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"Spielervermittler haben Mitleid mit uns"

Der heimische SV Grödig, Eibar, Paderborn oder zuletzt der SV Darmstadt – in den vergangenen Jahren schafften immer wieder Vereine den Sprung in die jeweils höchste Spielklasse, die angesichts ihrer Voraussetzungen für Diskussionen oder gar Amüsement sorgten.

Schlechte Trainings-Bedingungen, Mini-Stadien oder Gesamtbudgets, um die sich die Stars der Konkurrenz nicht einmal die Schuhe schnüren würden, dominierten Schlagzeilen um die gerne als Dorfklubs bezeichneten Vereine, die sensationellerweise erstmals mit den Großen mitmischen durften.

Die kleinen Korsen

In diesem Jahr schießt diesbezüglich Gazélec Ajaccio den Vogel ab. Gazélec? Noch nie gehört? Kein Wunder. Der Aufstieg ist der mit Abstand größte Erfolg des Klubs, dessen Wurzeln bis in das Jahr 1910 zurückreichen. Mehrere Fusionen prägten die Historie des Gazélec Football Club Ajaccio, wie der Verein heute offiziell heißt. Der Name rührt dabei vom staatlichen Energieversorgungsunternehmen Électricité de France–Gaz de France, seit über 50 Jahren ein treuer Unterstützer.

Dass die Korsen erst jetzt richtig auf Frankreichs Fußballbühne treten, hängt auch damit zusammen, dass ihnen in der Vergangenheit der Profi-Status verwehrt wurde. Mit dem größeren AC Ajaccio, ständiger Pendler zwischen Erst- und Zweitklassigkeit und aktuell in der Ligue 2 engagiert, gab es in der korsischen Hauptstadt bereits einen Profiklub.

Da der französische Verband in einer Stadt mit weniger als 100.000 Einwohnern – Ajaccio zählt rund 66.000 – lange Zeit nicht das Potenzial für zwei Klubs in derselben Profi-Liga sah, durfte Gazélec etwa 1999, trotz sportlicher Qualifikation, nicht in die Ligue 2 aufsteigen. Dort war zu diesem Zeitpunkt ja bereits AC. Eine höchst umstrittene Regelung, die nur ein halbes Jahr später gekippt wurde.

Durchmarsch ins Oberhaus

Gazélec dümpelte in den folgenden Jahren in der drittklassigen National umher und hatte mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, die im Lizenzentzug und einem weiteren Abstieg gipfelten. Nach mehrfachem Hin und Her zwischen den Ligen, inklusive einem einjährigen Gastspiel in der Ligue 2 und der Anerkennung als Profi-Klub 2012, schaffte man 2014 wieder den Sprung in die Zweitklassigkeit und hielt sich diesmal marschierte als Zweiter durch ins Oberhaus.

Der Saisonauftakt bei Ligue-2-Champ Troyes endete vergangene Woche mit einem 0:0, am Sonntag steht nun das erste Highlight für die Insel-Kicker auf dem Programm – es geht in die Hauptstadt zu Meister PSG und damit in eine andere Welt.

Ferner als der Glamour rund um Zlatan Ibrahimovic und den Scheich-Klub könnte den Spielern von "Le Gaz" kaum etwas sein.

Kaum ein Spieler ist leistbar

Nach einigen Transfers, der namhafteste darunter Jacques Zoua, zählt der Kader der Korsen mittlerweile immerhin 21 Mann. Ersatz aus den eigenen Reihen kann man sich maximal aus der U19 holen, denn über eine zweite Mannschaft verfügt Gazélec ebenso wenig wie über ein eigenes Trainingsgelände.

Der Einsatz beim Training stimmt

„Ich werde oft von Spielervermittlern angerufen, die Mitleid mit uns haben. Aber die Summen, die sie fordern, können wir nicht bezahlen", schilderte Sportdirektor Christophe Ettori die Situation vor Saisonstart.

Das Budget soll bei etwa 13,8 Millionen Euro liegen, während PSG gut 500 Millionen für diese Saison ausgibt. Glaubt man den Zahlen von „L'Obs“, liegt das Durchschnittsgehalt eines Gazélec-Profis bei 14.000 Euro brutto pro Monat, das verdient PSG-Kapitän Thiago Silva, der pro Jahr inklusive Bonuszahlungen rund 23 Mio. einstreift, in nicht einmal vier Stunden.

Die Korsen veranschlagen für ihren Kader rund vier Mio., 700.000 Euro gehen für das restliche Personal drauf, schildert Olivier Miniconi, der seit 2007 das Präsidentenamt bekleidet. 20.000 davon entfallen auf Erfolgstrainer Thierry Laurey, dessen Gegenüber Laurent Blanc monatlich eine halbe Million lukriert.

Präsident hilft beim Rollrasen-Verlegen mit

Vieles funktioniert in Ajaccio ohnehin nur durch freiwillige Mitarbeiter und den Einsatz jedes Einzelnen. Einen Präsidenten, der eigenhändig den Rollrasen verlegt, findet man andernorts wohl selten.

Präsidenten: Miniconi und Fanfan Tagliaglioli

„Das ist der beste Tag meines Lebens“, strahlte Miniconi mit Tränen in den Augen, als der Aufstieg fixiert wurde. Vielleicht hatte er da noch im Hinterkopf, wie oft man den Platz auf dem gemeinsamen Trainingsgelände räumen musste, wenn AC Ajaccio mit seiner U17 anrückte.

Ein ganzes Spielfeld steht Gazélec immer noch nicht zur Verfügung, der halbe Platz muss reichen, wenn Trainer Laurey und seine Mannen sich auf Duelle mit Paris, Marseille und Lyon vorbereiten. Alleine die Anreise zu den Übungseinheiten, die über einen holprigen Feldweg führt, wäre für Ibra und Co. in ihren Sportwägen schwierig zu bewältigen.

Gespielt wird im Stade Ange Casanova, benannt nach Gründungspräsident André Ange Casanova. Hier wird immer noch mit Hochdruck gearbeitet, um für das Heim-Debüt gegen Angers in einer Woche gerüstet zu sein. Gerade einmal 4045 Zuschauer Platz finden Platz, 2000 mehr sollen es werden. Wobei: In der Vorsaison kamen bei 19 Heimspielen insgesamt knapp 43 000 Zuschauer ins Stadtion, 6000 weniger, als bei PSG ins Parce de Princes passen. Aber das steht ja auch in einer anderen Welt.

 

Christoph Kristandl