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"Wir haben unglaublichen Respekt untereinander"

Nüchtern betrachtet hat Österreich bei der 5:0-Gala in Liechtenstein drei Punkte geholt – gegen einen Gegner, den man auch schlagen muss, will man das große Ziel der EM-Qualifikation erreichen.

Auch wenn Schützenfeste gegen sogenannte Fußball-Zwerge immer seltener werden, lässt sich die Differenz von fünf Toren schon mit dem Klasseunterschied im Spielermaterial der beiden Nationen begründen.

Trotzdem symbolisieren die 93 Minuten von Vaduz, was dieses ÖFB-Team derzeit so stark macht. Es sind die vielen kleinen, vielleicht auch ganz normalen Dinge. Diese Mannschaft drischt nicht nur Phrasen, sie lebt sie auch.

Gerade in manchen Details beziehungsweise vermeintlichen Selbstverständlichkeiten wie dem ausgeprägten Team-Spirit hat das Nationalteam Fortschritte gemacht, die sich nun in einer konstanten Leistungssteigerung widerspiegeln.

KLIMA: Man kann es nicht oft genug wiederholen. Die vielsagendste Szene dieses Kantersiegs war die Reaktion der kompletten Mannschaft auf den Treffer von Marko Arnautovic, als der endlich seinen Torbann durchbrochen hatte. „An der Freude des ganzen Teams nach Markos Tor merkt man einfach diese mannschaftliche Geschlossenheit. Diese Mannschaft ist wirklich top“, schwärmt Zlatko Junuzovic. So lange ist es noch nicht her, da polarisierte der Stoke-Legionär auch innerhalb des Kaders gewaltig. Ob so manches vom Naturell her anders veranlagte Kadermitglied mit ihm im Privatleben eine Freundschaft pflegen würde, sei dahingestellt, aber unter Teamchef Marcel Koller hat man einen Weg gefunden, ihn gewinnbringend in die Gemeinschaft einzugliedern – abseits und vor allem auf dem Spielfeld. Nicht umsonst lobten diverse Kollegen die spürbar gestiegene Bereitschaft, auch in der Rückwärtsbewegung mitzuarbeiten. Arnautovic dient jedoch nur als ein Beispiel, das vielleicht auffälligste. Das ausgezeichnete Klima bemerkt man auch im Spiel selbst. Martin Harnik schildert dies treffend: „Wir haben einen sensationellen Teamgeist und unglaublichen Respekt untereinander. Das Vertrauen in jeden einzelnen spürt man täglich, das zeigt auch jeder. Wenn jemand einen Fehler macht, wird nicht durchgeschnauft oder abgewunken, sondern ist der Nächste da und holt sich den Ball wieder. Wir sind einfach elf Freunde auf dem Platz und natürlich auch viele Freunde, die auf der Bank sitzen.“

REIFE: Gutes Klima hin oder her, selbiges muss man erst einmal auf den Platz bringen. An dieser Stelle kommen zwei weitere Schlagworte ins Spiel, die man im ÖFB-Lager in Dauerbeschallung hört: Reifeprozess und Fokus. Die oftmalige Wiederholung ändert nichts an ihrer Wichtigkeit. Gerade als gelernter Fußball-Österreicher weiß man, dass Aufgaben wie jene in Liechtenstein zur Falle werden können. Es ist zweifelsohne ein Verdienst von Koller, dass er Ablenkungen durch Nebensächlichkeiten minimiert und das Konzentrations-Level deutlich gesteigert hat. Selbstverständlich betont jeder Favorit im Vorfeld, dass er den Außenseiter nicht unterschätzt. Bisweilen klingt jedoch trotzdem Überheblichkeit durch. Diese Sorge musste man sich beim ÖFB-Team diesmal nicht machen. Auch nach der frühen Führung zog man das Programm eiskalt durch und vermied es, sich zurückzulehnen und schlampig zu werden. „Wir haben bewiesen, dass wir auf jeden Fall reifer und abgebrühter geworden sind in solchen Situationen, in denen wir eigentlich gegen einen richtigen Underdog nur hätten verlieren können“, meint Marc Janko. Laut Harnik ist „jeder Spielern einzeln reifer und auch individuell besser“ geworden.

REALISMUS: Dass die Ausgangsposition in der EM-Qualifikations-Gruppe G eine hervorragende ist, weiß jeder. Frankreich, wir kommen? Noch nicht. Bezüglich der Tabellensituation bleiben die ÖFB-Kicker ihren Sprachregelungen treu und übertreffen sich gegenseitig im Understatement. „Es ist erst die Hälfte des Weges gegangen. Dementsprechend wollen wir nicht zu früh feiern, aber die bisherigen Ergebnisse haben wir uns verdient und erarbeitet“, erklärt Harnik. Junuzovic bemüht gar das Phrasenschwein: „Das Sprichwort ‚von Spiel zu Spiel schauen‘ ist zwar abgenutzt, aber es ist einfach so. Wir haben nichts davon, wenn wir rechnen, wir müssen Punkte holen.“ Der Zehner ist aber immerhin der Meinung: „Wenn wir weiter mit dieser Konzentration auftreten wie in Liechtenstein, werden wir es schaffen. Aber es ist noch ein langer Weg dahin.“ Janko sagt: „Wir wollen uns nicht in Sicherheit wiegen. Wir wissen, dass noch alles möglich ist. Aber mit solchen Spielen wie in Liechtenstein untermauern wir einmal mehr, dass wir in unserer Entwicklung einfach reifer sind. Schauen wir einmal, wo die Reise hingeht.“ Mit dieser Bescheidenheit tendenziell nach Frankreich. Denn bislang fährt die ÖFB-Elf bestens damit, sich Kampfansagen zu verkneifen. Dazu gehört auch der notwendige Schuss Realismus, wenn etwa Harnik hervorstreicht: „Man darf auch nicht vergessen, dass wir im einen oder anderen Spiel ein bisschen Glück hatten. Das wollen wir nicht unter den Teppich kehren. Wir haben in Moldawien am Ende eine Riesen-Chance zugelassen, wo es 2:2 ausgehen kann. Gegen Montenegro haben wir den Sack nicht zugemacht und hätten noch das 1:1 bekommen können. Und dann schaut es schon wieder ganz anders aus.“ Sich im Klima der Euphorie selbst richtig einschätzen zu können, ist auch eine Form der Reife und Qualität – und im konkreten Fall als Tiefstapelei auch eine legitime Taktik.

Peter Altmann/Martin Wechtl

TAKTIK: „Es gab nie Zweifel, wer der Chef am Platz ist. Wir haben sie nicht einmal atmen lassen, nicht eine Sekunde. Die ganze Mannschaft hat super Pressing gespielt“, verdeutlicht Janko. Koller tüftelt bekanntlich akribisch an seiner Strategie für das jeweilige Spiel, seziert in der Vorbereitung jeden Gegner bis ins kleinste Detail. Das ist auch gegen einen Kontrahenten wie Liechtenstein wichtig. Junuzovic: „Wir sind für das belohnt worden, was wir uns vorgenommen haben. Wir haben keine Sekunde nachgelassen. Das Ergebnis ist auch zustande gekommen, weil wir unsere Aufgaben zu 100 Prozent erledigt haben. Ich bin froh über diese Einstellung.“ Dass sich in der Mannschaft erstens variable Spielertypen befinden und man zweitens sehr gut aufeinander eingespielt ist, hilft natürlich. Zudem verfügt man über taktisch gut ausgebildete Kräfte. Als ein Beispiel dient die Arbeitsteilung im zentralen Mittelfeld zwischen David Alaba, der in Vaduz über weite Strecken den „Quarterback“ gab, Verbindungsspieler Baumgartlinger und Junuzovic, der sich zwischen den Linien profilierte. „Wir spielen nicht immer in derselben Formation, aber wir verstehen, wie die Rollen verteilt sind. Dass wir da eine Balance gefunden haben und auch das Rochieren, wenn beispielsweise Zladdi zwischenzeitlich den tiefsten Sechser gibt, hinhaut, ist nicht selbstverständlich, funktioniert aber mittlerweile schon sehr gut“, so Baumgartlinger.

QUALITÄT: Dass die Steigerung der letzten Jahre zu einem großen Teil mit dem enorm verbesserten Spielermaterial zusammenhängt, versteht sich von selbst. Laut Julian Baumgartlinger ist der Matchplan in Vaduz perfekt aufgegangen (siehe Taktik-Analyse): „Dass wir das so umsetzen, liegt auch an unserer Klasse und Qualität, die wir mittlerweile fast jedes Spiel auf den Platz bringen.“ Dies sei jedoch das Resultat harter Arbeit: „Es mag vielleicht nach außen hin so wirken, dass wir es locker herunter gespielt haben, aber so war es nicht. Es war sehr viel Aufwand und Strategie dahinter. Das einfach aussehen zu lassen, ist in meinen Augen mittlerweile der größte Verdienst der Mannschaft.“ Was schon seit geraumer Zeit auffällt und beileibe keine Neuigkeit darstellt: Im ÖFB-Dress bringen auch jene Akteure immer wieder gute Leistungen, die in ihren Vereinen mit Problemen konfrontiert sind. Hier verschränkt sich wohl das Können dieser Spieler mit den Punkten Klima und Reife.