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Pirelli in der Formel 1: Zwischen Show und Farce

Pirelli in der Formel 1: Zwischen Show und Farce

Der Zirkus. Ein Ort des Staunens und der Begeisterung. Nicht umsonst wird auch die Formel 1 als solcher bezeichnet.

Was hinter den Kulissen passiert, bleibt aber oft im Verborgenen. So auch wenn zum Beispiel der Direktor das Seil des Akrobaten nach und nach verschmälert, um für noch mehr Spannung zu sorgen.

So oder so ähnlich lässt sich die Situation rund um die Reifen in der Königsklasse beschreiben. Die Zirkusdirektoren rund um Bernie Ecclestone und die Formula One Teams Association (FOTA) schicken 2011 Pirelli mit riskanten Anforderungen in die Manege, sodass der Hersteller daraufhin das ein oder andere Mal ins Taumeln kommt.

Nach mehr als zwei Jahren im Geschäft sind die Italiener schließlich einem Absturz gefährlich nahe gekommen. Wir blicken zurück.

Das Ziel Monopolist

Alles beginnt im Mai 2010. Michelin, 2006 noch freiwillig ausgestiegen, erwägt eine Rückkehr in die Formel 1. Jedoch nur, wenn mehrere Anbieter zugelassen werden. Zur gleichen Zeit bekundet auch Pirelli Interesse, allerdings mit anderen Voraussetzungen. „Uns wäre es lieber als Monopolist einzusteigen“, sagt Motorsportchef-Paul Hembery.

Mit Avon und Kumho sollen weitere Hersteller im Rennen sein. Auch Bridgestone denkt kurz darüber nach, einen Rückzieher vom Rückzieher zu machen. Im Juni kristallisiert sich heraus, dass der Zuschlag an die Italiener geht.

Mit Nick Heidfeld holt man einen prominenten Testfahrer an Bord, der am Steuer eines Toyotas im August die ersten Testkilometer absolviert. „Haltbare Hochleistungsreifen zu produzieren ist kein Problem. Die Herausforderung besteht darin, den richtigen Kompromiss zwischen Haltbarkeit und der Show zu finden“, hält Hembery schon damals fest.

Ross Brawn war Vorsitzender der FOTA-Gruppe Reifen

Neue Spannung gefordert

Und der Ruf nach Show ist laut genug. In der Saison 2010 war ein Boxenstopp die Regel. 2011 sollen es, laut Pirelli-Plan, mindestens doppelt so viele sein, die Haltbarkeit soll also deutlich unter den Gummis von Bridgestone liegen.

Gesagt, getan. Es dauert nicht lange, bis Teams erste Bedenken anmelden und Pirelli nachbessern muss. Vor dem ersten Renneinsatz in Australien erklärt Hembery, wie es die aktuelle Reifenmischung zustande gekommen ist. „Ross Brawn war der Vorsitzende der FOTA-Arbeitsgruppe Reifen. Ich habe ihn gefragt, was er haben will. Er antwortete: 'Kanada, aber ohne Graining.' (Das Rennen war besonders von der Boxenstrategie geprägt, Anm.) Ich war damit einverstanden. Ross fragte mich noch, wie wir das erreichen wollen. Es ist sehr komplex, aber wir hatten einige Ideen. Wir haben mit allen Teams und Bernie Ecclestone gesprochen und sie nach ihren Wünschen gefragt.“

Am Ende der Diskussionen hat immer der Unterhaltungsfaktor den größten Wert. „Unter dem Strich ist die Formel 1, die viele Leute reich gemacht hat, ein Unterhaltungssport. Je größer die Unterhaltung ist, desto mehr Sponsoren werden an Bord kommen und alle werden länger ihren Job behalten. Die Fahrer werden auch besser bezahlt“, fasst Hembery zusammen.

Großes Lob für Pirelli 2011

2011 gelingt der Drahtseilakt. Nach anfänglicher Kritik vonseiten der Fahrer reagiert Pirelli entsprechend und zieht eine positive Bilanz. Einzig herumfliegende Gummipartikel sorgen für Unmut. Gegen Ende der Saison wird den Italienern vereinzelt sogar vorgeworfen, zu konservativ vorgegangen zu sein.

„Wenn ich ein Podest machen müsste, dann würden Vettel, Red Bull und Pirelli draufstehen“, adelt etwa Teamchef Peter Sauber die Pneufabrikanten. „Um ehrlich zu sein, hat uns das selbst überrascht“, reagiert Hembery verdutzt ob der vielen positiven Reaktionen.

Dementsprechend euphorisch lautet die Planung von Pirelli. „Die Formel 1 ist ein integraler Bestandteil unserer Strategie. Wir sind eine Premium-Marke und wir wollen in der Welt als Nummer eins gesehen werden. Die Formel 1 ist Nummer eins im Motorsport. Es geht also Hand in Hand mit unseren Ambitionen.“

Die Statistik gibt Pirelli Recht. Mit 1.150 Überholmanövern gab es 2011 mehr als in den drei Saisonen davor.

Kritik 2012 wird lauter

Für 2012 ist der Plan, die Zeitunterschiede zwischen den verschiedenen Reifentypen auf unter eine Sekunde zu reduzieren. „Wir wollen das Spektakel noch verbessern“, kündigt Hembery an. „Nach fast 50.000 Testkilometern sind wir sicher, dass die Teams inzwischen gut mit den Eigenschaften der Reifen zurecht kommen“, glaubt er.

Ganz so einfach läuft es dann nicht. Jenson Button erhebt im April erste Vorwürfe. "Wenn sich die Reifen nicht im richtigen Betriebsfenster bewegen, hast du schnell ein stehendes Vorderrad, womit du die Reifen ruinierst.“

Noch deutlicher wird Michael Schumacher. „Teilweise fahren wir mit 60 oder 70 Prozent durch die Kurven. Sobald du ein bisschen schneller fährst, fliegen die Reifen von der Felge. Was mir nicht gefällt ist, dass du unter deinem und dem Limit des Autos fahren musst, um die Reifen am Leben zu erhalten“, so der siebenfache Weltmeister.

Hembery lässt sich davon aber nicht aus der Ruhe bringen. „Ich kann Michaels Frust verstehen. Wir haben vier verschiedene Sieger gesehen und einer davon war sein Teamkollege, zwei davon Deutsche“, lässt er die Kritik spöttisch abprallen.

Bis an die Grenze des Vertrebaren

Unter dem Strich verläuft auch diese Saison aus Reifen-Sicht nicht weiter dramatisch. Je länger die Saison dauert, umso besser bekommen die Fahrer die Gummis in den Griff. Manch Experte sieht in der Reifen-Kritik gar nur eine billige Ausrede der Piloten.

Grund genug, im Jahr darauf die Möglichkeiten weiter auszureizen. „Für 2013 wollen wir einmal mehr die Struktur und die Performance unserer Reifen überarbeiten, aber auch extremere Mischungen bringen“, lautet die Vorgabe von Pirelli-Entwicklungschef Maurizio Boiocchi.

Und wie sich herausstellen soll, nähert man sich der Grenze des Vertretbaren. Wie in den Jahren zuvor ist die Kritik zu Saisonbeginn laut. Hembery winkt ab. „Sollen wir die Rennen etwa langweiliger machen?“, fragt er nach dem Auftakt in Melbourne.

Nicht langweiliger, aber langsamer als in der GP2 findet Jenson Button die Reifen in China. „Früher hat es mehr Spaß gemacht“, findet Lewis Hamilton. Pirelli ist gezwungen zu reagieren und will neue Reifen in Barcelona einführen. Ohne Erfolg. Neun Teams sind dagegen.

Teams verhindern Reifenänderung

Am Circuit de Catalunya fährt Fernando Alonso mit vier Stopps zum Sieg. Dazu lösen sich bei zwei Fahrzeugen die Laufflächen der Hinterreifen ab.

Vor dem Rennstart in Monaco gesellt sich dann auch noch der umstrittene Test mit Mercedes zur ohnehin nicht verstummen wollenden Kritik an Pirelli. Auch ein zweiter Anlauf, veränderte Reifen einzusetzen, scheitert. „Aus Gründen der sportlichen Gleichbehandlung“, heißt es dazu offiziell vor dem Grand Prix in Montreal.

Die Befürworter der bisher verwendeten Reifen, Force India, Ferrari und Lotus setzen sich damit gegen die Kritiker von Red Bull Racing und Mercedes durch.

Die Folgen werden erst in Silverstone ersichtlich. Vier Reifenplatzer am vergangenen Sonntag und umherfliegende Gummistücke bringen das Fass zum Überlaufen.

Silverstone und die Notbremse

Der Reifendruck, der Radstand, die falsch montierten Reifen, die Kerbs oder die Strecke – es mögen mehrere Faktoren gewesen sein, die ein derartiges Desaster in Großbritannien ermöglicht haben. Vor dem Rennen in Deutschland bleibt der FIA nichts anderes mehr übrig, als Pirelli sofortige Änderungen zu erlauben.

So kommen die in Kanada am Freitag getesteten Hinterreifen ab sofort zum Einsatz. In diesen ist statt eines Stahlbands eine Kohlefaser-Struktur verarbeitet. In den ersten Trainings machten diese Pneus keine Probleme.

In Budapest sollen dann komplett neue Reifen geliefert werden, die zuvor bei Testfahrten in Silverstone ausprobiert werden können.

Somit zieht man gerade noch rechtzeitig die Notbremse bevor die Show zu einer lebensgefährlichen Farce verkommt.

 

Andreas Terler