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Die Kunst des Scoutings: Wenn die NHL auf ICE-Niveau draftet

Draft-Busts sind in amerikanischen Sportligen keine Seltenheit. LAOLA1-Experte Bernd Freimüller erörtert Spieler, die selbst in der ICE oft nicht überzeugten:

Die Kunst des Scoutings: Wenn die NHL auf ICE-Niveau draftet Foto: © GEPA

Warum NHL-Stars draften, wenn man stattdessen ICE-Spieler haben kann? Klingt mehr zynisch als beabsichtigt, aber ein Blick auf vier NHL-Drafts zeigt, wie Scouts trotz aller harten Arbeit danebenliegen können.

Am zweiten November-Wochenende können die Ligen durchatmen, Scouts aber nicht: Überall stehen Nationalmannschafts-Turniere an.

Mich hat es ins tschechische Chomutov getrieben, wo fünf U20-Teams (CZE, FIN, SWE, SVK, SUI) aufeinandertrafen. Nichts was mit meiner ursprünglichen Scouting-Tätigkeit für Klubteams zu tun hat, aber das alteingessene Scouting-Magazin "Red Line Report" hat um Hilfe gebeten.

Um mir das RLR-Format für Berichte wieder ins Gedächtnis zu rufen, habe ich auf alte Reports zurückgeblickt, nämlich auf ein U18-Turnier in Monthey. Zufällig kam ich da auf die USA, wo ich am Ende im Verteidigervergleich Chad Krys vor Adam Fox (wenn auch Seite an Seite) gereiht habe. Mit Krys ein Spieler also, der in Wien letzte Saison eine Art "Goodtime Charley" war, vor Fox, der heute zu den dynamischten NHL-Defendern gehört.

Keine Reihenfolge, auf die ich heute stolz wäre, wie sah es am Ende der Saison tatsächlich aus? Sehr ähnlich – die Blackhawks drafteten Krys als Nr. 45, Calgary entschied sich an Stelle 66 für Fox. Auch die NHL-Teams, die die beiden natürlich weit öfters sahen als ich, reihten einen späteren ICE-Versager vor einem NHL-Star. Nur ein weiterer Beweis, wie schwierig es ist, das Zukunftspotential von 17-jährigen einzuordnen.

Ein Blick auf vier Drafts von 2013 bis 2016, wo heute der Karriereverlauf schon ziemlich feststeht. Nur die ersten vier Runden – bevor der Draft endgültig zum "Crapshoot" wird – kamen in Frage und auch nur der Vergleich von Spielern, die ungefähr in derselben Nachbarschaft gezogen werden. Nichts ist bei "Re-Drafts", denen ich ohnehin sehr skeptisch gegenüberstehe, so unsinnig, wie zu spotten: "Den haben sie als Nr. 15 gezogen? Den auf Stelle 207 hätten sie nehmen sollen".

Wer entschied sich also für spätere ICE- statt für NHL-Cracks?

2013

# 56 (Oilers): Marc-Olivier Roy – Center, der bei den Bratislava Capitals gute Ansätze zeigte, beim HC Pustertal aber mit unterging. Ein guter Passgeber, aber körperlich kaum vorhanden und auch in Nove Zamky könnte er weit mehr Tordrang zeigen.

Wen hätte Edmonton stattdessen haben können? Mit William Carrier (# 57) und Tyler Bertuzzi (# 58) fand St. Louis einen späteren Stanley-Cup-Defender (Carrier bei Vegas), Detroit mit Bertuzzi einen körperlich starken Flügel (heute in Toronto).

# 67 (Flames): Keegan Kanzig – vor zwei Jahren der Mann fürs Grobe beim Meisterteam Salzburg, ließ es danach aber bleiben. Puckskills waren für ihn größtenteils ein Fremdwort.

Wen hätten Calgary stattdessen haben können? Pavel Buchnevich, den die Rangers acht Plätze später zogen, war sowohl in New York als auch heute bei St. Louis immer für knapp 30 Saisontore gut.

2014

# 87 (Coyotes): Anton Karlsson. Beim VSV ein launenhafter Flügel, heute bei Znojmo in der tschechischen Zweitklassigkeit unterwegs.

Wen hätte Arizona stattdessen haben können? Mit Ville Husso (#94, St. Louis) einen heutigen NHL-Starting-Goalie für Detroit, mit Viktor Arvidsson (#112) einen jahrelangen Point-Getter für Nashville und später Los Angeles. Kuriosum dabei: Die Predators zogen Arvidsson erst im vierten und damit letzten Jahr seiner Verfügbarkeit.

2015

# 44 (Lightning): Matt Spencer. Sowohl in Dornbirn als auch in Bruneck ein Defensiv-Defender mit überschaubaren Skills, heute in Dänemark.

Wen hätte Tampa Bay stattdessen haben können? Zwei Spots später zogen die Penguins Daniel Sprong, der heuer für die Red Wings-Renaissance mitverantwortlich ist und immer ein NHL-Offensivfaktor war.

# 54 (Blackhawks): Graham Knott. In der ICE ein Star für Linz mit seinen samtweichen Händen. Für NHL-Einsätze reicht es aber nie.

Wen hätte Chicago stattdessen haben können? Drei Spots später zogen die Capitals mit dem Schweizer Jonas Siegenthaler einen unaufregenden, aber soliden Defensivdefender.

# 106 (Sharks): Adam Helewka bzw. # 109 (Senators): Filip Ahl. Helewka legte für Innsbruck eine gute letzte Saison hin, in Finnland tut sich der Center heuer schwer. Ahl punktete bei den Bratislava Capitals, in Znojmo und in Bruneck verlässlich, zeigte gute Reichweite und Abschlussfähigkeiten, aber auch defensive Nachlässigkeiten und Verletzungsanfälligkeit. Im slowakischen Trencin heuer kein Faktor.

Wen hätten San Jose bzw. Ottawa stattdessen haben können? Caleb Jones (#117, Edmonton) spielte zwar heuer nur in der AHL, die letzten sechs Saison verteidigte er aber bei drei NHL-Teams. Winger Mathieu Jones (# 120) gewann zwei Stanley Cups mit Tampa, die ihn auch drafteten.

2016

# 36 (Flyers): Pascal Laberge ist seit heuer ein durchaus gefährlicher Winger für Fehervar, seine Nordamerika-Karriere splittete sich zwischen der AHL und ECHL auf.

Wen hätte Philadelphia stattdessen haben können? Mit Alex DeBrincat (# 39) zogen die Blackhawks einen Torgaranten, der auch in Detroit seine Scorerqualitäten einbringt.

#45 (Blackhawks): Chad Krys kam nie über die AHL hinaus, der starke College-Defender war in Wien weder offensiv noch defensiv ein Faktor und steht heute ohne Verein da.

Wen hätte Chicago stattdessen haben können? Wie gesagt Adam Fox (# 66), die Rangers bekamen ihn via Trade von den Flames und stehen nun mit einem Star-Defender da. Aber auch Defender Filip Hronek (# 53, Red Wings) oder Rossi-Klubkollege, Goalie Filip Gustavsson (# 55, Penguins), wären Krys natürlich vorzuziehen gewesen und das um Lichtjahre.

# 82 (Flyers): Carsen Twarynski bzw. # 104 (Hurricanes): Max Zimmer. Beide in Wien, wobei Zimmer in der Vorsaison mit seinem Speed und seiner Torgefährlichkeit ein Publikumsliebling war, ehe er seine Karriere (vorläufig?) beendete. Twarynski passt eigentlich nicht ganz in die Auflistung, als einziger der späteren ICE-Spieler schaffte er es in die NHL (22 Spiele für die Flyers). Seine bisherigen Auftritte bei den Capitals (Vienna, nicht Washington) beweisen aber, dass NHL- bzw. AHL-Rollenspieler öfters auch in Österreich keine Glanzlichter setzen können.

Wen hätten Philadelphia bzw. Carolina stattdessen haben können? Brandon Duhaime (# 106) ist etwas, was sich jedes NHL-Team für diese Draftposition realistisch erhoffen kann: Einen Pick, der sich zu einem verlässlichen Rollenspieler entwickelt – bei den Wild ist er in der vierten Linie gesetzt.


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