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"Wie wenn die Austria-Fans Rapids Namen rufen"

„Die österreichische Bundesliga ist in Thailand absolut unbekannt. Entsprechend verhalten sind die Reaktionen“, berichtet Sven Beyrich über den Transfer von Roland Linz.

Der Deutsche ist ein Experte, wenn es um den Fußball in Thailand geht. Seit Jahren betreibt er die Webseite www.thai-fussball.com, wo in deutscher Sprache alle relevanten Informationen über den Kick in dem südostasiatischen Land zu finden sind.

„Die Thais sind technisch sehr stark, aber taktisch sehr limitiert“, erzählt der 38-Jährige im Gespräch mit LAOLA1.

Er spricht außerdem vom neuen Linz-Klub Muang Thong United, der praktisch aus dem Nichts kam, den gewaltlosen Ultras und Spielen während der Regenzeit.

LAOLA1: Dieser rasante Aufstieg von Muang Thong United klingt ein bisschen nach einer Hoffenheim-Geschichte.

Sven Beyrich: Dieser Vergleich ist mir bisher noch nie so gekommen, aber das kann man so schon sagen. Ich würde es fast noch eher in Richtung Cindarella-Story rücken.

LAOLA1: Der Klub hat ab 2007 den Durchmarsch von der dritten in die erste Liga geschafft und ist dort in vier Jahren drei Mal Meister geworden. Wie hat sich das abgespielt?

Beyrich: Der Verein wurde 1989 unter anderem vom aktuellen Verbandspräsidenten Worawi Makudi gegründet. Bis Mitte 2000 wussten wahrscheinlich nicht einmal Insider in Thailand, dass es diesen Klub überhaupt gibt – die haben irgendwo in der dritten Liga gekickt. Dann ist der Belgier Robert Procureur in den Verein eingestiegen und hat den Klub nach oben geführt. Als der Aufstieg in die erste Liga gelungen ist, hat die Firma Siam Sport Syndicate den Klub zu großen Teilen übernommen.

LAOLA1: Was macht Siam Sport Syndicate?

Beyrich: Das ist die größte Sportmarketing-Agentur in Thailand. Sie besitzen eine Online-Plattform, eine tägliche Sportzeitung und einen TV-Sender. In erster Linie wird über Fußball berichtet, aber auch über andere Sportarten. Der Hauptaugenmerk liegt darauf, den eigenen Klub entsprechend zu covern – eine Hauspostille quasi. Zudem besitzen die Marketingrechte diverser englischer Klubs. In ihren Shops kann man lizenzierte Merchandising-Artikel der Vereine kaufen.

LAOLA1: Ist Muang Thong United also der Finanzkrösus der Liga?

Beyrich: Das würde ich nicht unbedingt sagen. In der Liga spielt auch Army United, der Armee-Sportverein – da sind die Geldmittel relativ. Und BEC-Tero Sasana ist im Besitz von Brian L. Marcar, der einer der reichsten Männer Thailands ist. Aber Muang Thong ist definitiv einer der finanzstärksten Vereine.

LAOLA1: Während in der Vergangenheit oft die Trainer gewechselt wurden, sitzt Slavisa Jokanovic seit einem Jahr auf der Bank. Ist da Ruhe eingekehrt?

Beyrich: 2011 hat sich der Klub mit den Trainern und den Spielern ein bisschen verrannt, weshalb der Titel nicht geholt wurde. Mit Jokanovic scheint ein Trainer gefunden worden zu sein, der den Erfolg zurückgebracht hat. Zudem wurden die richtigen Spieler geholt. Mario Djurovski war ein echter Glücksgriff. Gemeinsam mit Stürmer Teerasil Dangda war er letzte Saison in der Liga der überragende Mann.

Teerasil Dangda ist derzeit Thailands bester Stürmer

LAOLA1: Wie ist der Stellenwert des Fußballs in Thailand allgemein?

Beyrich: Der Fußball ist ganz klar die Nummer zwei, Muay Thai ist unangefochten die Nummer eins. Aber die Thais sind – wie die komplette Region in Südostasien – absolut fußballverrückt. In Thailand genießt der lokale Fußball aber keinen so hohen Stellenwert wie die englische Premier League beispielsweise. Das hat sich in den letzten Jahren durch das stärkere Auftreten der Liga aber ein bisschen geändert. Vorher sind viele Fans daheim mit dem Liverpool-Trikot vor dem Fernseher gesessen anstatt den lokalen Verein zu unterstützen. Das hat sich gedreht. Viele denken sich mittlerweile: „Bin ich bekloppt? Ich schaue mir hier Liverpool-Manchester United an, obwohl ich überhaupt keinen Bezug dazu habe und um die Ecke ist ein Stadion.“

LAOLA1: Es ist natürlich immer schwierig, solche Vergleiche zu ziehen, aber wie schätzt du das Niveau der Liga ein?

Beyrich: Diese Frage höre ich oft und habe mir fast abgewöhnt, sie zu beantworten. Ich habe einige Kommentare in Richtung Roland Linz gelesen, in denen sich Leute negativ über den Fußball in Thailand geäußert haben. Auch in Spanien rümpfen die Fans von Atletico Madrid die Nase, weil Teerasil Dangda gerade auf Probetraining ist. Man muss den Fußball in Thailand als etwas komplett anderes sehen. Das Spiel ist weniger körperlich als in Europa. Die Thais sind technisch sehr stark, aber taktisch sehr limitiert. Man sieht zwar immer Trainer mit Taktik-Tafeln, aber ich glaube nicht, dass sie wirklich viel Ahnung von Taktik haben. Es gibt Kicker, die in Deutschlands oder Englands dritter Liga gespielt haben, die denken, dass sie locker in Thailand klarkommen.

LAOLA1: Wie sieht es mit dem Fan-Zuspruch aus?

Beyrich: Bei den Heimspielen sind durchschnittlich ca. 15.000 Zuschauer im Stadion. Wie überall auf der Welt ist das Stadion nicht ausverkauft, wenn kleinere Klubs kommen, wenn die großen Namen zu Gast sind, ist das Stadion aber mit 22.000-23.000 Menschen ausverkauft. Der Liga-Durchschnitt liegt bei knapp 5.000, wobei diese Zahl von kleinen Vereinen, die gerade einmal 1.500 Leute pro Spiel anlocken, ordentlich heruntergedrückt wird.

LAOLA1: Bei Muang Thong gibt es auch eine Ultra-Kultur.

Beyrich: Genau. Es gibt die Ultras Muang Thong. Irgendwann haben sich Fans hingesetzt und überlegt, wie man den eigenen Klub besser unterstützen kann. Bei der Gründung der Ultra-Gruppe hat man sich weniger an Europa, sondern mehr an den Japanern orientiert. Die wiederum haben das sich das damals aus Italien abgeschaut.

LAOLA1: Auf den Fotos sieht das mit Pyrotechnik und Doppelhaltern aber schon sehr europäisch aus.

Beyrich: Das stimmt. Pyrotechnik gibt es in Japan nicht. Das mit den Bengalos ist erst im letzten Jahr wieder aufgekommen. Vor ein paar Jahren war das gang und gäbe, irgendwann hat das die Liga dann verboten. Daraufhin war davon auch nichts mehr zu sehen. Letztes Jahr ist das plötzlich überall in Thailand wieder aufgetaucht.

LAOLA1: Geht diese Ultra-Kultur wie in Europa mit Gewaltbereitschaft Hand in Hand?

Beyrich: Überhaupt nicht! Die Fankultur entscheidet sich extrem von der europäischen. Das liegt zum Teil an der thailändischen Mentalität und macht die besondere Atmosphäre beim Besuch eines Spiels in Thailand aus. Nach einem Spiel rufen beispielsweise die Fans den Namen des gegnerischen Vereins. Man müsste sich vorstellen: Die Austria-Fans rufen den Namen von Rapid und umgekehrt. Unvorstellbar. Damit wird versucht, den gegnerischen Fans Respekt zu zollen. Auch vor den Stadien sind Fans aller Lager vermischt. Da gibt es keine Trennung und keine Polizei, die die Auswärtsfans abschirmt. Teilweise ist das eine Picknick-Atmosphäre. Außerdem ist ein sehr hoher Anteil an Frauen und Kindern im Stadion.

"Einen Stürmer seiner Kategorie findet man nicht jeden Tag in Thailand"

LAOLA1: Das habe ich auch gelesen. Wieso fragst du?

Beyrich: Mir erscheint das sehr, sehr utopisch. Das wäre fast mehr, als Robbie Fowler damals bekommen hat. Vielleicht geht es da eher um eine Million Bhat im Monat (rund 25.000 Euro), das wäre nämlich durchaus denkbar.

LAOLA1: Wie ist das eigentlich bei Legionären? Bekommt Roland Linz einen Spitznamen?

Beyrich: Nein. Wenn er einen bekommt, dann von den Medien a la Tank oder Kopfballungeheuer. Roland ist für Thais jedenfalls schwer auszusprechen. Vermutlich würde man Roli sagen. Da ist aber das Problem, dass Thais kein L sprechen. Es würde also Ronny rauskommen.

LAOLA1: Kommen wir zum Abschluss noch zur asiatischen Champions League. Mit Guangzhou Evergrande (China), Jeonbuk FC (Südkorea) und Urawa Red Diamonds sind Muang Thongs Gegner ja nicht gerade die schlechtesten. Sind die Thais da krasser Außenseiter?

Beyrich: Absolut! Japan und Südkorea sind die Top-Ligen in Asien. Und Guangzhou ist halt ein Verein, bei dem ein Lucas Barrios spielt. Das sind ganz andere Kaliber. Aber unmöglich ist für Muang Thong nichts. Mal schauen, was sich am Transfermarkt noch passiert. Legionäre werden aber definitiv nicht mehr viele geholt, es sind nämlich schon viel zu viele da, es müssen noch welche abgegeben werden.

LAOLA1: Es gibt also eine Ausländerbeschränkung?

Beyrich: Korrekt. Es deutet vieles darauf hin, dass das Modell 2013 gleich bleibt. Es dürfen also maximal sieben Ausländer für die Liga registriert werden, maximal fünf dürfen auf dem Spielbericht stehen und maximal vier dürfen gleichzeitig auf dem Platz stehen, wovon drei Nicht-Asiaten und einer Asiate sein dürfen.

LAOLA1: Ziemlich kompliziert.

Beyrich: Diese 3+1-Ausländeregel kommt vom asiatischen Verband AFC. Dieses Modell wird auch in der Champions League angewandt, weshalb es in der Thai-Liga übernommen wurde. In der Champions League dürfen also nur drei nicht-asiatische Legionäre für die Vorrunde genannt werden. Da wird es also auch für Linz eng.


Das Gespräch führte Harald Prantl

LAOLA1: Aber?

Beyrich: Sie vergessen, unter welchen Bedingungen sie spielen müssen. Manchmal ist der Rasen kein Rasen, sondern ein Acker. Anders als in Europa können es sich die Vereine nicht leisten, alle paar Wochen den Rollrasen für 150.000 Euro auszutauschen. Dazu kommen die äußeren Bedingungen. Während der Regenzeit leiden die Plätze, es kommt schon mal vor, dass der Rasen während eines Spiels fast komplett unter Wasser steht. Außerdem hat es im Sommer teilweise 35 Grad Celsius. Zwar wird meistens am Abend gespielt, aber in unteren Ligen hat manchmal das Flutlicht nicht die ausreichende Stärke. Dann wird um 15:30 Uhr gespielt. Da hat es 35 Grad Celsius, am Himmel ist keine Wolke zu sehen und die Luftfeuchtigkeit beträgt 90 Prozent – da möchte ich einmal einen Spieler aus Europa sehen, wie er damit zurecht kommt.

LAOLA1: Versuch‘ trotzdem, das Niveau einzuschätzen.

Beyrich: Die Top-Vereine würde ich in die dritte deutsche Liga einordnen, an guten Tagen durchaus im unteren Drittel der zweiten Bundesliga.

LAOLA1: Sprechen wir über Roland Linz: Wie ist das Medien-Echo auf seine Verpflichtung?

Beyrich: Da gibt es kein großes Medien-Echo. Ich sag mal so: Der Österreicher reibt sich die Augen und sagt: „Der Linz geht nach Thailand. Spielen die da Fußball?“ Der Thai reibt sich die Augen und sagt: „Ein Österreicher? Spielen die da Fußball? Ich dachte, die fahren nur Ski.“ Die österreichische Bundesliga ist in Thailand absolut unbekannt. Entsprechend verhalten sind die Reaktionen. Man hat sich eher darauf gestürzt, dass er für Boavista und Braga gespielt hat, weil die Fans in Thailand mit diesen Vereinen schon eher etwas anfangen können. Einen Stürmer seiner Kategorie findet man nicht unbedingt jeden Tag in Thailand. Aber es spielen eben viele Ausländer in Thailand und viele verschwinden auch rasch wieder – deswegen die Zurückhaltung. Was ich fragen wollte: Ich habe gelesen, dass Linz eine Million Euro pro Jahr kassieren soll.