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Die vier Säulen des Gerald Baumgartner

Die vier Säulen des Gerald Baumgartner

„Das kann ein lustiges Jahr werden“, sagt Gerald Baumgartner, wenn er an all die Bundesliga-Teams denkt, die in der kommenden Saison aggressives Pressing spielen wollen.

Der neue Austria-Coach ist einer jener Männer auf den Trainerbänken dieses Landes, die das vorhaben.

Erschwert wird seine Aufgabe dadurch, dass er in seine Philosophie auch noch die traditionelle Spielweise der Veilchen einfließen lassen muss. „Offensiver Fußball, ja, aber nicht mit offenem Visier“, kündigt der 49-Jährige an.

Im LAOLA1-Interview spricht der Salzburger zudem über coole, aber gleichzeitig sensible Fußballer, seinen Chef mit Ablaufdatum und die Tradition, der er tagtäglich begegnet.

LAOLA1: Hat diese Austria noch irgendetwas mit jener, die Sie als junger Spieler kennengelernt haben, zu tun?

Gerald Baumgartner: Wenig, abgesehen von der Tradition. Vereine entwickeln sich weiter. Es ist um einiges professioneller als damals.

LAOLA1: Hilft es Ihnen, dass Sie eine Austria-Vergangenheit haben?

Baumgartner: Es ist auf jeden Fall besser, als wenn ich bei einem großen Konkurrenten gespielt hätte. Für mich war es damals eine schwere Zeit. Ich bin als junger Spieler von daheim weg in die Großstadt gezogen. Im zweiten Jahr, als ich dabei war, Fuß zu fassen, habe ich mir das Kreuzband gerissen. Es war eine lehrreiche Zeit, ist aber schon lange her. Ich habe mich in den letzten zehn Jahren als Trainer und Person sehr weiterentwickelt.

LAOLA1: Hat Sie in der kurzen Zeit, die Sie hier sind, etwas überrascht?

Baumgartner: Ja, da gibt es schon das eine oder andere.

LAOLA1: Nämlich?

Baumgartner: (überlegt lange) Es sind viele Dinge sehr professionell, einiges will ich aber noch verbessern.

LAOLA1: Beziehen Sie das auf die Infrastruktur?

Baumgartner: Nein, die Bedingungen sind sehr gut.

LAOLA1: Was ist es dann?

Baumgartner: Wenn man seine Ziele nicht erreicht, gab es in der Vergangenheit einige Probleme. Ich spreche das aber lieber intern an. Nur so viel: Die eine oder andere Sache gilt es zu verbessern. Und ich will, dass die Spieler da zu 100 Prozent mitziehen und den Weg, den ich vorgebe, gehen.

"Es geht darum, Spieler positiv zu provozieren, sie aus der Reserve zu locken"

LAOLA1: Dass es bei der Austria nicht reicht, einfach nur zu gewinnen, erschwert Ihre Aufgabe. Vereins-Präsident Wolfgang Katzian hat einmal gesagt, dass es auch „flutschen“ muss.

Baumgartner: Es ist der Optimal-Zustand, mit dem Fußball, den man spielt, die Leute zu begeistern. Wir wollen die Fans daheim begeistern. Es wird uns aber nicht immer gelingen, wir sind auch nur Menschen. Der Anspruch ist, guten Fußball zu spielen. Wir dürfen nebenbei jedoch nicht vergessen, auch die nötigen Siege einzufahren.

LAOLA1: In Schönheit sterben ist also nicht Ihr Ding.

Baumgartner: Nein, gar nicht. Offensiver Fußball, ja, aber nicht mit offenem Visier.

LAOLA1: Sie haben bei Ihrem Antritt oft betont, dass Sie die Spieler schnell erreichen müssen. Wie macht man das als Trainer?

Baumgartner: Das ist Teil der Menschenführung, die man bei all den Facetten, die der Trainerjob hat, mitbringen sollte. Ich versuche, schnellen Zugang zu den Spielern zu haben, um zu wissen, wie jeder einzelne tickt.

LAOLA1: Muss man da als Trainer schon in der Vorbereitung Spieler bewusst provozieren, um zu sehen, wie sie in Extremsituationen reagieren?

Baumgartner: Es geht darum, Spieler positiv zu provozieren, sie aus der Reserve zu locken und auch mal Klartext zu reden. Die Spieler sollten aber mit Spaß und Freude an die Sache herangehen. Und mit der entsprechend professionellen Einstellung.

LAOLA1: Wie ist der Charakter der Mannschaft? In der Vergangenheit wurde er hin und wieder als divenhaft beschrieben.

Baumgartner: Dieses Wort ist nicht falsch. Wenn man sieht, dass die Leistungen auf und ab gegangen sind, manchmal sogar steil bergauf und bergab, wird in der Mannschaft irgendetwas sein, das nicht zu 100 Prozent stimmig ist. Ich kann aber nicht die Vergangenheit verändern, ich gestalte die Zukunft. Ich will, dass die Jungs tagtäglich ihren tollen Job, ihren tollen Arbeitgeber und ihre tollen Fans schätzen können. Wenn wir gut spielen, werden viele Fans kommen. Man muss sich auch vor Augen halten, dass die Tickets heutzutage nicht billig sind. Man muss mit beiden Beinen am Boden stehen.

LAOLA1: Die Interviews, die Sie geben müssen, werden in den kommenden Wochen sicher mehr. Haben Sie sich speziell darauf vorbereitet, künftig öfter vor Kameras und Mikros zu stehen, als Sie das bisher gewohnt waren.

Baumgartner: Das kann man nicht aus dem Lehrbuch oder bei der Trainer-Fortbildung lernen. Darauf konnte ich mich nicht besonders vorbereiten. Es ist learning by doing. Ich denke, dass ich das gut hinbekommen werde. Wenn man freundlich ist und einen respektvollen Umgang miteinander pflegt, kann man das gut steuern.

LAOLA1: Ihre Spieler sagen über Sie, dass am Auffälligsten ist, dass Sie einen konkreten Plan haben. Können Sie den kurz umreißen?

Baumgartner: Ich habe vier Säulen, wie ich Fußball sehe. Es geht um die technische Verbesserung des Passspiels – da bin ich sehr genau. Dann die Taktik. Ein großes Thema ist auch die Fitness – wenn man hohes Pressing spielen will, muss man nämlich eine gehörige Portion an Fitness mitbringen. Ein österreichischer Fußballprofi sollte es als Basisarbeit verstehen, dass er ein enormes Fitnesspotential hat. Die vierte Säule ist die Mentalität der Spieler – sie müssen bei jedem Training 100 Prozent geben und beim Match noch ein paar Prozent zulegen. Ich will eine Siegermentalität in die Mannschaft bringen.

LAOLA1: Haben Sie die Mannschaft fitter erwartet? Ist es das, was Sie überrascht hat?

Baumgartner: Es gibt ein paar Spieler, die da zulegen müssen. Wir wollen den Durchschnitt der Mannschaft in diesem Bereich heben. Gleichzeitig wollen wir unser taktisches Konzept so schnell wie möglich in das Team reinbringen. Natürlich mit den Mechanismen, die bei der Austria in den letzten Jahren schon gewirkt haben – hohe Spielkultur, Spielaufbau von hinten heraus, weniger mit hohen Bällen. Ich will zusätzlich auch noch eine aggressivere Spielweise an den Tag legen.

"Das ist im Moment der Fußball, der auf der ganzen Welt kopiert wird"

LAOLA1: Adi Hütter in Salzburg, Oliver Glasner in Ried, die SV Grödig und Sie bei der Austria – spielen kommende Saison alle wie Salzburg 2013/14?

Baumgartner: Ich will nicht spielen wie Salzburg, sondern Prinzipien von modernem Fußball anwenden. Salzburg hat diese Vorgabe, so zu spielen, schon im dritten Jahr unter Ralf Rangnick – das ist ein Vorteil, weil die Spieler das Konzept schon sehr gut kennen. Glasner wird in Ried Ähnliches einfordern. Grödig hat unter Hütter teilweise schon sehr aggressiv gespielt. Rapid spielt auch sehr aggressiv. Wenn wir das auch machen, sind es zumindest fünf Mannschaften, die so spielen. Das kann ein lustiges Jahr werden.

LAOLA1: Weil es bei der WM gerade ein Thema ist. Ist Tiki Taka tot?

Baumgartner: So wie es Spanien bei der WM gespielt hat, ist es sich nicht mehr ausgegangen, eine Runde weiterzukommen. Jupp Heynckes hat in seinem letzten Jahr bei den Bayern auch schon sehr dynamisch gespielt, die Prinzipien eher von der Dortmunder Philosophie abgeleitet – da waren die Bayern sehr attraktiv anzuschauen, irrsinnig schnell in den Umschaltbewegungen. Das ist im Moment der Fußball, der auf der ganzen Welt kopiert wird. Jene Mannschaften, die das am besten zusammenbringen, werden erfolgreich sein.

LAOLA1: Sie machen nebenbei Ihre UEFA-Pro-Lizenz. Ist das zeitlich ein Problem?

Baumgartner: Ich habe vor einigen Jahren sehr viel für meine Weiterentwicklung im Fußballbereich gemacht. Deswegen habe ich nicht die Pro-Lizenz, sondern bei der Bundesliga eine Sportmanagement- und Marketing-Ausbildung gemacht. Ich wollte vom Kopf her mal etwas anderes als Fußball machen. Jetzt bin ich aber schon sehr gespannt auf den Pro-Lizenz-Kurs. Ich bin sehr wissbegierig. Die Termine sind so gelegt, dass ich nicht viele Trainingseinheiten versäumen werde. Außerdem wird mein Trainerteam die Mannschaft schon so trainieren, dass das funktioniert.

LAOLA1: Können Sie in Ihrer täglichen Arbeit etwas von dieser Sportmanagement-Ausbildung anwenden?

Baumgartner: Natürlich! Bei Management-Seminaren hat Menschenführung eine sehr hohe Bedeutung. Man muss gut organisiert sein. Es gibt immer wieder Dinge, die ich anwenden kann. Ich bin sehr froh, das gemacht zu haben.

LAOLA1: Kann man einer Mannschaft dieses Flatterhafte austreiben?

Baumgartner: Das weiß ich nicht. Ich will auf keinen Fall in die Verlegenheit kommen, dass wir flatterhaft auftreten. Mein Fußballplan soll so gestaltet sein, dass die Jungs am Wochenende wissen, was zu tun ist.

LAOLA1: Sie haben die Fans vorhin angesprochen. Gehen Sie mit Ihrem Trainerteam aktiv auf die Fans zu?

Baumgartner: Ja, wir haben schon einen Termin mit den Fan-Verantwortlichen. Das ist eine gute Sache. Das Eine ist, wie dich die Fans sehen, wenn sie dich medial beobachten, das Andere ist, wie sie dich im persönlichen Gespräch kennenlernen. Nur so können sie abschätzen, wie ich ticke.

LAOLA1: Wie groß ist die taktische Herausforderung Bundesliga für Sie?

Baumgartner: Das ist nichts Ungewöhnliches. Ich habe in den letzten zwei Jahren im Cup ja schon gegen gute Bundesliga-Teams gespielt. Für mich ist die taktische Herausforderung, nicht zu viel zu schauen, wie der Gegner spielt, sondern das Konzept, das ich im Kopf habe, in meine Mannschaft zu bringen. Erst in zweiter Linie schaue ich darauf, wie der Gegner spielt, welche Eigenheiten er hat.

Wir müssen versuchen, die Mannschaft in den nächsten Transferperioden zu verjüngen

LAOLA1: Apropos Thomas Parits. Der ist ja Ihr Chef. Wie gehen Sie mit der Situation um, zu wissen, dass Ihr Chef innerhalb von nicht einmal einem Jahr ausgetauscht wird?

Baumgartner: Sehr professionell. Ich versuche, alles aufzusaugen, was er mir als absoluter Fachmann mitgeben kann. Wir führen viele Gespräche und haben ein sehr gutes persönliches Verhältnis.

LAOLA1: Es kann aber passieren, dass in acht Monaten ein neuer Sport-Vorstand kommt, der der Meinung ist, dass Sie nicht der richtige Trainer für die Austria sind.

Baumgartner: Das kann dir im Fußball immer passieren. Deswegen werde ich alles daran setzen, den Austria-Fußball so weit voranzutreiben, dass wir Erfolg haben. Somit macht man auch für sich persönlich das Beste.

LAOLA1: Bei der Austria gibt es jede Menge junger Talente. Wie sieht es mit dem Einbau dieser Spieler aus?

Baumgartner: Wir haben hier eine sehr gute Akademie zur Verfügung. Die Austria ist bekannt für ihre gute Nachwuchsarbeit. Also ist es ein Teil meiner Aufgabe, junge Spieler einzubauen. Es kommt aber natürlich immer darauf an, welche Ziele der Verein gerade verfolgt. Im Moment wollen wir international spielen. Das heißt, dass die Talente, die einzubauen sind, sehr gute Qualität haben müssen. Sie müssen auch von der mentalen Seite her bereit sein, es im Profifußball zu schaffen.

LAOLA1: Das Ziel ist ein Startplatz in der CL-Qualifikation?

Baumgartner: Ein internationaler Startplatz. Den Anspruch muss die Austria haben. Sollte es ein CL-Quali-Platz werden, wäre es optimal.

LAOLA1: Vor einem Jahr ist ein Trainer an Ihrer Stelle gesessen, der gesagt hat, dass er immer Meister werden will.

Baumgartner: Das will ich auch. Aber wir haben sehr gute Konkurrenz. Nach der durchwachsenen Vorsaison haben wir jetzt mal den Reset-Knopf gedrückt und versuchen, uns neu aufzustellen. Wir müssen auch versuchen, die Mannschaft in den nächsten Transferperioden zu verjüngen. Da habe ich schon gute Ideen und der Verein ist da auch auf meiner Linie.

Das Gespräch führte Harald Prantl

LAOLA1: Sind Sie ein Mensch, der leicht delegieren kann?

Baumgartner: Je professioneller eine Mannschaft geführt wird, umso mehr muss man delegieren und abgeben. Ich muss aber das Große und Ganze selbst steuern, ich bin ja der Hauptverantwortliche. Man muss immer Controlling-Maßnahmen anwenden und einfordern, damit das Ganze in die Richtung, in die du hinwillst, geht und bleibt.

LAOLA1: Welche Funktion hat für Sie Ihr Co-Trainer Renato Gligoroski? Ist er Ihr verlängerter Arm? Dient er zwischenmenschlich auch als Puffer zwischen den Spielern und Ihnen? Was ist Ihre Herangehensweise?

Baumgartner: Er sollte das Bindeglied zwischen der Mannschaft und mir sein. Bis jetzt hatten wir noch keinen Puffer nötig, weil der Trainer ja gut drauf ist. Es gab ja noch keine Spiele, in denen wir etwas falsch machen konnten (grinst). Ich sehe die Position des Co-Trainers im modernen Fußball so, dass er gewisse Dinge selbstständig erarbeiten muss. Wenn er eine Videoanalyse macht, muss er wissen, wie sie der jeweilige Trainer haben will. Zudem muss er die Spielphilosophie des Cheftrainers komplett im Kopf haben. Ich habe mit Renato in St. Pölten schon ein halbes Jahr zusammengearbeitet und es hat sich herauskristallisiert, dass wir ein sehr gutes Team sind.

LAOLA1: Abgesehen von der Spielweise, die bis zu einem bestimmten Grad vorgegeben ist – spielt die Tradition des Klubs in Ihrer täglichen Arbeit überhaupt eine Rolle oder ist das nur ein Schlagwort? Sie haben zuvor auch die Red Bull Juniors, die keinerlei Tradition haben, trainiert.

Baumgartner: Von den Mechanismen, die in einem Team funktionieren, ist es kein großer Unterschied. Menschen sind Menschen, mit ihren guten und schlechten Tagen. Man muss auf sie eingehen. Mal verstehen sie etwas mehr, mal weniger. Das ist bei allen Spielern gleich. Einerseits ist der österreichische Fußballer nach außen hin sehr cool, andererseits ist er auch sehr sensibel. Die Jungs sind zwar alle verschieden, aber dann doch wieder gleich – du solltest ihnen als Trainer Selbstvertrauen geben, um die beste Leistung zurückzubekommen. Um auf die Frage zurückzukommen: Bei der Austria begegnet man der Tradition tagtäglich, hier arbeiten Leute wie Robert Sara, Andi Ogris und Thomas Parits.