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Sie pfeifen ihn wegen Mourinho aus

Sie pfeifen ihn wegen Mourinho aus

Man stelle sich vor, Steven Gerrard würde an der Anfield Road ausgepfiffen. Man stelle sich vor, Francesco Totti würde von der Curva Sud mit Pfiffen bedacht. Man stelle sich vor, Bastian Schweinsteiger müsste sich vom Münchner Publikum ein Pfeifkonzert anhören.

Geht nicht? Gibt’s nicht? Weil man Vereins-Urgesteine, Ikonen, Legenden so nicht behandelt? Weil es im Geschäft der Söldner und Wendehälse gerade diese Personen sind, die als letzte den Rest an Klub-Identifikation und Herzblut  verkörpern?

Geht nicht? Geht nicht! Gibt’s aber doch.

Doch nicht der ewige Iker?

Iker Casillas und Real Madrid – eine Lebensgeschichte, geprägt von Erfolg – scheint langsam aber sicher ein hässliches, unwürdiges Ende zu nehmen. Ein Ende, an dem der Schlussmann allerdings selbst nicht ganz unschuldig zu sein scheint. Wenngleich es nicht die schwankenden sportlichen Leistungen sind, die die Kluft zwischen Fans und Kapitän immer tiefer werden lässt.

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Seit seinem achten Lebensjahr kickt Casillas für Real, 15 Jahre lang steht er bereits in der Kampfmannschaft der Madrilenen, knapp 700 Spiele hat er bestritten. Fünffacher spanischer Meister, viermal Copa-Sieger, drei Triumphe in der Champions League – und nun auf der Abschussliste.

In Umfragen der Madrider Sportzeitungen fordert ein Großteil der Fans Neuzugang Keylor Navas zwischen die Pfosten und auch Präsident Florentino Perez scheint sich abzuwenden.

Zwei Lager unter den Madridistas

Man mochte seinen Ohren nicht trauen, als Casillas zuletzt bei der 1:2-Derby-Niederlage gegen Atletico im heimischen Estadio Santiago Bernabeu gellende Pfiffe entgegenschallten, die sich unter der Woche im Champions-League-Spiel gegen Basel (5:1) wiederholten.

Auch der demonstrative Applaus der dem entgegenzutreten versuchte, konnte die Negativ-Stimmung gegen den 33-Jährigen nicht überdecken. Er zeigte vielmehr, dass der königliche Anhang tief gespalten ist, in pro und contra Casillas.

Mit Mourinho kam der Anfang vom Ende

Schuld daran soll mit Jose Mourinho jemand sein, der längst nicht mehr im Verein arbeitet. Er war es,  der es erstmals wagte, „San Iker“ anzutasten. Er sah Ersatzmann Antonio Adan als „einfach besser“ an – ein Affront gegen den fünfmaligen Welttorhüter, Welt- und Doppel-Europameister. Wenig später  verpflichtete Mourinho Diego Lopez und machte ihn zur Nummer eins, ein weiterer Schlag ins Gesicht.

Grund genug, dass man das Verhältnis zwischen Casillas und „The Special One“ als belastet bezeichnen konnte. Der endgültige Bruch folgte aber, als der Keeper Opposition gegen den Coach ergriff.

Mourinho pflegte seine Feindschaft zum FC Barcelona , legte es darauf an, eine vergiftete Atmosphäre zu schaffen. Provokationen, Mätzchen, Scharmützel – all dies widerstrebte Casillas, der als Kapitän der „Furia Roja“ auch um die Stimmung in der Nationalmannschaft bemüht war und sich etwa nach dem hitzigen Clasico 2011 – Stichwort Finger im Auge - hinter dem Rücken Mourinhos bei Barca-Spielern entschuldigte.

Es tat sich ein Graben auf.  Auf der einen Seite Casillas, seine Anhänger und die Presse, zu der der Keeper nicht zuletzt ob seiner Beziehung mit der TV-Journalistin Sara Carbonero beste Kontakte pflegt und die Mourinho ohnehin kritisch gegenüberstand. Auf der anderen der portugiesische Exzentriker und seine Verbündeten.

Casillas der Maulwurf

Fortan wurde der Kleinkrieg auch über die Medien ausgetragen. Casillas fütterte die ihm zugetanen Blätter mit Informationen und Mannschaftsinterna, zumindest machte Mourinho ihn als Maulwurf aus. So soll Casillas beispielsweise die Mannschaftsaufstellung für ein weiteres Duell mit Barca vorzeitig an die Medien weitergegeben haben.

Eine Causa, die Casillas bis heute nachhängt. Während Mourinho gegangen ist, sind die zwei Lager geblieben.  "Mourinho hat Real Madrid zwar verlassen, aber seine Anhänger sind einflussreich geblieben. Dieser ‚Mourinhismo‘ ist eine regelrechte Religion im Umfeld von Real. Casillas' Torwartfehler sind nicht die Ursache der Pfiffe. Es ist seine Fehde mit Mourinho", erklärt Patrick Hernandez von „Eurosport Spanien“.

Auch dass die ihm zugetanen Zeitungen „AS“ und „Marca“ Casillas die Treue halten, passt vielen Fans nicht, für sie hat der Kapitän Klub und Team verraten, meint der Experte.

„Sie pfeifen ihn wegen Mourinho und Lopez aus“

Macht und Einfluss Casillas‘ sind dem einen oder anderen ein Dorn im Auge. So soll er vor Saisonstart bei Präsident Florentino Perez einen Verkauf seines Konkurrenten Diego Lopez lanciert haben. Das Ergebnis ist bekannt: Lopez wurde zum AC Milan transferiert. Mit Keylor Navas kam zwar ein Neuer, der sich als ebensolcher mit seinen Ansprüchen und Forderungen aber zurückhält.

„Sie pfeifen ihn wegen Mourinho und Lopez aus, nicht wegen seiner Form“, ist sich auch Casillas‘ ehemaliger Mitspieler Guti sicher.

„Es ist unverständlich, dass einer, der 15 Jahre lang alles für den Verein gegeben hat, so behandelt wird. Geht das so weiter, würde ich an seiner Stelle gehen und den Fußball woanders genießen“, fügte er in der TV-Sendung „El Chiringuito de Jugones“ hinzu.

Dass der Liebesentzug der Real-Fans kein Einzelfall ist, weiß auch er aus eigener Erfahrung. „Es gab Zeiten, in denen ich lieber auswärts als Zuhause gespielt habe“, bestätigt der heutige U14-Co-Trainer des „Weißen Balletts“.

Ein nahender Abschied Casillas‘ scheint jedenfalls wahrscheinlicher denn je. Die Vereinslegende, der Kapitän, entwickelt sich langsam zur Belastung für Real. Seine Zeit bei den „Königlichen“ geht wohl zu Ende. Auf unwürdige Weise. Egal, wer letztlich daran schuld ist.

 

Christoph Kristandl