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Die Töne der Könige

Die Töne der Könige

Milliarden Menschen haben dieses Stück Musik schon gehört. Doch seinen genauen Text kennt so gut wie niemand. Und aus wessen Feder es stammt, weiß praktisch auch keiner.

Es ist der Moment, in dem erwachsene, muskelbepackte Männer wie kleine Kinder strahlen. Der Moment, in dem Fans eine Gänsehaut bekommen. Und der Moment, in dem Cristiano Ronaldo gerne mal zu singen beginnt.

Wenn die ersten Noten des Viervierteltakts beginnen, ist allen Sportfans sofort klar – das ist die Hymne der UEFA Champions League.

Die UEFA auf den Spuren der „drei Tenöre“

Der Mann, der für diesen Hit verantwortlich zeichnet, ist der Brite Tony Britten. 1992 kam die UEFA auf ihn zu und beauftragte ihn damit, eine Hymne für ihren Bewerb, die Champions League, zu komponieren.

„Ich war, wenn überhaupt, eher an Rugby interessiert“, sagt Britten, der zu dieser Zeit sein Geld mit Musik für Werbespots und TV-Serien verdiente, gegenüber „11Freunde“.

Die UEFA-Verantwortlichen waren vom Erfolg der drei Tenöre, Luciano Pavarotti, Jose Carreras und Placido Domingo, die am Vorabend des WM-Finales 1990 in Rom ihren ersten Auftritt hatten, offenbar entzückt.

Vorbild Georg Friedrich Händel

Britten erinnert sich an die Anforderungen: „Sie wollten etwas Klassisches. Etwas, das genügend Schwere hat. Und keinen Solisten. Es war also schnell klar, dass es eine Art Choral werden würde. Aber es sollte auch nicht so klassisch sein, dass ein Massenpublikum abgeschreckt wird.“

Man einigte sich auf eine Abwandlung eines Werkes, das bereits 1727 uraufgeführt wurde. „Zadok the priest“, der erste der vier Teile von Georg Friedrich Händels „Coronation Anthems“, sollte es werden.

Der deutsch-britische Komponist verfasste die „Coronation Anthems“ für seinen Dienstherrn George II. Dieser forderte Musik „mit aller Pracht und Großartigkeit, die sich ersinnen lässt“. Händel ist den hohen Anforderungen wohl gerecht geworden.

Schon damals waren die Menschen beeindruckt. „Die beste Aufführung dieser Art, die jemals stattfand“, findet ein Bericht aus dieser Zeit. Als George II zum König Großbritanniens gekürt wurde, fand die Uraufführung statt. Rund 50 Sänger und zwischen 90 und 160 Musiker sollen beteiligt gewesen sein.

„Nicht mein bestes Stück“

Seither sind die „Coronation Anthems“ fixer Bestandteil der Krönungszeremonie des britischen Königshauses. So mancher Fußball-Fan wird also überrascht sein, sollte Prinz Charles irgendwann die Nachfolge von Königin Elizabeth II antreten. Die Melodie bei der Krönung wird ihm sehr bekannt vorkommen.

Wenngleich die Ähnlichkeit der beiden Werke frappierend ist, verteidigt sich Britten, einfach abgeschrieben zu haben: „Von Händel habe ich nur die aufsteigenden Streicher zu Beginn genommen – anders als das einige böse Zungen später behauptet haben. Mit den hohen Trompeten, die dann einsetzen, gab ich dem Stück einen ganz eigenen Sound. Ich habe überhaupt keinen Zweifel, dass Händel gesagt hätte: ‚Oh, gut für dich, mein Junge!‘“

Der Komponist meint gegenüber „FourFourTwo“ aber auch: „Natürlich bin ich stolz auf die Popularität, aber ich glaube nicht, dass es das beste Stück ist, das ich jemals geschrieben habe. Ich habe auch nie behauptet, dass es große Kunst ist, aber es ist solides Handwerk. Ich habe exakt das umgesetzt, was mein Kunde wollte.“

Moderne Versionen gescheitert

Die UEFA hat mit der Barock-Hymne den richtigen Riecher bewiesen. Obwohl zu Beginn nicht alle glücklich waren mit dem Stück klassischer Musik, das kurioserweise nicht käuflich auf einem Tonträger zu erwerben ist und es auch nie war.

Britten erinnert sich: „Als die Champions League überall bekannt geworden war, forderten die Sender moderne Versionen der Hymne. Wir gingen wieder ins Studio und nahmen eine Rock-Version auf, eine Funk-Version und eine Disco-Version. Aber keiner wollte sie am Ende haben. Alle entschieden sich für die Urfassung.“

Ein holpriger Text

Dann wäre da noch der Text. Er ist eine Mischung aus den drei offiziellen UEFA-Sprachen: Englisch, Französisch und Deutsch. Und er ist – freundlich formuliert – ein wenig holprig geraten.

Ce sont les meilleures équipes
Es sind die allerbesten Mannschaften
The main event

Die Meister
Die Besten
Les grandes équipes
The champions

Une grande réunion
Eine große sportliche Veranstaltung
The main event

Die Meister
Die Besten
Les grandes équipes
The champions

Ils sont les meilleurs
Sie sind die Besten
These are the champions

Die Meister
Die Besten
Les grandes équipes
The champions

Britten: „Am Anfang hatten wir nur die Kernbotschaft: Es ging um die Besten der Besten. Eine Liga für sich. Also erstellte ich eine lange Liste mit Superlativen. Die Ausdrücke ließ ich mir in die anderen UEFA-Sprachen übersetzen, ins Deutsche und Französische. Daraus bastelte ich den Text. Einige Passagen klingen für Muttersprachler hölzern. Etwa wenn es um ‚eine große sportliche Veranstaltung‘ geht. Das haben mir damals schon die Übersetzer gesagt. Am Ende ist die musikalische Funktion der Wörter aber mindestens genauso wichtig wie ihre Bedeutung.“

Britten kassiert übrigens einen Teil der Tantiemen – jedes Mal, wenn die Hymne gespielt wird. Reich geworden ist er dadurch nicht. „Aber ich konnte ein paar künstlerische Risiken eingehen, die mir sonst nicht möglich gewesen wäre“, sagt er.

Und eines hat Britten auch noch: die Gewissheit, eines der bekanntesten Musikstücke dieser Zeit geschrieben zu haben. Auch wenn ihn kaum jemand kennt. Und den Text auch nur die wenigsten. Die Gefühle, die seine Hymne bei vielen Millionen Menschen erzeugt hat und erzeugen wird, sind einzigartig.

Harald Prantl