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Vom "größten Pub der Liga" zum Rekordmeister

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Manchester United ist einer der größten und erfolgreichsten Fußball-Vereine der Welt.

Manchester United war auch schon ein Top-Klub, bevor Alex Ferguson sich dazu aufmachte, die Vereins-Annalen neu zu schreiben.

Dennoch stellt die Ankunft des Schotten auf der Trainerbank eine derart markante Zäsur in der Geschichte der Red Devils dar, dass viele schon vergessen haben, dass es eine Zeit vor 1986 gab.

In den 25 Jahren, in denen der Verein aus dem Nordwesten Englands und Ferguson gemeinsame Wege gehen, verschmolzen United und „SAF“ zu einer Einheit. Dass einmal ein anderer Mann auf der Trainerbank inmitten des Old Trafford sitzt, ist nur schwer vorstellbar.

LAOLA1 geht deshalb der Frage nach, was Manchester United bis 1986 war, und wie eine Personalie alles zu verändern vermochte.

Der Klub der Arbeiterklasse

Manchester United wurde im Jahr 1878 als Newton Heath LYR Football Club gegründet. Das Kürzel LYR steht dabei für Lancashire and Yorkshire Railway, die Bahnhofsgesellschaft, bei der die ersten Spieler beschäftigt waren, Newton Heath ist der Name des Stadtteils von Manchester.

Mit vier Jahren Verspätung schloss man sich der 1888 gegründeten Football League an, stand aber um die Jahrhundertwende – wie viele Spielgemeinschaften der Fußball-Pionierzeit – aufgrund eines finanziellen Engpasses vor dem Aus.

Den Investitionen des Brauerei-Besitzers John Henry Davies war es schließlich zu verdanken, dass das Fortbestehen gesichert und eine erste Erfolgs-Ära eingeleitet wurde. Aus Newton Heath wurde Manchester United (alternative Namensvorschläge wie Manchester Central und Manchester Celtic wurden verworfen, Rot und Weiß ersetzten Gold-Grün als offizielle Team-Farben).

Nachdem 1906 der Aufstieg in die höchste englische Fußballklasse geglückt war, feierte United 1908 den ersten Meistertitel. Ein Erfolg, an den sich im selben Jahr eine Charity Shield (der heute Community Shield genannte englische Supercup), 1909 ein FA-Cup-Sieg und 1911 schließlich der erneute Triumph in der Meisterschaft anschlossen.

Vom Fahrstuhl-Klub zu den „Busby Babes“

Die Folgejahrzehnte blieben für den Klub, der ab der Saison 1909/10 seine Heimspiele im „Theatre of Dreams“ genannten Stadion im Stadtteil Trafford austrug, allerdings nicht so rosig. 1922 musste ManUtd den Gang in die zweite Liga antreten und benötigte 16 Jahre, um sich endlich in der First Division zu etablieren. 1937/38 war die vorletzte Saison im englischen Unterhaus.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs brach unter Spielleiter Sir Matt Busby eine neue Zeit an. Der 1909 geborene Schotte lenkte die Geschicke der „Red Devils“ knapp 25 Jahre lang und wurde somit Fergusons ideologischer Ziehvater.

Nach vier Vizemeister-Titeln in fünf Jahren und dem Pokalsieg 1948 war man 1952 endlich am Ziel angelangt. Englands Champion hieß zum dritten Mal Manchester United. Busby formte aus vielen jungen Eigenbau-Spielern ein schlagkräftiges Team, das auch 1956 und 1957 den Titel holte.

Der Traum vom ersten Europacupsieg wurde allerdings durch den Absturz des Fluges 609 der British European Airways auf dramatische Weise gestoppt. 23 Personen fanden in München den Tod, darunter acht Spieler des englischen Teams, das sich auf dem Rückweg vom Viertelfinalspiel gegen Roter Stern Belgrad befand.

So dauerte es noch exakt zehn Jahre, ehe eine neue Generation von „Busby Babes“ nach zwei Meisterschaften (1965 und 1967) durch ein 4:1 nach Verlängerung auch den Europapokal der Landesmeister bejubeln konnte.

Jahre des Mittelmaßes

Auf den bis dahin größten Erfolg der Vereinsgeschichte folgte jedoch Busbys Rücktritt und damit verbunden eine lange Zeit des Wartens.

Wilf McGuiness, Frank O’Farrell, Tommy Docherty, Dave Sexton und Ron Atkinson konnten allesamt nicht in die großen Fußstapfen treten, die Busby hinterlassen hatte. Siege im Pokal (1977, 1983, 1985) oder Superpokal stillten weder den Erfolgs-Durst der Fans, noch den der Verantwortlichen.

So übernahm Ferguson im November 1986 einen Verein, der bereits 19 Jahre auf den Gewinn der Meisterschaft wartete, und der den Sprung zum „Fußball-Klub der Moderne“ noch nicht vollzogen hatte.

Aufbruch alter „Tugenden“

Das erste Problem, dem sich der damals 44-Jährige stellen musste, klingt zunächst wie ein schlechter Witz: Alkohol. Die Spieler der damaligen Mannschaft gaben sich in solchem Maße dem Genussmittel hin, dass United als „größtes Pub des englischen Fußballs“ verschrien wurde.

Norman Whiteside, Paul McGrath oder Gordon Strachan waren nur drei der Spieler, für die Fergusons neue „No alcohol“-Politik zugleich das Ende ihrer Fußballer-Tage in der Industriestadt in Nordwest-England bedeuteten.

Alle Kaderspieler mussten sich diesem Credo fügen, oder wurden eben aussortiert. Gemäß der Überzeugung des Trainer-Gurus hätte im Übrigen auch die Karriere von Paul Gascoigne einen anderen Verlauf genommen, wäre es ihm nur gelungen, Englands Skandal-Spieler zu verpflichten.

Mit neuen Strukturen zu neuen Erfolgen

Mindestens genauso nachhaltig war Fergusons zweite Amtshandlung, die Revitalisierung der Jugend- und Scouting-Abteilung. Chef-Scout Joe Brown verfügte im November 1986 über lediglich fünf Mitarbeiter. Wenige Monate später arbeiteten bereits 22 Mann unter dem neuen Youth Development Officer Brian Kidd, seines Zeichens Europacupsieger 1968.

Aus dieser Förderung entsprangen etliche der mehr als 180 Spieler, die unter Ferguson ihr Debüt im berühmten roten Dress gaben. „In die Ausbildung von Jugendlichen Zeit zu investieren, bleibt Priorität bei United. Deshalb hat dieser Klub eine wunderbare Philosophie“, urteilt Eric Cantona über die Nachwuchs-Arbeit Fergusons.

Der Schotte setzte sich den Aufbau völlig neuer Strukturen zum Ziel und widmete sich nahezu jedem Aspekt der Vereinspolitik. Wenn die getroffenen Maßnahmen auch ihre Zeit brauchten, um Früchte zu tragen, so befriedigten sie alsbald die Wünsche von Fans und Vorstand.

Titel über Titel

An den ersten Pokalsieg 1990 reihte sich im folgenden Jahr der Gewinn des Europapokals der Pokalsieger und 1993 endlich die lang ersehnte Meisterschaft. Erfolgsgarant war ausgerechnet Cantona, der im Jahr davor noch mit Leeds United Manchester auf Platz zwei verwiesen hatte.

Der Franzose ist ein Beispiel für das Erfolgsrezept der Ferguson-Ära, dem viele Vereine weltweit nacheifern: „Selbstgemachte“ Stars aus dem eigenen Nachwuchs kombiniert mit hochklassigen Transfers.

Auf diese Weise wurden blutjunge Spieler im fortschreitenden Alter internationale Superstars und wahre Titelhamster. Aus dem Arbeiter-Klub mit Ursprüngen in Newton Heath wurde einer der erfolgreichsten und glamourösesten Vereine der Welt mit Abertausenden Anhängern von Südamerika bis Ostasien.

Durch die 13 Meisterschaften, zu denen Ferguson seine Schützlinge neben 25 weiteren Titeln (allen voran die Champions-League-Siege 1999 und 2008) führte, trägt United mit 20 Titeln zudem allein das prestigereiche Prädikat „Rekordmeister“.

Was wie der Höhepunkt einer einzigartigen Erfolgsstory klingt, scheint für Sir Alexander Chapman Ferguson nur ein weiterer schöner Nebeneffekt seiner Arbeit.

 

Christian Eberle