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"Zwischen 18 und 21 strampelt man sich frei"

Werner Gregoritsch geht in seine zweite komplette EM-Qualifikation als U21-Teamchef.

Am Freitag, um 16 Uhr, starten Louis Schaub, Valentino Lazaro und Co. in Baku gegen Aserbaidschan. Am Dienstag (17:30 Uhr, St. Pölten) folgt das Heimspiel gegen Russland. Die weiteren Gegner: Deutschland, Finnland und die Färöer.

Im LAOLA1-Interview erklärt der 57-Jährige, dass es wichtigere Dinge gibt, als eine erfolgreiche EM-Quali, wie er junge Menschen im „schwierigsten Alter“ führt und wie seine Spieler mitbestimmen können.

LAOLA1: Was waren Ihre ersten Gedanken nach der Auslosung?

Werner Gregoritsch: Ich glaube, es ist die schwierigste Gruppe, die eine U21 je hatte. Es mag zwar paradox klingen, aber Deutschland war immer mein Wunschgegner. Wir haben viele Spieler im Kader, die in Deutschland spielen, was einen gewissen Reiz darstellt. Russland ist eine Nation, die im Nachwuchsbereich ständig unter den Top Ten war und enormes Potenzial hat. Finnland war immer auf Augenhöhe mit uns und ist sehr schwer zu spielen. Aserbaidschan holt im Nachwuchs enorm auf. Das ist genauso unangenehm wie die Färöer. Mit denen hatte ich ja schon ein Erlebnis.

LAOLA1: Nämlich?

Gregoritsch: 2001 war ich GAK-Trainer. Wir haben auswärts den legendären 4:0-Sieg gegen Rapid gefeiert, wo es den Platzsturm der Rapid-Fans gab. Im UEFA-Cup haben wir gegen HB Torshavn gespielt, ich habe geglaubt, ich muss meine Spieler schonen, habe sechs, sieben Leute daheim gelassen und geglaubt, das wird einfach ablaufen. Nach 58 Minuten waren wir 0:2 hinten und haben dann noch 2:2 gespielt. Ein listiger Journalist hat geschrieben, ich sei der „Hickersberger von Graz“ – ein schöner Einstand als Vereinstrainer (lacht). Das zeigt: Es gibt kein Land, wo man hinfährt und die Punkte einfach abholt – es braucht immer Konzentration und einen Plan.

LAOLA1: Ist eine erfolgreiche Quali Muss, Soll oder Wunsch?

Gregoritsch: Muss ist in der U21 gar nichts. Der Quali-Modus ist der schwierigste überhaupt – als Gruppen-Erster ist man fix dabei, als Zweiter muss man unter den fünf besten Zweiten sein, um überhaupt Playoff spielen zu können. Aber wir haben das Potenzial, zu dieser EM zu fahren. Wenngleich es von der Leistung her ein Wahnsinn wäre. Es müsste alles passen.

LAOLA1: Was sind die Lehren aus der letzten Quali?

Gregoritsch: Es war – abgesehen von 2008, als Manfred Zsak im Playoff an Finnland gescheitert ist – die erfolgreichste Quali einer U21. Die Lehren sind, dass wir gegen jede Mannschaft in Europa bestehen können, wenn die Kaderzusammensetzung optimal ist.  Wir können fußballerisch mit jedem mithalten und haben taktisch aufgeholt. Die Spielphilosophie ist vom A-Team bis in die U-Mannschaften durchgängig. Eine weitere Lehre ist: Wenn man in einem einzigen Spiel nicht das bringt, was man erwartet, kann die ganze Quali dahin sein. Und noch etwas ist wichtig.

LAOLA1: Und zwar?

Gregoritsch: Als österreichisches Nationalteam geht es nur über die absolute Kollektiv-Leistung. Seit ich Teamchef bin, haben wir von 32 Spielen nur vier verloren. Das war nicht nur eine Generation, wir haben kontinuierlich gegen den Top-Nationen bestanden. Und das Schöne ist, dass sieben, acht Spieler in meiner Zeit ins A-Team aufgerückt sind.

Der Kader für den Auftakt in die U21-EM-Quali

LAOLA1: Aber nicht nur die Spieler fragen Sie, sondern auch die Klubs.

Gregoritsch: Das stimmt. Und das ist auch legitim. Dieses Wechselspiel Klub/Spieler/Nationalteam ist sehr positiv – es gibt eine Vertrauensbasis. Auch mit den Trainern der Vereine gibt es eine sehr gute Kommunikationsbasis. Dadurch ist es schon möglich, Spieler auch zu führen. Wenn sich ein Spieler beim Verein eine Verfehlung leistet, führe auch ich ein Gespräch mit ihm und weise ihn darauf hin, dass das eines Nationalspielers nicht würdig ist. Nationalteamspieler zu sein, bedeutet nicht nur das Auftreten auf dem Platz. Es hat, seit ich U21-Teamchef bin, leider zwei Verfehlungen gegeben – die waren in der Nacht, wo man Spieler nicht kontrollieren kann. Aber sonst ist alles hervorragend abgelaufen – ich kann mich nicht erinnern, dass ein Spieler mal unpünktlich war oder dass es Beschwerden von Hotels gegeben hätte. In den Ausbildungsstätten wird sehr viel Wert auf eine systematische, einheitliche Gesamtausbildung gelegt.

LAOLA1: Sie beziehen Ihre Spieler demokratisch in die Trainingssteuerung und Taktik mit ein. Wie läuft das konkret ab?

Gregoritsch: Ich habe einen gewählten Mannschaftsrat, mit dem ich mich zusammensetze. Da geht es zum Beispiel um Standards. Sie sollen sich Gedanken darüber machen, wer und wie die Freistöße und Corner geschossen werden. Dann wird das trainiert und ein Plan gemacht. Das ist eine gesellschaftliche Entwicklung, die im Fußball eine spezielle Seite hat. In meiner Generation war man Befehlsempfänger. Wenn mein Vater gesagt hat: „Iss die Suppe!“, habe ich gesagt: „Jawohl!“ Wenn ich heute einem Spieler sage: „Iss die Suppe!“, sagt er: „Warum? Was ist da drinnen?“ Die jungen Menschen hinterfragen viel mehr und sind viel selbstkritischer. Da kommen Spieler von Real Madrid und Bayern München, wo es extrem professionell zugeht. Als Teamchef muss man das nutzen, davon sollen alle etwas haben. Auch die medizinische Abteilung hinterfragt gewisse Dinge: Was gibt es in der Regeneration Neues? Wie machen die Spieler das bei ihren Klubs? Davon können alle profitieren.

LAOLA1: In Ihrem Kader sind elf von 23 Spielern Legionäre.

Gregoritsch: Wenn ein Spieler im Training seine Leistung bringt, ist mir egal, ob er bei Grödig oder Real Madrid spielt. Ein Verein ist kein Kriterium für einen Einsatz im Nationalteam. Was nicht egal ist, ist wenn ein Spieler die Professionalität und Einstellung seines Vereins auf das Team übertragen kann. Elf Legionäre bedeuten automatisch enorme Selbstständigkeit und Eigenverantwortung. Das erlebe ich als Vater auch mit – mein Sohn ist seit drei Jahren im Ausland, in seinem Leben und Handeln hat sich viel verändert. Ein Legionär ist von seiner Familie getrennt und ist auf sich alleingestellt. Negativ kann sein, dass die Kommunikation zwischen einem ausländischen Klub und dem Nationalteam nicht immer perfekt klappt. Man spürt manchmal, dass Vereine nicht glauben, dass wir im ÖFB schon so professionell geworden sind.

LAOLA1: Sie mussten für diese Quali die Jahrgänge 1995 und 1996 integrieren – beide konnten schon viel Turnier-Erfahrung sammeln. Ist der Kader noch stärker?

Gregoritsch: Das Problem ist, dass ich keinen dieser Spieler in der Vorbereitung zur Verfügung hatte, weil im Frühjahr natürlich alles der U20-WM und der U19-EM untergeordnet war. Aber wir haben ein eingespieltes Team, weil jene Spieler, die bei der letzten Quali tragende Säulen waren, noch dabei sind und einige der jüngeren Jahrgänge im vergangenen Herbst schon teilweise dabei waren. Der 1994er Jahrgang ist sehr gut, hatte aber das Pech, nie bei einer Endrunde dabei zu sein. Die Qualität der Mannschaft ist enorm. Wir haben eine große Dichte, sind überall doppelt besetzt – wenn jemand ausfällt, verliert der Kader nicht an Qualität. Ich lege – wie auch Marcel Koller – sehr viel Wert darauf, eine Mannschaft zusammenwachsen zu lassen. Es hängt nicht davon ab, ob einer im Verein Stammspieler ist. Beispiel Christian Gartner: Nur weil er in Düsseldorf derzeit keine Rolle spielt, heißt das nicht, dass er bei uns kein Schlüsselspieler ist. Das Schwierigste bei der U21 ist aber nicht die Qualifikation.

LAOLA1: Sondern?

Gregoritsch: Die Spieler haben von der Menschenführung her das schwierigste Alter. Zwischen 18 und 21 strampelt man sich von jeglichen Gesetzmäßigkeiten und Personen frei. Man wird sehr selbstbewusst, schätzt sich oft falsch ein.

LAOLA1: Sie als Teamchef sehen die Burschen, wenn überhaupt, nur ein paar Tage im Monat. Können Sie sie in dieser Lebensphase überhaupt führen oder nur begleiten?

Gregoritsch: In den zehntägigen Lehrgängen ist man auf engem Raum zusammen und kann auch im zwischenmenschlichen Bereich sehr viel bewegen. Wir sind da einen guten Weg gegangen – die Spieler kommen gern. Mit mir haben sie eine Ansprechperson – auch wenn es um Vereinswechsel und Karriereplan geht. Mich kontaktieren jedes Jahr sicher an die zehn Spieler, die fragen, ob sie zu diesem oder jenem Verein gehen sollen.

LAOLA1: Das A-Team steht unmittelbar vor dem Lösen des Tickets für die EURO 2016. Der eine oder andere Spieler Ihrer Mannschaft wird sich Hoffnungen machen, dort dabei sein zu können. Welchen Einfluss hat das auf die U21-Quali?

Gregoritsch: Es wird auf die Leistungen der einzelnen Spieler einen positiven Einfluss haben. Valentino Lazaro kriegt bei mir Spielpraxis, um wieder ins A-Team zu kommen. Von meiner Seite soll alles den Anforderungen des A-Teams entsprechen. Mir macht die ÖFB-interne Kommunikation, unter anderem mit Marcel Koller, übrigens sehr viel Spaß. Es ist klar, dass die Spieler nach oben wollen. Aber ich weiß auch, dass sie alles geben, solange sie bei mir sind. Martin Hinteregger hat nach dem 2:0 in Ungarn und dem 3:0 im Test gegen die Niederlande zu mir gesagt: „Trainer, wir fahren zur EM!“ Und ich sage: „Ja, du wirst aber nicht mitfahren. Mit deinen Leistungen wirst du maximal noch zwei Spiele bei mir sein und dann im A-Team spielen.“ Ich kann als U21-Teamchef nicht meine persönliche Leistung sprich den Erfolg der Mannschaft in den Vordergrund stellen. In Wahrheit bin ich der Steigbügelhalter für das A-Team. Das weiß ich. Es macht mir große Freude, wenn Spieler den Sprung ins A-Team schaffen, dann habe nämlich auch ich einen gewissen Teil beigetragen.

LAOLA1: Und langfristig ist das wahrscheinlich viel wertvoller als eine Teilnahme an einer U21-EM, oder?

Gregoritsch: Natürlich will ich diesen Erfolg, ich bin ja ehrgeizig. Aber das Entscheidende im Nationalteam-Bereich ist, dass das A-Team das Bestmögliche erreicht – davon profitieren dann alle. Es wäre ja ein Wahnsinn, wenn es die U21 zur EM schafft und das A-Team nicht. Das wäre, wie wenn im Klub der Amateure-Trainer mit seiner Truppe alles zerlegt und die Kampfmannschaft verliert alles – dann läuft ja etwas falsch.

Das Gespräch führte Harald Prantl