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Der Erhalter und der Erneuerer

Der Erhalter und der Erneuerer

Der eine gilt als guter Onkel, als Relikt vergangener Tage.

Der andere wird als Kulturrevolutionär gefeiert, als Erneuerer.

Der eine ist Vicente del Bosque, 61 Jahre alt, ein gemütlicher Mann aus Salamanca.

Der andere Cesare Prandelli, 54 Jahre alt, ein echter Gentleman aus der Lombardei.

Beide Teamchefs, beide im Finale der EURO 2012, beide die richtigen Männer am rechten Ort zur rechten Zeit.

Dabei konnten die Voraussetzungen, unter denen sie ihre Ämter antraten, unterschiedlicher nicht sein.

Alles bleibt

Als sich del Bosque Mitte Juli 2008 auf die Bank setzte, stand der spanische Fußball am Gipfel. Die Iberer, denen nachgesagt wurde, niemals Titel gewinnen zu können, hatten sich bei der EURO 2008 nicht nur in die Herzen der Fans, sondern auch auf den Thron gespielt.

Als Luis Aragones‘ Nachfolger musste er erhalten, nicht schaffen. „Was nicht kaputt ist, muss man auch nicht reparieren“, sagte der Mann aus Salamanca damals.

Alles neu

Zwei Jahre später wurde Prandelli Italiens Coach. Italiens Fußball lag auf dem Boden. Mit einem blamablen 2:3 gegen die Slowakei war die „Squadra Azzurra“ soeben bei der WM 2010 in der Vorrunde gescheitert. Pessimismus regierte.

„Ich glaube kaum, dass wir uns für die EM qualifizieren können. Um aus diesem Tief wieder herauszukommen, werden wir länger als bloß zwei Jahre brauchen“, war sich Gianluigi Buffon sicher. Marcello Lippis Nachfolger musste aus einer satten Altherren-Truppe etwas Neues erschaffen.

Beide haben ihre Aufgaben mit Bravour erfüllt.

Der Anti-Mourinho

Del Bosque mimte den unaufgeregten Mann, der mit allen herzlich umgeht, nicht unnötig provoziert und seinen Spielern schlichtweg Spaß am Spiel vermittelt. In Spanien nennen sie ihn den Anti-Mourinho.

Tatsächlich braucht es gerade in einer Zeit wie dieser so einen Trainer. Auf Klub-Ebene wird die Rivalität zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid immer erbitterter, immer hässlicher. Stehen sich die Kicker auf dem Feld gegenüber, geht es beinhart zu, abseits werden unschöne Phrasen gedroschen.

Doch sobald sie sich unter den Fittichen des 61-Jährigen befinden, ist all das vergessen, sind die Spanier ein Team, eine echte Einheit. Egal, ob Basken, Katalanen oder aus dem Zentrum des Landes.

Der Anti-Lippi

Wenn del Bosque der Anti-Mourinho ist, ist Prandelli das Gegenstück zu Lippi. Hatten sich die „Azzurri“ unter dem WM-Erfolgscoach von 2006 noch eingeigelt, sämtliche Einflüsse von außen misstrauisch beäugt, öffnete der neue Coach das Nationalteam.

Es war bitter nötig, denn der Rückhalt in der Bevölkerung war nicht mehr gegeben. Doch der 54-Jährige tat alles, um die Gunst der Tifosi zurückzugewinnen. Da wurde etwa ein Gefängnis in Florenz besucht oder ein Training auf einem Platz in Kalabrien, der erst kurz zuvor der Mafia abgetrotzt worden war, absolviert.

„Viele haben sich darüber gewundert, obwohl das jeder gemacht hätte, dem es finanziell möglich gewesen wäre. Aber im Fußball herrscht nun mal keine Normalität“, blickt Prandelli, dessen Sohn Niccolo Teil des Trainerteams ist, zurück.

2007 verstarb Manuela Caffi schließlich. Ganz Italien nahm Anteil an ihrem tragischen Schicksal. Mittlerweile hat der Coach eine neue Lebensgefährtin. „Das menschliche Ziel ist Glück“, sagt er.

Vermittelte Werte

Del Bosque dürfte es nicht anders sehen. Beide vermögen ihren Mannschaften diese Werte auch zu vermitteln.

Destruktives hat in ihren Philosophien keinen Platz, die Schönheit des Spiels steht im Vordergrund.

Der eine hat sie erhalten, der andere erschaffen.


Harald Prantl

Wer sich auf oder abseits des Platzes nicht korrekt benahm, flog zwischenzeitlich aus dem Kader. Das mussten unter anderem auch Mario Balotelli und Daniele de Rossi feststellen.

„Wir sind privilegiert. Wenn man uns um ein Foto oder ein Autogramm bittet, darf uns das nicht nerven“, impft er seinen Schützlingen stets ein. Diese haben an dem Gentleman einen Narren gefressen, selbst „enfants terribles“ wie Antonio Cassano und Balotelli leisten sich im Nationalteam keine Sperenzchen, schwärmen nur in höchsten Tönen von ihrem Coach.

Was beide Teamchefs auszeichnet, ist die Engelsgeduld, mit der sie zu Werke gehen.

Der Grund dafür mag sein, dass beide wissen, dass Fußball nicht alles im Leben ist. Es gibt Wichtigeres.

Del Bosques Familie

Del Bosque musste als Kind mitansehen, wie sein Vater seinen Beruf bei der Eisenbahn nicht mehr ausüben durfte, weil er zu Francos Zeiten ein Oppositioneller war. Der Bruder des Trainers starb an Krebs.

Und sein drittes Kind, Alvaro, kam 1989 mit dem Down-Syndrom zur Welt. „Anfangs haben wir viel geweint. Wenn ich ihn mir jetzt so anschaue, denke ich: Waren wir damals dämlich“, sagte der Coach einmal.

Prandellis Frau

Auch Prandelli, dessen richtiger Vorname eigentlich Claudio ist, war vor Schicksalsschlägen nicht gefeit. 1999 wurde bei seiner Frau Brustkrebs diagnostiziert.

Als sich der Zustand seiner Jugendliebe verschlechterte, löste der „Zauberer von Orz“, wie er aufgrund seines Heimatortes Orzinuovi genannt wird, 2004 nur zwei Monate nach der Vertragsunterzeichnung bei der AS Roma das Dienstverhältnis wieder auf.