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"Abkömmling" Atletico trifft auf "Mutter" Athletic

Die totale iberische Dominanz der Europa League, die bereits in den vergangenen Jahren vorherrschte, setzt sich auch in dieser Saison fort.

Zum zweiten Mal in Folge stehen zwei Vereine aus einem Land im Finale der Europa League (Am Mittwoch ab 20:30 im LIVE-Video auf laola1.tv). Atletico Madrid und Athletic Bilbao weisen aber noch eine weitaus tiefere Verbindung zueinander auf, als nur dasselbe Heimatland. Die beiden Klubs haben eine gemeinsame Geschichte.

Bilbao als Anschlusspunkt mit England

Wir befinden uns in der Zeit um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Die baskische Hafenstadt Bilbao steht aufgrund der zahlreichen ein- und auslaufenden britischen Handelsschiffe unter starkem Einfluss der englischen Kultur. Zudem ziehen die Werften und Minen im Baskenland englische Arbeiter an.

Im Gegenzug gehen baskische Studenten nach England, um die dortigen Universitäten zu frequentieren. So schwappen nicht nur Sportarten wie Tennis und Radsport von der Insel auf den Süden Europas über, auch der Fußball hält Einzug in den Straßen Bilbaos.

Eine Gruppe von Gymnasiasten schließt sich im Jahre 1898 zu einer Fußballmannschaft zusammen, daraus erfolgt am 5. April 1901 die offizielle Gründung des „Athletic Club Bilbao“.

Madrilenen und Basken bilden ein Team

Rund 400 Kilometer weiter südlich lebt in Madrid eine kleine Kolonie von Basken, die für eine große Verbindung zwischen Bilbao und der Hauptstadt sorgen. Die Freundschaft zwischen den Bewohnern der beiden Städte drückt sich auch dadurch aus, dass in der Mannschaft des Athletic Club Bilbao Spieler aus beiden Städten gemeinsam Fußballspiele bestreiten.

Zur Krönung von König Alfonso XIII. wird im Jahre 1902 ein landesweiter Pokalbewerb ausgetragen, die Copa de la Coronacion (Krönungspokal), Vorläufer der Copa del Rey.

Die Spieler aus Bilbao berücksichtigen ihre Kollegen aus Madrid für dieses Turnier nicht, sondern treten gemeinsam mit dem FC Bilbao – einem von englischen Arbeitern in den frühen 1890er Jahren gegründeten Verein – an.

Triumph für Bilbao, enttäuschtes Madrid

Die Fusion zwischen FC und Athletic Bilbao setzt sich im Finale des Pokals gegen den FC Barcelona durch und beschert dem Baskenland den ersten Titel der frühen spanischen Fußballgeschichte. Aufgrund des Erfolges wird die Zusammenlegung der beiden Vereine aus Bilbao endgültig vollzogen, der FC integriert sich in Athletic.

Die Spieler aus Madrid hingegen sind von ihrer Nichtberücksichtigung enttäuscht und entschließen sich zur Gründung eines eigenen Vereins. Am 26. April 1903 kommt es so zur Entstehung von Atletico Madrid, als Ableger des Muttervereins aus Bilbao.

1904 gibt es das erste Freundschaftsspiel zwischen den beiden Teams. Erst 1907 bestätigt der spanische Verband die volle Unabhängigkeit Atleticos vom Mutterverein aus Bilbao. Fortan sollten sich die Geschichten der beiden Klubs trennen.

Auch der Ex-ÖFB-Internationale Gerhard Rodax spielte für Atletico
Große Erfolge und große Niederlagen

Atletico hingegen war 1939 sogar mit dem Team von Francos Luftwaffe fusioniert worden und hieß bis Ende 1946 "Atletico Aviacion". Große Erfolge gab es während der Franco-Diktatur freilich nur sporadisch, etwa 1973, als unter dem Österreicher Max Merkel der Titel eingefahren wurde.

Von 1987 bis 2003 hatte dann der ebenso exzentrische wie bisweilen halbseidene Unternehmer Jesus Gil y Gil das Sagen. Er holte 1990 nicht nur den Niederösterreicher Gerhard Rodax zu den "Rojiblancos". Auch Star-Trainer wie Arrigo Sacchi, Radomir Antic und Claudio Ranieri gaben sich unter Gil die Klinke in die Hand. Die Bilanz hatte eine Bandbreite vom Meistertitel 1996 bis zum Abstieg im Jahr 2000.

Die rot-weißen „Matratzenmacher“

Stichwort "Rojiblancos": Eine weitere Gemeinsamkeit von Atletico Madrid und Athletic Bilbao sind die Trikots. Beide Vereine liefen ursprünglich in blau-weißen Dressen auf und wechselten erst 1910 bzw. 1911 auf die rot-weiße Leibchen. Legenden, wie es zu dem Farbenwechsel kam, gibt es mehrere.

Eine besagt, dass Sportdressen damals gerne aus dem besonders strapazierfähigen Stoff für Matratzen hergestellt wurden. Und die hatten in Spanien meist rote und weiße Streifen. Für diese Version spricht, dass die Atletico-Spieler bis heute den Spitzname "Colchoneros" tragen. Das kann in etwa mit "Matratzenmacher" oder "Matratzenhändler" übersetzt werden.

Besondere Personalpolitik

Athletic entschied sich im Laufe seiner Historie, einen Weg zu gehen, der im Profi-Fußball seinesgleichen sucht. Bei Athletic Bilbao dürfen nur Basken spielen. Was einen waschechten Basken ausmacht, ist mitunter freilich breit auslegbar. Ein baskischer Großvater tut es auch. Auch wer einfach im Baskenland geboren wurde, darf bei Athletic mitmachen.

Es ist aber an sich schwierig, den Basken oder die Baskin an sich zu definieren. Die baskischen Gebiete umfassen Euskadi (spanische Baskenprovinzen Guipuzcoa, Vizcaya und Alava), Navarra und den südfranzösischen Teil des Baskenlandes (Iparralde). Dadurch ist etwa auch das Gastspiel von Bixente Lizarazu in der Saison 1996/97 bei Athletic zu erklären.

Im spanischen Teil leben rund 2,7 Millionen Menschen, von denen sich etwa die Hälfte als Basken definieren. Allerdings sprechen laut Statistik nur rund 30 Prozent auch wirklich Baskisch (Euskera). Im französischen Baskenland leben rund 250.000 Menschen, von denen ebenfalls etwa ein Drittel der baskischen Sprache mächtig ist.

Die besonderen Gegebenheiten in Bilbao haben aber auch ihr Gutes, wie der ehemalige Athletic-Coach Radoslav Stepanovic einmal festhielt: "Ist doch super, Fehleinkäufe gibt es nicht."

Athletics Ausdruck politischer Position

Zweifellos ist die selbst auferlegte Kasteiung aber auch ein Hemmschuh, der bisher letzte Meistertitel des Athletic Clubs datiert aus dem Jahr 1984. Allerdings traut sich niemand, ernsthaft über eine Abschaffung nachzudenken.

Es handelt sich schließlich auch um eine politische Manifestation. Eine besondere Rolle spielte das klubeigene San Mames-Stadion nämlich zur Zeit der Franco-Diktatur, die Minderheiten wie Basken oder Katalanen unter der Knute hielt.

Für überzeugte Basken war es der vielleicht einzige Ort, ungeschoren ihre Meinung kundzutun: "Steh auf, Athletic", skandierten sie in Richtung Polizei, "und wer will, versteht schon, was gemeint ist." Und ein Sieg gegen Real Madrid, den Lieblingsclub von Generalissimus Francisco Franco, war natürlich auch ein Widerstandsakt gegen die Diktatur.

Atletico sollte Francos Vorzeige-Verein werden

Womit die politischen Differenzen mit dem ehemaligen Abkömmling Atletico manifest werden. Im Grunde nämlich hatte Franco nach dem Sieg im Spanischen Bürgerkrieg (1936-39) eigentlich Atletico Madrid zum Vorzeigeverein des Regimes machen wollen.

Die Zuneigung Francos zu Real wurde erst mit den Erfolgen in den 1950er und 60er Jahren geweckt, als das "weiße Ballett" sechsmal den Europacup der Meister gewann, und sich der "Generalisimo" im internationalen Ruhm gleich ein wenig mitsonnen konnte.

Bezeichnend ist auch, dass auf das Attribut "Real", also "Königlich", im Vereinsnamen auch zu Zeiten der Diktatur nie verzichtet wurde.