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Von der Wiener Hakoah zu Weltruhm: Bela Guttmann

Von der Wiener Hakoah zu Weltruhm: Bela Guttmann

Wien, am 22. Mai 1990: Der große Eusebio ist auf dem Weg nach Simmering.

Am Zentralfriedhof will der portugiesische Jahrhundert-Fußballer das Grab von Bela Guttmann besuchen. Jenen Trainer, unter dem er knapp 30 Jahre zuvor bei Benfica debütierte. 

Mit im Gepäck hat Eusebio eine Bitte: Guttmann möge doch so lieb sein und den Fluch zurücknehmen, den er 1962 bei seinem Abgang aus Lissabon aussprach.

Der Sturkopf zeigte aber auch diesmal keine Gnade. Einen Tag später verlor Benfica im Praterstadion das Finale des Europapokals der Landesmeister gegen den AC Milan mit 0:1. Es war die sechste Endspiel-Niederlage im Europacup in Folge. Mittlerweile kam mit der Pleite gegen Chelsea im letzten Jahr eine weitere hinzu. Der Guttmann-Fluch hält bis heute an (Das EL-Finale Benfica-Sevilla heute, ab 20:45 Uhr, im LIVE-Ticker). 

Ein einzigartiger Trainer

In den 1950er-Jahren hatte die ungarisch-jüdische Trainer-Legende noch keine Ahnung davon, dass sie selbst nach ihrem Tod für Schlagzeilen sorgen würde. Damals musste sich Guttmann, der 1899 in Budapest zur Welt kam, mit den Intrigen des italienischen Fußballs herumschlagen. Der AC Milan feuerte ihn 1955 mitten in der Saison trotz eines Platzes an der Tabellenspitze. „Man hat mich entlassen, obwohl ich weder kriminell noch homosexuell bin. Auf Wiedersehen!“, kommentierte er seinen Abschied süffisant. 

Guttmann hatte vom europäischen Fußball-Zirkus erst einmal genug. Er nahm ein Angebot seines ehemaligen Schützlings Ferenc Puskas an. Dessen Team Honved Budapest weigerte sich nach einem Europacup-Auswärtsspiel aus politischen Gründen nach Ungarn zurückzukehren. Stattdessen gingen Puskas und Co. auf Lateinamerika-Tournee. Guttman wurde dafür als Trainer engagiert. 

Während die Spieler der Exilmannschaft bald wieder zurück nach Europa aufbrachen, ließ sich ihr Coach in Brasilien nieder. Guttmann fand 1957 beim FC Sao Paulo eine neue Herausforderung. Eine Aufgabe, die sowohl ihn als auch den brasilianischen Fußball nachhaltig prägen sollte.

Di Feola führte Brasilien zum 1. WM-Titel

Sein Sportdirektor Vincente di Feola, der vor der WM 1958 zum Nationaltrainer Brasiliens bestellt wurde, übernahm das System für die „Selecao“. Es sollte Pele und Co. 1958 in Schweden zum ersten Weltmeister-Titel führen, vier Jahre später in Chile sogar zur erfolgreichen Titelverteidigung.

Schon zum Zeitpunkt des ersten WM-Erfolgs war Guttmann längst wieder zurück in Europa. Der ÖFB hatte ihn mit einem Angebot nach Wien gelockt, doch letztlich wurde nichts aus einem Engagement als österreichischer Teamchef.

Benfica wird zu Guttmanns bestem Cocktail

Stattdessen ging Guttmann nach Portugal. Eine Entscheidung, die er nicht bereuen sollte. Nach einem überraschenden Meistertitel mit dem FC Porto verpflichtete ihn 1959 Benfica Lissabon.

Ungarische Revolution in Brasilien

„Zu behaupten, Guttmann hätte den brasilianischen Fußball erfunden, würde den Bogen überspannen, aber das hat ihn nicht daran gehindert, es zu versuchen“, schreibt Jonathan Wilson. Der renommierte englische Fußball-Autor weist damit auf jene „ungarische Revolution“ hin, die Guttmann in Brasilien auslösen sollte.

Von fünf Weltmeister-Titeln war die „Selecao“ damals weit entfernt. 1950 hatte man die Heim-WM im letzten Spiel gegen Uruguay verspielt. Vier Jahre später schied man in der „Schlacht von Bern“ gegen Ungarn aus.

Puncto Technik, Ballartistik und Dribblings machte den brasilianischen Straßenfußballern niemand etwas vor, aber es fehlte an Effektivität. „Wie Artisten, ja echte Künstler des Fußballs sind die Brasilianer, aber sie verstehen ihre hohe Kunst nicht auszuwerten! Wenn sie auch noch schießen könnten, wären sie unbesiegbar“, diagnostizierte Guttmann.

Also brachte der Sohn eines jüdischen Tanzlehrer-Paares seinen Spielern beim FC Sao Paulo das Schießen bei. Zudem professionalisierte er die Trainingsbedingungen und führte strenge Disziplinar-Regeln ein. „Für Leistungsspieler, die 60 bis 70 Spiele in der Saison zu absolvieren haben, ist das Nachtleben wie Gift“, predigte der damals 58-Jährige, der den Trainer-Job mit dem eines Löwen-Dompteurs verglich.

Mit Guttmanns System zum ersten WM-Titel

Vor allem aber wurde Guttmann als jener Mann bekannt, der das 4-2-4 nach Brasilien brachte. Der Weltenbummler kannte die Formation von der ungarischen Nationalmannschaft. Er führte sie beim FC Sao Paulo ein und gewann damit die „Paulista“, die Staatsmeisterschaft von Sao Paulo.

Guttmann-Schützling Eusebio verstarb im Jänner dieses Jahres

Noch heute gilt der 5:3-Erfolg Benficas in Amsterdam als eines der besten Fußball-Spiele aller Zeiten. Es war das Ende von Reals grandiosem Team der 1950er-Jahre und gleichzeitig die Geburtsstunde des Mythos Eusebio, der innerhalb weniger Monate vom schwarzen Straßenfußballer aus Mosambik zum Weltstar aufstieg. 

Guttman wollte sich die Titelverteidigung mit einer Bonus-Zahlung vergüten lassen. Das Präsidium verwehrte ihm aber die Gehaltserhöhung. Das konnte der stolze Guttmann nicht auf sich sitzen lassen. Im Zorn verließ er noch vor dem anstehenden Pokal-Finale Lissabon und sprach dabei seine wohl berühmtesten Zeilen aus: „Benfica soll in den nächsten hundert Jahren keinen europäischen Titel mehr gewinnen.“

Im Spätherbst am Verteilerkreis

An die Erfolge in dieser Zeit konnte Guttman nie wieder anschließen. Nach einer Saison in Uruguay und einem Intermezzo als österreichischer Teamchef kehrte er 1965 zu Benfica zurück, wo er jedoch vorzeitig wegen sportlichen Misserfolgs entlassen wurde.

„In meiner langen Laufbahn habe ich viele Länder bereist und in einigen auch gearbeitet. Wenn ich irgendwo im Fußball etwas Gutes sah, dann habe ich es sofort gestohlen und für mich behalten. Nach einer Weile mixte ich mir einen Cocktail von diesen gestohlenen Delikatessen“, meinte Guttmann einmal. Insgesamt arbeitete der Exzentriker in zwölf Ländern und coachte 23 unterschiedliche Klubs, aber nirgendwo war er so erfolgreich wie bei Benfica.

Dort gelang es dem ausgebildeten Tanzlehrer die verschiedenen Stilelemente, die er in Brasilien und anderen Länder aufgenommen hatte, zu einem perfekten Offensiv-Tango zusammenzufügen. „Er konnte mit seinen jungen Spielern, die sich an brasilianischen Idealen orientierten, eine ganz neue Mannschaft kreieren“, schreibt Detlev Claussen in seinem Buch „Bela Guttmann: Die Weltgeschichte des Fußballs in einer Person“. 

Das Jahrhundert-Spiel von Amsterdam 

Mit Benfica holte Guttmann 1960 das Double. Ein Jahr später machte er die Lissaboner zum ersten Klub, der den Europapokal der Landesmeister nach Real Madrids fünfjähriger Vorherrschaft gewinnen konnte. Im Finale zog Favorit Barcelona mit 2:3 den Kürzeren. Das Highlight seiner Karriere hatte Gutmann jedoch noch vor sich. 

1962 erreichte Benfica erneut das Endspiel. Diesmal war das legendäre Real Madrid der Gegner. Nach drei Puskas-Toren lag Benfica zur Halbzeit 2:3 zurück, doch mit einem Doppelpack innerhalb von drei Minuten entschied der 20-jährige Eusebio das Spiel zu Gunsten der Portugiesen.

Guttmann galt als echtes Original

Eine seiner letzten Trainer-Stationen war 1973 die Austria. Guttmann, der den Großteil seiner Spieler-Karriere bei der Hakoah verbrachte und mit dem jüdischen Klub 1925 österreichischer Meister wurde, kam mit dem Engagement einer Bitte seines Freundes Joschi Walter nach.

Der damals 17-jährige Herbert Prohaska erinnert sich: „Er war offiziell nicht Trainer, sondern technischer Direktor. Trotzdem hat er sich sofort die Laufschuhe angezogen, um mit Mantel und Anzug das erste Training zu leiten.“

Noch heute erzählen sich die Austria-Legenden gerne das ein oder andere Schmankerl über den exzentrischen Coach. Seinen Zenit hatte Guttmann damals jedoch schon längst überschritten, auch aus gesundheitlichen Gründen. „Er war sicher einmal einer der ganz Großen seiner Zunft, aber nicht mehr bei uns“, so Prohaska.

Vergleiche mit Mourinho

Guttmann, der den Holocaust überlebte, starb am 28. August 1981 in Wien - der Stadt, die er liebte. Er war einer der ersten Fußballlehrer, die Weltruhm erlangten. Aufgrund seiner polarisierenden Art wird er manchmal mit Jose Mourinho verglichen, wenngleich Guttmann stets den Offensiv-Fußball predigte.

Seine Spuren sind bis heute sichtbar. Ohne ihn würde Brasilien 2014 nicht um den sechsten WM-Titel spielen und Benfica im Europa-League-Finale nicht gegen einen Fluch kämpfen.

Wer in diesen Tagen Benfica-Fans am Zentralfriedhof antrifft, kennt deren Ziel. 

 

Jakob Faber