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"Ich bin definitiv gefestigter als vor einigen Jahren"

Wenn sich sieben Kamerateams und Dutzende Journalisten in den überschaubar großen Seminarraum des Freilichtmuseums in Bad Tatzmannsdorf drängen, muss ein besonderer Termin anstehen.

Um 12:34 Uhr nahm Andreas Ivanschitz am Podium Platz und durfte nach über zweieinhalb Jahren Pause erstmals wieder als österreichischer Fußball-Nationalspieler das Wort ergreifen.

Der frühere ÖFB-Kapitän, der gegen Aserbaidschan sein 50. Länderspiel bestreiten könnte, nahm ausführlich zu seiner unfreiwilligen Auszeit aufgrund der Nichtberücksichtigung unter Ex-Teamchef Didi Constantini und zur seiner rot-weiß-roten Zukunft Stellung.

ANDREAS IVANSCHITZ ÜBER…

…ÜBER SEINE RÜCKKEHR:

Ich freue mich sehr, wieder beim Nationalteam sein zu können. Es ist am Sonntag schon ein besonderer Moment für mich gewesen, ins Hotel zu kommen, die Spieler zu sehen – den einen oder anderen kenne ich natürlich, aber es sind doch viele neue Spieler dabei, die ich noch nicht gekannt habe. Ich versuche, sie in den nächsten Tagen kennenzulernen und mich einzufügen. Ich habe da überhaupt keine Bedenken. Die Mannschaft ist eine sehr homogene und von den Typen her sehr offene. Es wird viel gelacht, auch in der ersten Trainingseinheit. Das ist sehr wichtig und sollte man auch so beibehalten. Das hat es mir schon erleichtert, die erste Trainingseinheit zu absolvieren. Ich freue mich auf die nächsten Tage und die beiden Länderspiele.

…ÜBER SEIN GEFÜHL BEI DER ANREISE:

Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich bin mit einer gewissen Nervosität und Anspannung hierhergefahren, auch mit einer Vorfreude, fast wir vor meinem ersten Länderspiel. Diese Freude und Anspannung ist auch ein positives Zeichen.

…DARÜBER, OB ER NACH ZWEIEINHALB JAHREN ABWESENHEIT DRUCK VERSPÜRT:

Es ist eher entspannt, und zwar dahingehend, dass ich froh bin, wieder dabei sein zu können und mit vollster Überzeugung und vollstem Willen hierher zu kommen, um zu helfen, gute Leistungen zu bringen und im Training richtig Gas zu geben. Ich mag mich auch nicht zu sehr mit der Vergangenheit beschäftigen, denn es gab Phasen, wo ich mich ganz intensiv damit beschäftigt habe und vorm Fernseher gesessen bin und mir gedacht habe: „Da könntest du eigentlich spielen.“

…DARÜBER, OB ES SCHWER WAR, NIE EIN BÖSES WORT ÜBER DEN ÖFB ZU VERLIEREN:

Es gab für mich schon verschiedene Statements, die ich geraderücken musste, wo ich auch ganz klar in die Offensive gegangen bin – vor allem, als es um diese Stammplatzgarantie gegangen ist, die von mir nie gefordert wurde. Das hat Didi Constantini dann auch mehr oder weniger zurückgenommen. Mir war es wichtig, das klarzustellen. Ansonsten musst du als Spieler Personalentscheidungen akzeptieren. Ich habe mich voll auf Mainz konzentriert und dort meine Leistungen gebracht, ich hatte auch sehr viele gute Spiele dabei. Natürlich habe ich dann gehofft, ins Nationalteam zu kommen, aber es hat sich nicht ergeben. Damit muss man umgehen. Ich habe in meiner doch schon längeren Karriere viel Erfahrung sammeln können, das hat mir auch geholfen, die Situation so zu nehmen, wie sie ist, und sie zu akzeptieren - auch wenn es nicht einfach war.

…DARÜBER, OB ER ETWAS FALSCH GEMACHT HAT:

Ich wüsste nicht was! Ich glaube, dass ich mich grundsätzlich immer fair verhalten habe, vor allem in den zweieinhalb Jahren, wo es sicher nicht so leicht war, das so hinzunehmen und zu akzeptieren. Aber noch einmal: Es ist wichtig, dass das jetzt abgehakt ist. Dass man auch einmal solch eine Phase durchlebt, ist doch auch prägend, man kann sich als Persönlichkeit entwickeln. Ich bin definitiv gefestigter als noch vor einigen Jahren. Aus meiner Sicht habe ich es gut verarbeiten können. Jetzt blicke ich mit einem positiven Gefühl und auch dem nötigen Biss nach vorne.

…DARÜBER, OB ER SICH ALS „ARMER IVANSCHITZ“ GEFÜHLT HABE:

Ich habe mich nie arm gefühlt, auch nicht in dieser Situation. Denn das gehört zum Fußball dazu, auch wenn es bei mir ein besonderer Fall war, das muss ich schon sagen. Ich habe mich aber nie schlecht gefühlt, sondern versucht, dieses positive Gefühl bei Mainz beizubehalten. Dass ich mir gedacht habe: Warum? Wieso? – das ist doch auch ganz normal. Jeder versucht mit solch einer Situation umzugehen, und da stellst du dir viele Fragen. Aber im Großteil habe ich versucht, diese Situation umzumünzen und zu sagen: „Umso mehr gibst du im Verein Gas.“ Das ist mir sehr oft gelungen. Ich bin auch froh, dass ich mich als Fußballer nicht hängen habe lassen, sondern meine Weg weitergegangen und geduldig geblieben bin.

…DARÜBER, WANN ER GEMERKT HAT, DASS ES UNTER CONSTANTINI NICHTS MEHR WIRD MIT EINER RÜCKKEHR:

Als die Ausreden immer mehr wurden. Es gab viele Begründungen und Argumente. Natürlich machst du dir von Länderspiel zu Länderspiel weniger Hoffnung, aufgegeben habe ich die Hoffnung jedoch nie. Je länger die Phase dauert, desto weniger rechnest du damit. Aber vom Kopf her habe ich mich immer bereit gefühlt, zurückzukommen und auch immer wieder signalisiert, dass ich im Fall der Fälle bereit bin, wieder zu spielen. In Mainz und Höhen und Tiefen, aus meiner Sicht haben die Höhen überwogen – es hätte viele Möglichkeiten geben. Aber im Endeffekt hat er nicht mit mir geplant und das auch immer wieder argumentiert und begründet. Das hat du als Fußballer zu akzeptieren, du kannst es eh nicht beeinflussen.

…DARÜBER, OB ES EIN GESPRÄCH MIT CONSTANTINI GEGEBEN HAT ODER GEBEN WIRD:

Hat es nicht. Ob es eines geben wird, weiß ich nicht.

…ÜBER DIE KAPITÄNSFRAGE:

Ich denke, da sollten wir die nächsten Tage abwarten und nicht jetzt schon wieder mit dieser Frage beginnen. Das war sowieso ein zu großes Thema. Aber dass ich damals gesagt habe, dass man über dieses Thema sprechen sollte, wenn ich zurückkomme, ist doch ganz normal und auch überhaupt keine Forderung. Das war einfach von meiner Seite der Wunsch, über dieses Thema zu sprechen. Entscheidungen werden dann akzeptiert. Aber es hat sich ohnehin nie ergeben.

…DARÜBER, DASS STETS VIEL AN SEINER PERSON AUFGEHÄNGT WURDE:

Diesen ständigen Druck und diese Erwartungshaltung konnte man während meiner ganzen Teamkarriere verfolgen. Ich möchte aber betonen, dass der Fokus jetzt nicht zu sehr auf meine Person gerichtet werden soll. Wichtig ist, dass die Mannschaft im Vordergrund steht. Das habe ich immer betont und vor allem auch in Mainz unter Thomas Tuchel gelernt. Dieses Kollektiv ist ganz wichtig, da muss es Phasen geben, wo man das eigene Ego hinten anstellt, was aber nicht heißt, dass man sich versteckt oder seiner Verantwortung entzieht. Jeder erledigt seine Aufgaben, und genauso sehe ich auch meine Funktion in der Mannschaft. Ich versuche mich voll einzubringen und fordere keinen Sonderstatus, den brauche ich nicht. Es ist mir schon wichtig, dass in der Öffentlichkeit das Denken da ist, dass es nicht nur um meine Person, sondern um die ganze Mannschaft geht.

…DARÜBER, DASS ES IM ÖFB-TEAM INZWISCHEN ANDERE AUSHÄNGESCHILDER GIBT:

Es gibt viele Spieler, die Riesen-Kicker sind und diese Verantwortung übernehmen können. Ich denke sowieso, dass es in einer Mannschaft wichtig ist, dass die Verantwortung auf mehrere Spieler verteilt wird. Ein Einzelner kann bekanntlich kein Spiel gewinnen.

…ÜBER DIE HIERARCHIE NACH SEINER RÜCKKEHR:

Ich bin bereit, Verantwortung zu übernehmen, keine Frage. Ich habe 49 Länderspiele am Buckel, schon fast 400 Pflichtspiele bei den verschiedensten Vereinen. Da ist man automatisch Führungsspieler und Persönlichkeit. Das versuche ich auch jetzt in der Mannschaft einzubringen.

…DARÜBER, WAS IN DIESER QUALIFIKATION FALSCH GELAUFEN IST:

Grundsätzlich steht es mir nicht zu, von außen oder als Rückkehrer großartig über die Vergangenheit zu lästern oder anzusprechen, was falsch oder gut war. Das tut man nicht. Aber ich glaube schon, dass die Möglichkeit extrem groß war, weil auch die Türkei und Belgien Punkte liegen ließen. Ich hatte das Gefühl, dass es sehr eng war. Wenn man sich die Tabelle angesehen hat, war die Chance groß. Aber es hat aus verschiedensten Gründen nicht sollen sein, und nun sollte das auch abgehakt sein. Jetzt geht es primär darum, sich auf diese beiden Spiele zu konzentrieren und sie zu gewinnen. Dann beginnt eine neue Chance, sich zu qualifizieren.

…DARÜBER, OB DIE QUALITÄT DER MANNSCHAFT HÖHER SEI ALS BEI DER EURO 2008:

Das kann ich noch nicht so richtig beurteilen, weil ich es auch nur von außen miterlebt habe. Darüber kann ich erst Urteil abgeben, wenn ich diese zehn Tage dabei war, die Mannschaft und die Spieler kennenlerne, und das kann man am Besten im Training. Aber ich sehe es so, dass es ein wirklich großes Potenzial in der Mannschaft gibt. Das ist unbestritten. Jetzt geht es einfach darum, das Bestmögliche herauszuholen und jeden einzelnen an seine Grenzen zu bringen. Das ist das Allerwichtigste. Es ist nicht gut, wenn man sagt, das Potenzial ist da, aber es wird nicht abgerufen.

…DARÜBER, OB SEINE ÖFB-AUSBOOTUNG SEINE POSITION IN MAINZ GESCHWÄCHT HAT:

Auf das Standing in der Mannschaft hatte es, glaube ich, keinen Einfluss. Ich habe in dieser Phase auch viele Gespräche mit Thomas Tuchel gehabt. Er hat mir sehr den Rücken gestärkt und hatte vollstes Vertrauen. Mainz und das Nationalteam haben sich also nicht überschnitten. Er hat das auch sehr professionell gesehen und mir immer gesagt, dass ich die Situation so akzeptieren und hinnehmen soll. Er hat mich dahingehend mehr unterstützt, als dass er mir das vorgehalten hätte.

…DARÜBER, OB ER ÜBERLEGT HABE, ERST NACH DIESEN BEIDEN SPIELEN ZURÜCKZUKOMMEN:

Überhaupt nicht! Ich bin froh, dass ich diese Chance erhalten habe, und für mich gab es keine Überlegung zu sagen: „Nein, diese zwei Spiele nicht oder erst danach.“ Für mich war es immer so: Wenn die Einberufung kommt, bin ich bereit zu kommen. Das habe ich auch während der zweieinhalb Jahre immer betont. Deswegen war es im Gespräch mit Willi Ruttensteiner auch kein Thema zu sagen: „Nein, es macht keinen Sinn.“ Das wäre ein Blödsinn und auch kein professionelles Denken. So ticke ich nicht, das hätte nicht zu mir gepasst.

Aufgezeichnet von Peter Altmann