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Willis Woche: Ruttensteiner gibt den Weg vor

Willis Woche: Ruttensteiner gibt den Weg vor

Einen neuen Teamchef durchgesetzt, einen inhaltlich stark veränderten Lehrgang abgehalten, einen für den ÖFB zuletzt ungewohnten Auswärtssieg eingefahren, von diversen Experten abgewatscht.

Willi Ruttensteiner war in der abgelaufenen Woche omnipräsent, sein Terminkalender voll: Faul war dieser Willi sicher nicht (siehe LAOLA1-Video-Tagebuch von „Willis Woche“).

Bei der Beurteilung der Arbeit des hauptamtlichen Sportdirektors als Interims-Teamchef geht es weniger um den klaren 4:1-Sieg in Aserbaidschan.

Das wäre erstens Ergebnis-Fetischismus, zweitens kann niemand beweisen, dass Österreich unter der Anleitung von Didi Constantini nicht 6:0 gewonnen hätte. Oder 0:1 verloren. Alles reine Spekulation.

„Skepsis kann man den Leuten nicht nehmen“

Fakt ist jedoch, dass sich Ruttensteiners Herangehensweise deutlich von jener des Tirolers unterscheidet, sei es bezüglich der Trainingsinhalte oder der Kommunikation seiner Arbeit. Darin sind sich alle Beobachter des Nationalteams weitestgehend einig.

So gut dies manche finden, so groß ist die Skepsis bei anderen – vor allem im Lager der sogenannten „Praktiker“, denen der Oberösterreicher mit seiner streberhaften Art seit jeher ein Dorn im Auge ist. So wurde er auch in der abgelaufenen Woche zur Zielscheibe diverser Experten.

„Diese Skepsis kann man den Leuten durch dieses eine Spiel nicht nehmen, die wird sicherlich bleiben“, glaubt Marc Janko. Laut Meinung des ÖFB-Kapitäns hat Ruttensteiner bisher „einen sehr guten Job“ gemacht:

„Fakt ist, dass er sich sehr gut in die Mannschaft eingebracht hat. Natürlich gibt es immer wieder Leute, die sagen, er macht dies und das falsch, oder die über ihn lachen. Aber ich finde, dass er seine Sache sehr gut macht. Diesen Respekt sollte man ihm auch zollen.“

„Sehr viel Wert auf Taktik“

Was macht Ruttensteiner eigentlich anders? Janko, dessen Verhältnis zu Constantini am Ende nicht mehr ungetrübt war, sträubt sich eigentlich – wohlwissend um die Brisanz – einen Vergleich zu ziehen:

„Jeder Trainer hat seine Vorstellungen, seine eigene Philosophie, wie er trainieren und spielen möchte. Deswegen kann es oft missverstanden werden, wenn man sagt, jetzt ist das und das anders. Willi Ruttensteiner arbeitet anders als ein Constantini, ein Constantini arbeitet anders als ein Co Adriaanse.“

Bezüglich der Herangehensweise Ruttensteiners meint der Twente-Legionär dann aber doch: „Es ist einfach so, dass wir im Moment im Training sehr viel Wert auf Taktik legen, sehr viel Automatismen trainieren, damit diese auch zu greifen beginnen.“

Auch wenn bei weitem nicht alles klappte, konnte man Ruttensteiners Handschrift teilweise schon in Baku beobachten, wie die LAOLA1-Taktik-Analyse verdeutlicht.

„Trainieren auf Stärken und Schwächen der Gegner hin“

Da ein Spiel alleine, noch dazu „nur“ gegen Aserbaidschan, wenig Aussagekraft hat, sind die Unterschiede in der Arbeitsweise im Hinblick auf ein Match wohl die greifbareren.

„Wir haben bei diesem Lehrgang sehr, sehr viele Videoanalysen und Besprechungen gehabt. Wir bereiten uns auf die Spiele extrem gut vor. Wir kennen die Stärken und Schwächen der Gegner, gehen diese immer wieder durch und trainieren darauf hin. Das zeugt von Professionalität und gehört im Profifußball einfach dazu“, schildert Zlatko Junuzovic seine Eindrücke.

Sätze, wie sie in den letzten zweieinhalb Jahren selten bis gar nie zu hören waren. Selbst Constantini Wohlgesinnte berufen sich nicht zuerst auf seine Analyse-Fähigkeiten, wenn sie die Vorzüge des von vielen als „Bauchtrainer“ charakterisierten Ex-Teamchefs hervorheben.

Eine gewisse Detailverliebtheit kann man Ruttensteiner ohnehin nicht absprechen. War im Zuge der Präsentation von Marcel Koller oft die Bezeichnung „akribischer Arbeiter“ zu hören, trifft dies wohl auch auf dessen interimistischen Vorgänger zu.

Wissenschaftlicher Zugang

Dies betrifft nicht nur das verstärkte Augenmerk auf Taktik. Dies gilt zum Beispiel auch für die extrem erhöhte Einbindung wissenschaftlicher Hilfsmittel.

So bat Ruttensteiner manche Spieler zu Vier-Augen-Gesprächen, um ihnen mit Hilfe des Analyse-Systems "Amisco Pro" ihre Fehler im Türkei-Spiel vor Augen zu führen, beziehungsweise Verbesserungsvorschläge mit auf den Weg zu geben. So mancher Kicker, der nicht vorgeladen wurde, hat freiwillig um dieses Feedback gebeten.

Die Bereitschaft zur Kommunikation ist das eine, der gezielte Einsatz der Medien das andere. Es blieb nicht ungehört, dass er sich nach dem Hartberg-Test öffentlich über die Defensivarbeit der einen oder anderen Offensivkraft ausließ.

Theoretiker mit Leidenschaft

Denn nur mit den Mitteln eines „Theoretiker“ ist es nicht getan, auch Ruttensteiner bedient sich natürlich der Motivation als Hilfsmittel – gerade vor vermeintlich unbedeutenden Partien.

„Er hat einfach mit Leidenschaft agiert“, berichtet Ivanschitz, „für ihn ist es nicht einfach: Er weiß, er macht nur diese zwei Spiele, aber er ist einfach voll bei der Sache. Er könnte auch sagen, es ist egal, was da jetzt passiert. Alleine die Einstellung: ‚Ich hole das Maximum heraus‘, und wie er das Ganze in der Vorbereitung zum Spiel hin aufgebaut hat, ist sehr professionell gewesen. Es war wichtig für die Mannschaft, dieses Gefühl zu vermitteln.“

Am Dienstag endet mit dem Gastspiel in Kasachstan die zweite Amtszeit von Ruttensteiner als Interims-Teamchef. Schon 2005 hatte er die damalige WM-Qualifikation achtbar (0:1 in England, 2:0 gegen Nordirland) ausklingen lassen.

Kein „Über-Teamchef“

Seit damals hat er keine Mannschaft mehr aktiv gecoacht und sich auf seinen Job als Sportdirektor konzentriert. Im Rahmen der Strukturänderungen rund um die Installierung von Koller sollen dessen Kompetenzen auf das A-Team ausgeweitet werden, auch wenn Präsident Leo Windtner einen „Über-Teamchef“ Ruttensteiner ausschließt.

Dass der zukünftige ÖFB-Coach Koller heißt und nicht aus dem Kreis der üblichen Verdächtigen kommt, spricht durchaus für dessen gestiegenen Einfluss innerhalb des Verbands, vor allem auf Windtner.

Aufgabe des als „Willi Wichtig“ verunglimpften Trainer-Funktionärs war es in dieser Woche, einen Weg vorzuzeigen, wie es funktionieren kann. Diesbezüglich ist der erste Etappensieg eingefahren – nicht mehr und nicht weniger.

Dass sich die ebenso mutige wie umstrittene Entscheidung für den Schweizer Koller als Volltreffer erweist, wäre für den österreichischen Fußball jedoch noch wichtiger als das 4:1 in Aserbaidschan oder ein etwaiger Sieg in Kasachstan.

Dann wäre "Willis Woche" ein durchschlagender Erfolg.

Peter Altmann

Andere vermeintliche Kleinigkeiten wie die Einführung der “ÖFB-Time“, die Rückholung von Conditioning Coach Roger Spry, ein extra eingeschobenes Kunstrasen-Match in Hartberg oder die Einführung einer Players Lounge im Camp in Bad Tatzmannsdorf, um die Kommunikation unter den Spielern zu fördern, mögen im Einzelnen unbedeutend sein.

In ihrer Gesamtheit können sie aber auch jene Nuancen ausmachen, deren Fehlen in der Vergangenheit immer wieder beklagt wurde. Wenn zu viele Änderungen auf einmal nicht kontraproduktiv wären, hätte Ruttensteiner wohl auch einen von ihm sehr forcierten Mentalcoach installiert.

„Man kennt ihn ja, er ist sehr analytisch, und ich finde, dass das in dieser Phase wichtig für uns war“, erklärt Andreas Ivanschitz, der von Ruttensteiner nach zweieinhalb Jahren Zwangspause wieder reaktiviert wurde und sich mit einem Treffer und zwei Assists bedankte.

Bereitschaft zur Kommunikation

Detailverliebtheit kann jedoch auch zur Obsession werden. Als der 48-Jährige nach einer Video-Analyse von Vagif Javadov schwärmte, wurde er von einem Journalisten darauf hingewiesen, dass dieser im Sommer 2010 für einige Wochen gemeinsam mit Janko bei Twente Enschede unter Vertrag stand.

„Aha, gut zu wissen, da muss ich mich gleich bei ihm erkundigen“, freute sich Ruttensteiner beinahe diebisch über die Chance auf neue Informationen und hielt dies prompt in seinem Notizbuch fest.

Ein üppiges Notizbuch, das bei keiner Pressekonferenz fehlen darf. Deren Ablauf ist mit den von Constantini gewohnten nicht zu vergleichen, was weder positiv noch negativ gemeint ist, sondern einfach als Feststellung erwähnt sei.

Kam dem zunehmend genervten Tiroler nur das Notwendigste über die Lippen (Standardsatz nach 30-sekündiger Einleitung: „Mehr gibt’s eh net zu sagen“), dauert alleine Ruttensteiners Anfangs-Statement bisweilen länger als eine durchschnittliche Constantini-PK. Die täglichen Referate eines Josef Hickersberger bleiben vorerst jedoch unerreicht.