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Fokus auf die Torrichter

Fokus auf die Torrichter

Es war 2009, als das Experiment „Torrichter“ aufkam und erstmals in der Europa League ausprobiert wurde.

Die hinter den Toren postierten Unparteiischen hätten die Aufgabe, Strafraum und Strafraumnähe zu beobachten. Sie dürften auch auf den Platz, müssen aber stets hinter dem letzten Spieler sein.

Entscheidungsbefugnis hätten sie keine, deswegen auch keine Fahne in der Hand. Mit dem Referee seien die Torrichter, die offiziell „Additional Assistant Referees“ heißen, aber in Funkverbindung.

Verfechter Platini

Vor allem UEFA-Präsident Michel Platini steht seit Beginn an hinter diesem Test.

„Weitere vier Augen sehen mehr. Wir haben keine Krise des Schiedsrichterwesens, wir haben eine Krise des Nicht-Sehen-Könnens bei der heutigen Geschwindigkeit des Spiels“, meinte der Franzose vor drei Jahren.

2010 wurden die Torrichter auch in der Champions League eingesetzt, zwei Jahre später nun auch erstmals bei einer Europameisterschaft. Die FIFA verzichtete darauf bei der WM 2010.

Fauxpas in Donetsk

Zeitsprung: Es ist der 19. Juni 2012. In der Ukraine trifft der Gastgeber auf England und kämpft im alles entscheidenden Gruppenspiel um den Aufstieg ins Viertelfinale.

Die Gäste führen durch Wayne Rooney kurz nach der Pause, die Hausherren brauchen in Donetsk noch zwei Tore, um den Aufstieg zu fixieren. In der 63. Minute haben sie den Ausgleich geschafft.

Vermeintlich. Denn der Ball von Marko Devic ist zwar im Tor, doch die Referees geben den Treffer nach der Rettungsaktion von John Terry nicht. Obwohl das Leder mit vollem Umfang hinter der Linie ist.

Für einen Hauptschiedsrichter und einen Assistenten de facto unmöglich zu sehen, nicht aber für einen Torrichter, der 5,5 Meter daneben steht und freie Sicht hat. Istvan Vad hat es nicht gesehen…

Blochin außer sich

Der 37-jährige Ungar, der den europäischen Top-Referee Viktor Kassai unterstützte, gab das offenkundig so weiter. Im Stadion wurden die Wiederholungen auf den Screens rechtzeitig unterbrochen, aber es drang auch bei den Fans mehr und mehr durch. Spätestens als sich Oleg Blochin maßlos ärgerte.

Auch nach dem Schlusspfiff kannte der Ärger des Ukraine-Teamchefs, der während des Spiels ohne Ende polterte, keine Grenzen.

„Sie haben uns ein Tor nicht gegeben, ein Tor gestohlen. Die Schiedsrichter sind schuld, denn wir waren die bessere Mannschaft in der ersten und in der zweiten Hälfte.“

Sein Superstar Andreij Shevchenko meinte: „Der Treffer hätte das Spiel verändert. Ich denke nicht, dass es Diebstahl war, aber ich verstehe nicht, warum wir keine Technologie benutzen."

Kurios: Hätte der Assistent beim weiten Pass in die Spitze zuvor – berechtigt – auf Abseits entschieden, die folgende Diskussion wäre nicht aufgekommen. Nun ist sie umso heißer.

England kennt sich damit aus

Während die Ukrainer auf den Offiziellen nicht wütender hätten sein können, verweisen die Engländer auf die jüngere Geschichte.

Der nicht berücksichtigte Innenverteidiger Rio Ferdinand twitterte fast postwendend.

„Das ist Karma für das, was in Südafrika passiert ist – in beiden Fällen war der Ball hinter der Linie.“

Der Manchester-Star spielte auf das „Tor von Bloemfontein“ an, als im Achtelfinale gegen Deutschland ein Lampard-Schuss noch viel deutlicher als am Dienstag hinter der Linie war, aber das Referee-Trio den Ausgleich zum 2:2 nicht gab. England verlor letztlich klar mit 1:4.

Damals wurde es ohne Torrichter nicht gesehen, nun mit nicht.

Skeptiker und Kritiker haben diesbezüglich nun wieder Hochsaison. „Für mich sind es erst mal nur zwei Pinguine mehr auf dem Platz“, meinte Ex-Rapid-Coach Peter Pacult schon 2009.

Internationales Board tritt zusammen

Die nächsten Tage werden interessant. Vor allem Platini wird sich eine gute Argumentation einfallen lassen müssen, denn der UEFA-Boss ist Verfechter des Fußballs ohne technische Hilfsmittel und der Torrichter.

„Ich bin gegen Technik im Fußball allgemein. Wo fangen wir an, wo hören wir auf?", erklärte der 56-Jährige.

„Es ist immer besser, Menschen einzusetzen, die Situationen bewerten können, zum Beispiel bei einem Handspiel“, hielt Platini einmal in der „Welt am Sonntag“ fest.

Dass Torrichter auch nach solchen Aktionen, wie Hands und Fouls im Strafraum, bei nicht gegebenen Elfmetern in der Kritik stehen, ist ein nicht unwesentliches Nebenprodukt.

Dahingehend interessant: Am 2. Juli tritt das für Regelfragen zuständige International Football Association Board (IFAB) in Kiew zusammen, um grundsätzlich zu entscheiden, ob technische Hilfsmittel im Fußball künftig zum Einsatz kommen sollen.

Die FIFA geht in eine andere Richtung als die UEFA und Platini und will für die WM 2014 eine Torkamera. „Wir wollen das System für die WM etabliert haben“, sagte etwa im März der FIFA-Generalsekretär Jerome Valcke.

Noch am Montag erklärte Platini, der den menschlichen Fehler zum Fußball zählt, die EURO sei „das Turnier mit den besten Schiedsrichterleistungen bisher“.

Am Donnerstag feiert der UEFA-Präsident seinen 57. Geburtstag. Geschenk war dieser Dienstagabend keines. Weder für Platini noch für Gastgeber Ukraine.