein bisschen länger zum Anziehen“. Da war schon klar, dass mit mir etwas nicht stimmt. Auf der Verbindungsetappe habe ich dann Schüttelfrost und Ruhepuls 100 bekommen.

 

...SEINE GEDANKEN UNMITTELBAR VOR UND NACH DEM AUSFALL

Es gehen einem alle möglichen Dinge durch den Kopf. 50-jährige Amateure kommen durch, aber du als Profi schaffst das nicht? Doch die 370 Kilometer, die ich zu diesem Zeitpunkt absolviert hatte, haben sich wie zehn Stunden angefühlt. Es war so unangenehm und frustrierend, es ist eine Welt zusammengebrochen. Am nächsten Tag ist es mir relativ gut damit gegangen, da ich körperlich immer noch angeschlagen war und mir keine Vorwürfe machen konnte, es nicht durchgezogen zu haben. Als bei der Zieleinfahrt in Buenos Aires alle aufs Podium gefahren sind und geehrt wurden, war es noch einmal richtig beschissen für mich. Dadurch habe ich aber nach wie vor ein Ziel für das nächste Jahr.

 

...DIE ENTBEHRUNGEN WÄHREND DER „DAKAR“ UND SEINE BEZIEHUNG ZUM RALLYESPORT

Man vermisst die normale Umgebung und normales Essen. Besonders für jemanden wie mich, der besonders gern isst, ist es schlimm, nicht das zu bekommen, was man will. Ich ernähre mich bewusst und weiß, was mein Körper braucht, das habe ich nicht gefunden. Nächstes Jahr gehe ich das anders an. Auch schlafen war fast nicht möglich. Selbst mit Klimaanlage hatte es mindestens 27 Grad im Wohnmobil. Aus der Hassliebe ist trotzdem schon eine richtige Liebe geworden. Die schönen Momente überwiegen. Ich habe Lunte gerochen und Spaß dran gefunden, kann es zwischendurch richtig genießen: Im Gegensatz zu einem Marathonläufer freue ich mich in solchen Augenblicken gar nicht auf das Ziel. Daher weiß ich, dass ich das auch in Zukunft machen will, und freue mich auf die kommenden Herausforderungen.

 

...WAS NOCH AUF DIE SPITZENFAHRER FEHLT

Ich muss noch an mir und besonders an meiner Navigation arbeiten. Wenn man vorne startet und keine Spuren hat, nimmt man eine Straße manchmal nicht als Straße wahr. Es ist nur ein kaum erkennbarer Weg. Wenn man hinter Marc Coma fährt, bekommt man seinen „Riecher“ schon mit. Er fährt, als wäre es seine Trainingsstrecke. Außerdem werde ich mir über mein persönliches Training Gedanken und noch längere Einheiten machen.

 

...DIE ZUKUNFT

Jetzt gehe ich einmal zum Motocrossfahren nach Italien, denn es ist nicht nur, was mir Spaß macht und meine Grundlage darstellt, sondern überhaupt das ABC für jeden Motorradsportler. Dann startet schon die Vorbereitung auf die nächste „Dakar“. Dafür werde ich einige Rallye-WM-Läufe bestreiten. Aber der genaue Fahrplan wird erst in den nächsten Wochen festgelegt. Irgendwann muss das Ziel die „Dakar“-Trophäe sein. Doch für das nächste Jahr habe ich mir einmal die Top-5 vorgenommen. Dafür muss alles passen, aber ich weiß jetzt, was mich erwartet, was ich verbessern muss und dass ich das Tempo habe.

 

Johannes Bauer