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Auf Nummer sicher

Auf Nummer sicher

„Mir war klar, dass er der perfekte Trainer für unser Anforderungsprofil ist.“ 

75 Tage nach dieser Aussage informierte Stefan Reiter am Sonntag seinen Coach Helgi Kolvidsson über den einstimmigen Beschluss des Präsidiums, ihn von seinen Aufgaben bei der SV Ried zu entbinden.

„Zu dieser Aussage stehe ich auch heute noch“, sagt der Manager im Gespräch mit LAOLA1.

„Ich mache niemanden einen Vorwurf“, geht der nunmehrige Ex-Trainer nicht im Bösen.

„Es hat irgendwie nicht zusammengepasst“, findet Kapitän Thomas Gebauer den Abschied schade.

LAOLA1 arbeitet den ersten Trainer-Wechsel der Bundesliga-Saison mit diesen drei Herren auf, ehe Paul Gludovatz und Gerhard Schweitzer am heutigen Dienstag ihre zweite Ära in Ried starten.

  • Warum so früh?

Nach nur fünf Spieltagen in der noch jungen Bundesliga-Saison trennten sich die Innviertler von ihrem neuen Trainer. Nicht gerade der Rieder Stil, der für Geduld und Kontinuität steht. Doch diese Spielzeit dauert dort gefühlt schon länger. Denn katastrophale Ergebnisse in der Vorbereitung (vor allem ein 1:8 gegen Sparta Prag) trugen ihren großen Teil dazu bei. „Diese waren ein Rucksack für die Saison“, weiß Kolvidsson heute. Der Rekord-Niederlage im Testspiel folgte wenig später zwar der Rekord-Sieg im Pflichtspiel – 15:0 im Cup bei SV Innsbruck. Es folgten aber wiederum vier klare Niederlagen in fünf Saisonspielen. Inklusive Vorbereitung (Kolvidsson: „Es waren starke Gegner“) steht eine Bilanz von einem Sieg, zwei Remis und neun Niederlagen zu Buche. 34 Gegentore in zwölf Partien waren nicht nur den Fans zu viel. „Das Torverhältnis spricht eine klare Sprache“, muss auch Tormann Thomas Gebauer konstatieren. „Jeder Trainer-Wechsel ist blöd, aber es hat irgendwie nicht zusammengepasst. Es gab von Anfang an einen Negativ-Lauf, auch nach dem Cup-Erfolg. Das Traurige ist, dass wir uns für unsere Arbeit unter der Woche nie belohnt haben. Ich bin lange genug dabei, um zu wissen, dass solche Entscheidungen dann getroffen werden." Oliver Glasner war vergangene Saison zwar mit seinem Team ebenfalls Letzter, hatte aber als Spieler-Legende einen Bonus bei den Fans. Zudem waren die Ergebnisse und das Auftreten anders als in dieser Spielzeit. Gebauer begrüßt indes die Entscheidung pro Gludovatz/Schweitzer II: „Es ist für alle Seiten die beste Lösung. Sie brauchen keine Zeit zum Einleben und können eine Mannschaft führen.“ 

  • Was ging schief?

Es ging alles sehr schnell - zu schnell vielleicht. Reiter stand Ende Mai plötzlich ohne Trainer da, weil Glasner zum Erzrivalen LASK in die zweite Liga ging. Ein Schlag in die Magengrube. Schnell musste ein neuer Trainer her, Kolvidsson selbst war bis am letzten Spieltag der Vorsaison mit Wiener Neustadt im letztlich erfolglosen Kampf gegen den Abstieg involviert. Die Vorbereitung war da schon durchgeplant, der Kader stand im Großen und Ganzen. Ein neuer Trainer braucht immer Zeit, die er meistens nicht hat. Hinzu kam, dass eine Saison davor ebenfalls ein Umbruch stattfand. „Die Retour-Maßnahmen sind schwierig, auch das haben wir alle ein bisschen unterschätzt“, sagt Reiter. Kolvidsson sieht es ähnlich: „Erst kämpfte ich mit Wiener Neustadt noch um den Klassenerhalt, dann ging es nach Ried mit neuem Trainer, neuen Spieler und neuem System. Es stand schon viel.“ Auch das Trainer-Team. Reiter: „Ich habe mich überreden lassen, dass zwei Co-Trainer reichen. Das tut es nicht. Das nehme ich auf meine Kappe.“ Kolvidsson forderte nach dem 1:3 bei der Admira Gerhard Schweitzer als Co-Trainer ein. „Wir haben alle Möglichkeiten überlegt, Gerhard wäre jemand, der für so eine Phase auch die Erfahrung mitbringt“, sagt Kolvidsson, der die Defensiv-Probleme nicht in den Griff bekam. Das Präsidium entschied sich wohl auch deswegen gegen Kolvidsson/Schweitzer und ging mit dem früher erfolgreichen Duo Gludovatz/Schweitzer (2011 Cupsieger mit Ried) auf Nummer sicher. „Es geht nicht um mich, es geht um den Verein. Ich mache niemanden einen Vorwurf“, geht Wikinger Kolvidsson als Gentleman von Bord.

  • Gab es atmosphärische Störungen?

Nein. Das wird zumindest behauptet. „Er hat sich aufgeopfert“, sagt Gebauer. „Vom Typ her hat er perfekt nach Ried gepasst. Die Chemie stimmte, es hat nie etwas gegeben, keine Streitereien, auch im Umfeld habe ich nichts mitbekommen. Die Mannschaft hat es einfach nicht geschafft, die Leistungen zu bringen“, nimmt der gebürtige Deutsche sich und seine Teamkollegen in die Pflicht. Reiter fand indes externe Unruhestifter, die Gerüchte in die Welt setzten, wonach der Isländer etwa nicht viel arbeiten würde. „Leider spielt sich viel auch auf einer persönlichen Ebene statt“, sagt Reiter über „Fern-Experten“. Die persönliche Ebene wählten leider auch so genannte „Fans“. Überhaupt genoss der kühle 43-Jährige nie so richtig ein Standing im hitzigen Innviertel. Die Öffentlichkeit blies ihm schon in der Vorbereitung – nach einem 1:8 auch nicht ganz unverständlich – viel Gegenwind ins Gesicht. Die Ergebnisse in der Bundesliga halfen in der Folge freilich nicht. „Keiner war glücklich, es ist klar, dass da Emotionen hochkommen, aber es gibt auch eine Grenze“, so Kolvidsson, der mächtig stolz auf Tochter Anna ist, die auf „facebook“ ihren Unmut äußerte. „Ich bin stolz, dass ich so eine tolle Tochter habe, die mit 16 Jahren so etwas schreibt. Ich sage meinen Kindern zwar immer, dass sie das nicht lesen sollen, was da geschrieben wird, aber Teenager folgen nicht immer. Als Vater ist man aber immer stolz“, konnte Kolvidsson einen Tag nach der Beurlaubung auch schon wieder etwas lachen.

  • Sind Gludovatz/Schweitzer eine Langzeitlösung?

Nicht auszuschließen. Reiter stellt klar: „In jedem Fall werden sie diese Saison machen.“ Zusatz: „Vielleicht auch die nächste.“ Man kennt sich sehr gut und wird sich über die Dauer der weiteren Zusammenarbeit gewiss einigen können. Ob des Alters von Gludovatz (69) ist es aber unwahrscheinlich, dass die zweite Ära noch einmal vier Jahre dauern wird. Für diese Saison ist es wohl die beste Lösung. Denn in erster Linie geht es freilich darum, die aktuelle Pole Position auf den Abstieg abzugeben. Die Variante „Nummer sicher“ wurde gewählt, auch vom zuletzt in Trainer-Fragen glücklosen und mitunter deswegen kritisierten Reiter: „Wir wollten in dieser Situation nicht eine Woche ohne Trainer da stehen.“ Diese Lösung freut die Fans nun spürbar. „Ich war heute in der Stadt und habe eine Euphorie gespürt, es sind alle optimistisch. Jetzt brauchen wir einfach dieses eine Erfolgserlebnis“, hofft Gebauer auf den schnellen Turnaround. Das Gute, die Saison ist noch so jung, dass die prekäre Situation definitiv gekittet werde kann. In weiterer Folge werden sich Reiter und Co. allerdings Gedanken machen müssen, wohin die Reise der SV Ried geht. Nachdem die Trainer-Projekte nach Gludovatz I allesamt aus verschiedenen Gründen gescheitert sind, werden sich die Verantwortlichen ihre Gedanken in jegliche Richtung (Trainer, Kader, Philosophie, etc.) machen und sich auch hinterfragen müssen. Finanziell kommt Kolvidsson dem Klub in jedem Fall entgegen und löst den Zweijahres-Vertrag auf: „Ich bin keiner, der auf dem Verein sitzt.“

 

Bernhard Kastler