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Reality-Check: Nicht mehr Weltklasse, aber immer noch gut!

Die Meinungen zur Leistung der heimischen Biathlon-Riege beim Heimweltcup in Hochfilzen gehen auseinander. Ein Kommentar.

Reality-Check: Nicht mehr Weltklasse, aber immer noch gut! Foto: © GEPA

Der Heimweltcup in Hochfilzen ist Geschichte und Österreichs Biathlonteam geht einmal mehr mit gemischten Gefühlen aus diesem Wochenende.

Insgesamt gingen sechs gut besuchte Bewerbe (unter anderen gab sich auch Star-Trainer Julian Nagelsmann von Bayern München die Ehre) zwischen Donnerstag und Sonntag über die Bühne. Was bleibt nach diesen aus rot-weiß-roter Sicht hängen?

Grundsätzlich möchte ich an dieser Stelle einmal eine Lanze für die heimischen Biathletinnen und Biathleten brechen. Ein Gespräch mit Österreichs erfolgreichstem Skijäger bei Großveranstaltungen, Dominik Landertinger, führte mir einmal mehr vor Augen, was diese Sportler alles opfern, um ihren Traum leben zu können.

Die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Im Interview, das in Kürze auf LAOLA1 zu lesen sein wird, sprach der heute 34-Jährige davon, dass ein 20. oder 25. Platz keine schlechte Leistung ist. Ich sehe das genauso.

Hier klafft eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit seitens der Öffentlichkeit. Viele Jahre wurden wir von der "Goldenen Generation" um Landertinger, Christoph Sumann, Daniel Mesotitsch und dem ewigen Simon Eder mit Spitzenleistungen verwöhnt. Es gab eine Zeit, da waren Top-Ten-Plätze quasi Standard.

Wir müssen uns daran gewöhnen, dass Erfolge immer in Wellenbewegungen kommen und Österreich sich im Moment einer Talsohle nähert oder diese gerade durchschreitet. Man hat nicht immer das Glück über eine solche Anzahl an Top-Athleten wie vor zehn Jahren zu verfügen. Das soll aber nicht heißen, dass man sich seitens des ÖSV hier nicht hinterfragen darf. Jede Medaille hat schließlich zwei Seiten.

Heute kommt schnell Kritik aus der Fangemeinde, wenn ein David Komatz "nur" 25. wird. In Wahrheit ist er mit so einem Ergebnis mitten in der Weltspitze. Viele dieser Kritiker können sich wahrscheinlich nicht ausmalen, was Komatz dafür auf sich genommen, worauf er verzichtet hat, um diesen "jämmerlichen" 25. Platz zu holen.

Auch bei den Ergebnissen der ÖSV-Athletinnen und Athleten in Hochfilzen wurde wieder fleißig gejammert. Und natürlich soll man Kritik üben, die Fans dürfen und sollen jedenfalls ihre Meinung äußern. Immerhin haben wir noch immer das Glück, in einer Demokratie zu leben.

Nur, bevor man das tut, lohnt es sich manchmal, zweimal nachzudenken. Denn schauen wir uns einmal in Ruhe an, was unsere Loipen-Elite so zustande gebracht hat an diesem Wochenende.

Langsam mit der jungen Anna!

Langsam mit der jungen Anna!
Hoffnungsträgerin: Anna Gandler.
Foto: © GEPA

Ich für meinen Teil sehe da in jedem Fall mehr Licht als Schatten. Am hellsten strahlt da jenes einer jungen Skijägerin, die in den vier Weltcup-Tagen so viele begeistern konnte: Anna Gandler. Vor dieser Saison unter Außenstehenden noch eher als "Notlösung" gehandelt, falls von den etablierten Mädels jemand ausfallen sollte, mauserte sie sich in kürzester Zeit zur großen Hoffnung auf eine erfolgreiche Zukunft bei den ÖSV-Biathletinnen.

Die Tochter des früheren Langlaufstars Markus Gandler zeigte gleich bei ihrem ersten Weltcup-Auftritt ihre Anlagen. Trotz zweier Fehler erreichte sie im Sprint den 51. Rang, was die Qualifikation für die Verfolgung bedeutete. In dieser legte sie noch eine Schippe drauf und verbesserte sich auf Platz 30 - die ersten Weltcuppunkte. Und das, obwohl sie auch hier zwei Scheiben verfehlte. In der Staffel war sie ebenso der große Lichtblick. Nur ein Nachlader, in der Loipe unter den Besten und das am ersten Weltcup-Wochenende. Gerne mehr davon!

Doch eine Schwalbe macht noch keinen Frühling. Lassen wir der erst 21-Jährigen Zeit, denn die braucht sie noch, um in den Weltcup hineinzuwachsen. Es werden auch bei ihr Tiefschläge kommen, das gehört dazu. Also mal langsam, würde ich sagen. Denn wir Österreicher sind bekanntlich sehr gut darin, jemanden ganz schnell hochzujubeln und ihn dann ebenso schnell wieder zu vergessen oder zu kritisieren, wenn das Sensations-Bedürfnis nicht gestillt wird. Nichtsdestotrotz: Gandler hat ihrem Auftreten und ihrem Charisma unbestritten Star-Potenzial.

Wir Österreicher sind sehr gut darin, jemanden ganz schnell hochzujubeln und ihn dann ebenso schnell wieder zu kritisieren, wenn das Sensations-Bedürfnis nicht gestillt wird.

Außerdem wusste auch Zugpferd Lisa Hauser mit den Rängen 12 (Sprint) und 9 (Verfolgung) zu gefallen, auch in der Staffel bot sie eine solide Leistung. Man darf von der Weltmeisterin des Vorjahres (noch) keine Wunderdinge erwarten, schließlich hatte sie in der Vorbereitung mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, wodurch ihr ein sattes Pensum an Trainingszeit fehlt.

Männer aus der zweiten Reihe zeigen auf

Männer aus der zweiten Reihe zeigen auf
Lemmerer gelang ein Schritt nach vorne.
Foto: © GEPA

Und bei den Männern? Nun ja: Simon Eder machte das, was er schon seit einem gefühlten Biathlon-Jahrhundert macht: Gut Schießen und passabel Laufen. Auch wenn die Ergebnisse nicht überragend waren - was vor allem daran lag, dass auch sehr viele andere sehr gut schossen - waren seine Leistungen individuell betrachtet in Ordnung. Eder selbst war in unserem Gespräch ebenso zufrieden und sieht aufsteigende Tendenz im Team. 

Ein Schritt nach vorne gelang vor allem Harald Lemmerer. Der frühere Kombinierer zeigte einmal mehr in der Staffel, dass wir froh sein dürfen, ihn zu haben. Auf seiner Schlussrunde, die einen auszugsweise dann doch ein bisserl an jene eines Dominik Landertinger erinnerte, setzte er sich in einem Quartett mit der Schweiz, Tschechien und Italien durch - allesamt keine "Nasenbohrer".

Kurz vor dem Ziel ließ er seinem letzten verblieben Konkurrenten Finello (Schweiz) mit einem sehenswerten Antritt keine Chance und holte einen guten sechsten Rang für Rot-Weiß-Rot. Rein läuferisch war er an diesem Wochenende sicher der beste Österreicher, gleich vor David Komatz.

Der Startläufer des ÖSV-Quartetts lieferte als solcher einmal mehr eine starke Performance ab und übergab als Dritter an Simon Eder. In der Staffel befindet sich der seit Samstag 31-Jährige mitten in der Weltspitze und zeigt dabei keine Nerven. Auch er selbst gab sich danach im Gespräch mit LAOLA1 zufrieden. In den Individualbewerben hat er noch Luft nach oben, aber die Richtung stimmt.

Ganz generell zeigte sich einmal mehr, dass Österreich in der Staffel ein heißer Außenseiter sein kann, wenn alles passt. Nur passte eben nicht alles, sondern nur fast alles.

Leitner'sche Fehlersuche

Womit wir bei Felix Leitner angelangt wären. Der war nach dem Sprint gar nicht zum Interview erschienen und nach seinem Staffeleinsatz nur widerwillig - was ihm deutlich anzumerken war.

Der 25-Jährige war mit seinen Leistungen extrem unzufrieden und wollte keine Gründe dafür nennen. Erst auf Nachfrage gab er an, dass er sich derzeit "in der Loipe überhaupt nicht gut" fühle und ihm jegliches Selbstvertrauen fehle.

Ob das der alleinige Grund ist? Im Zuge des Hochfilzen-Wochenendes kursierten Gerüchte, wonach es ein Materialproblem beim ÖSV-Team gebe. Falls dem so ist, dann betrifft es wohl vor allem den dreifachen Junioren-Weltmeister. Speziell in der Staffel lieferten die Österreicher in der Loipe solide Performances ab - bis auf Leitner.

Dass es auch anders geht, zeigte in der Verfolgung. Dort gelang dem 25-Jährigen der lang ersehnte Turnaround. Vier fehlerfreie Schießeinlagen spülten ihn von Rang 29 auf 13 nach vorne. Auch wenn er sich läuferisch noch steigern muss - denn mittelfristig sollte er mit seinen Laufzeiten, bei allem Respekt, nicht hinter Eder liegen - hat er da gezeigt, weshalb er im Weltcup schon auf dem Podest stand. Und genau so einen Felix Leitner werden wir in Zukunft brauchen, denn Eder wird vielleicht schon nach dieser Saison Adieu sagen. Bis dahin wird seine Fehlersuche hoffentlich abgeschlossen sein. 

 

Nicht auf der Höhe: Felix Leitner.
Foto: © GEPA

Unter dem Strich lieferten Österreichs Vertreterinnen und Vertreter beim Heimweltcup eine zufriedenstellende Leistung ab, mit - und das ist das Gute - Luft nach oben.

Was ich damit meine? Dass etwa eine Anna Gandler oder ein Felix Leitner gezeigt haben, dass bei ihnen noch eine weitere Steigerung möglich ist und die Tendenz nach oben geht. Die beiden sind die zwei neuen, potenzielle Stars im heimischen Biathlon-Geschehen. Vro allem bei Leitner ist dieser Schritt fast schon überfällig, denn die Anlagen dazu hat er allemal.

Auch wenn die heimischen Loipenjägerinnen das in Hochfilzen nicht immer zeigen konnten: Generell bin ich der Ansicht, dass wir uns insbesondere mit dem aktuellen Frauen-Team wirklich glücklich schätzen dürfen, denn es ist das stärkste, das wir je hatten. 

Dennoch sollten wir uns nicht mit unseren eigenen Erwartungen enttäuschen. Ja, wir sind eine Wintersportnation, aber ein vergleichsweise kleines Biathlon-Land. Denn der Status als Wintersportland definiert sich hauptsächlich über die Alpinen. Wir dürfen nicht erwarten, in jeder Generation eine Handvoll "Sumis" und "Landis" zu haben. Wir sind nicht mehr Weltklasse, aber immer noch richtig gut dabei. Das haben zahlreiche individuelle Leistungen in Hochfilzen bewiesen.

Oder wie es ein Trainerstar aus der Deutschen Bundesliga mir gegenüber an dem Wochenende formulierte: "Ihr müsst das schon realistisch sehen. Ihr dürft das aktuelle Team nicht an den Leistungen einer früheren Generation messen."

Tolle Stimmung beim Zuschauer-Comeback

Auch das OK-Team um Franz Berger darf zufrieden sein, speziell mit dem Samstag und dem Sonntag. Da pilgerten jeweils um die 8.500 Zuschauer ins Pillerseetal. Das ist sehr ordentlich angesichts dessen, dass a) in den letzten beiden Jahren coronabedingt gar keine Zuschauer vor Ort dabei sein durften und b) die aktuelle Krise viele Menschen zum Sparen zwingt.

Abschließend ist außerdem zu sagen, dass die Stimmung beim Zuschauer-Comeback wirklich gut war, was natürlich auch daran lag, dass wieder viele deutsche Fans vor Ort waren und die deutschen Athleten gute Leistungen zeigten. 

Schon am kommenden Wochenende geht es für den Biathlon-Tross weiter nach Frankreich, in Le Grand-Bornand stehen für Frauen und Männer Sprint, Verfolgung und Massenstart auf dem Programm. 



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