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Die Höhenluft der Anden als 13. Mann

Die Höhenluft der Anden als 13. Mann

Die Lunge brennt, die Kraft in den Beinen lässt schnell nach. Auch der Kopf bekommt zu wenig Sauerstoff – die Umgebung beginnt etwas zu wackeln.

Jeder, der schon einmal in großer Höhe Sport betrieben hat, kennt das Gefühl. Solange man sich nicht an die Höhenluft gewöhnt hat, braucht jede schnellere Bewegung besonders viel Kraft und Überwindung.

Nach einigen Wochen weit über dem Meeresspiegel stellt sich der Körper langsam auf das unwirtliche Umfeld ein. Das Lungenvolumen nimmt zu, die roten Blutkörperchen vermehren sich.

Der Ball verhält sich anders

Man schafft es kurz gesagt, den geringen Sauerstoff der Höhenluft viel effizienter zu verarbeiten. Viele Ausdauersportler nützen diesen Effekt, um sich auf Wettkämpfe im Flachland vorzubereiten. Auch das Doping mit in der Höhe abgenommenem Eigenblut verstärkt die Leistungsfähigkeit in der Ebene.

Aber auch im Fußball spielt die Seehöhe oft eine entscheidende Rolle. Dabei geht es nicht nur um die körperlichen Anpassungs-Schwierigkeiten vieler Auswärtsteams. Durch die dünne Höhenluft ist der Luftwiderstand deutlich geringer als in tieferen Lagen, was die Flugbahn eines Balles stark verändern kann.

Für Teams, die sehr weit über dem Meeresspiegel beheimatet sind, erhält der Heimvorteil neben der Unterstützung der eigenen Fans also eine zweite Dimension.

Ecuadors hohe Festung

Ein Musterbeispiel dafür stellt Ecuadors Nationalmannschaft dar. Obwohl das Land bevölkerungsmäßig zu den kleineren auf dem südamerikanischen Subkontinent gehört, schafft es die „Tri“ immer wieder, sich für Weltmeisterschaften zu qualifizieren.

Zuletzt 2002 und 2006. Auch in der aktuellen Qualifikation für die WM in Brasilien 2014 liegt Ecuador voll auf Kurs und belegt hinter Argentinien und Kolumbien den dritten Platz.

Der gemeinsame Nenner bei all diesen Erfolgen ist die Heimstärke, die nicht allein durch die Unterstützung der Fans im „Estadio Olímpico Atahualpa“ erklärt werden kann.

Die Hauptstadt Quito, wo das Nationalstadion steht, liegt 2.850 Meter über dem Meeresspiegel – eine Tatsache, die vielen Gegnern zu schaffen macht.

Heimsiege gegen Argentinien und Brasilien

Bei der erfolgreichen Qualifikation zur WM 2006 in Deutschland mussten sowohl Brasilien (0:1) als auch Argentinien (0:2) und Paraguay (2:5) mit leeren Händen die Heimreise antreten. Insgesamt beendete Ecuador das Qualifikations-Turnier ohne Heimniederlage (sieben Siege, zwei Unentschieden). Zum Vergleich: Auswärts gingen gleich sechs der neun Partien verloren.

Auch in der aktuellen Qualifikation ist ein ähnliches Bild zu erkennen. Zuhause ist Ecuador mit fünf Siegen aus fünf Spielen makellos, auswärts warten Antonio Valencia und Co. nach vier Partien noch auf den ersten Dreier.

Im Hintergrund: Quitos Hausberg Pichincha (4.700 Meter)

Dennoch stimmen sich die Fans in Quito vor jedem Heimspiel im „Estadio Olímpico Atahualpa“ unter anderem mit einem Lied ein, dessen Refrain lautet: „Wir sind mehr als nur die Höhe.“ Der 3:2-Auswärtssieg im Testspiel gegen Portugal Anfang Februar deutete die fußballerische Klasse des Teams von Trainer Reinaldo Rueda zumindest an.

Messis Blamage in La Paz

Für Paraguay wird das anstehende Qualifikationsspiel in Ecuador auf jeden Fall eine sehr schwere Aufgabe – ob nun wegen der Klasse des Gegners oder wegen der Höhenlage des Stadions.

Auch Bolivien zählt zu den Nationalteams, die von der Seehöhe ihrer Spielstätte besonders profitieren. Zwar kann der Andenstaat nicht die gleichen Erfolge wie Ecuador aufweisen, dennoch haben viele Gegner in La Paz – ca. 3.600 Meter über dem Meeresspiegel – einige Mühe.

Nennenswert ist die 1:6-Auswärtsniederlage Argentiniens im April 2009. Lionel Messi meinte nach dem Debakel sogar, dass es „unmöglich“ sei, in dieser Höhe zu spielen.

„In der Höhe ist es schrecklich“

In der Nacht auf Mittwoch hat die „Albiceleste“ die Chance, sich für die Blamage beim letzten Auftritt in Bolivien zu revanchieren und den ersten Platz abzusichern. Die Luft in La Paz ist aber noch immer genauso dünn wie vor vier Jahren. 

Messi erwartet erneut eine schwere Partie, gibt sich aber optimistisch: „Wir wissen alle, was passiert ist, als wir das letzte Mal dorthin fuhren – wir haben 1:6 verloren. In der Höhe ist es schrecklich. Du machst einen Sprint und erholst dich nicht mehr davon. Aber es gibt auch viele Teams, die nach La Paz fuhren und dort gewannen – Argentinien kann das Gleiche tun.“

2007 reagierte die FIFA auf die Problematik von Spielen in großer Höhe. Mit Verweis auf die gesundheitlichen Risiken der Gäste wollte der Weltverband Länderspiele über 2.500 Metern Seehöhe verbieten.

Mehr als nur die Höhe?

Boliviens Präsident Evo Morales protestierte auf seine Art gegen die geplante Regelung: Der heute 53-Jährige nahm an einem Fußballspiel in 6.000 Metern Seehöhe teil und erzielte laut der staatlichen Nachrichtenagentur das einzige Tor der Begegnung.

Der Widerstand von Bolivien, Ecuador und anderen Ländern mit hoch gelegenen Spielstätten verhinderte den Plan der FIFA letztendlich.

Für Bolivien liegt die WM in Brasilien trotz des Höhenvorteils wohl außer Reichweite – auch ein Heimsieg gegen Argentinien würde das vermutlich nicht ändern. Ecuador liegt nach 9 von 16 Qualifikations-Spielen hingegen voll auf WM-Kurs.

Spätestens in Brasilien müssen Valencia und seine Teamkollegen zeigen, wie viel „mehr als nur die Höhe“ sie tatsächlich sind.

 

Manuel Preusser