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Was kann das Pilotprojekt Tägliche Turnstunde?

Im Burgenland läuft seit einem halben Jahr ein Pilotprojekt. LAOLA1 nennt Probleme und Erkenntnisse:

Was kann das Pilotprojekt Tägliche Turnstunde?

Einen Fußball-Nationalspieler als Turnlehrer haben.

Bestimmt ein Wunschtraum vieler Schüler. Für einige Knirpse der Volksschule Schattendorf ist das Realität.

Ihr Turnlehrer ist Thomas Mandl, der unter anderem die Tore der Austria, Admira und des LASK hütete. Wobei es in seinem Fall nicht Turnlehrer, sondern korrekterweise Bewegungs-Coach heißt.

Im Burgenland wird seit Herbst die jahrelang geforderte Tägliche Turnstunde mittels Pilotprojekt umgesetzt. Leute aus dem Sport sollen in die Schulen gehen und dort die zusätzlichen Stunden übernehmen, so der Plan.

Der geht auf. Diesen Eindruck bekommt man zumindest im Gespräch mit Mandl. „Egal ob Volksschule, Neue Mittelschule oder Polytechnische Schule – die Kinder sind extrem motiviert“, schildert der 13-fache Internationale, der zusätzlich zu seiner Tätigkeit als Akademie-Trainer 20 Klassen an diversen Schulen unterrichtet.

2012 wurde eine Unterschriften-Aktion zur Täglichen Turnstunde gestartet

Insgesamt 9.944 Schüler an 180 burgendländischen Schulen sind Teil des Projekts. 300.000 Euro werden zusätzlich zur schon laufenden Initiative „Kinder gesund bewegen“ vom Sportministerium für das Pilotprojekt ausgegeben. Angestellt sind die Bewegungs-Coaches bei den Dachverbänden ASKÖ, Union und ASVÖ.

Doch was taugt das vielbeäugte Pilotprojekt? Im Zuge einer LAOLA1-Recherche kristallisieren sich erste positive Konsequenzen sowie Problemfelder heraus:


Flächendeckende Tauglichkeit:

180 burgenländische Schulen – das klingt zunächst nach viel. In der medialen Kommunikation ist bislang allerdings untergegangen, dass das nicht bedeutet, dass in besagten Schulen alle Schüler eine tägliche Bewegungsstunde haben. „Da sind dann oft nur ein oder zwei Klassen einer Schule dabei“, weiß Helmut Gaal von der burgenländischen Lehrergewerkschaft. Wie groß der Anteil der teilnehmenden Klassen in den 180 Schulen nun ist, lässt sich überraschenderweise nicht einmal über das Büro des Landesschulrats oder das Sportministerium feststellen. Dementsprechende Zahlen liegen nicht vor, lautet da wie dort eine Auskunft.

Eine höhere Quote an teilnehmenden Klassen scheitere laut Gaal oft daran, dass einfach nicht genügend Turnsäle vorhanden sind: „Ein flächendeckender Einsatz ist deshalb ein Ding der Unmöglichkeit. Das geht nie im Leben.“ Zumindest in der kalten Jahreszeit.

Schon jetzt werden in einigen Schulen Turnstunden auf den Gängen abgehalten. Mancherorts komme es laut den Erfahrungen Gaals sogar zu der etwas bizarren Situation, dass herkömmliche Klassen den Turnsaal zugunsten der Projekt-Klassen opfern müssten. Eine Konstellation, die wohl nicht im Sinne des Erfinders ist.

Um dem Mangel an Räumlichkeiten entgegenzuwirken, werden zudem „integrative Bewegungseinheiten“ absolviert. Das bedeutet, dass ein für gewöhnlich frontal unterrichteter Gegenstand mit Bewegung kombiniert wird. Was in Musik noch recht nageliegend erscheint, erfordert in Fächern wie etwa Mathematik schon ein wenig mehr Kreativität – oder eben innovative Ansätze. So wurden eigene Apps kreiert, welche den Unterricht aktiver gestalten sollen.

"Ein flächendeckender Einsatz ist ein Ding der Unmöglichkeit. Das geht nie im Leben."

Lehrergewerkschafter Helmut Gaal

„Es kommt auf die Flexibilität und Bereitschaft an“, hält Pflichtschulinspektor Alfred Lehner, der in seinem Zuständigkeitsbereich die Koordination des Pilotprojektes über hat, sehr wohl eine flächendeckende Umsetzung für möglich. Als möglichen Schlüssel sieht er die Erhöhung der Gesamtstundenzahl durch das Bildungsministerium, was zu einer Entspannung der Turnsaal-Belegung führen würde.

Bis dahin zieht Lehner sogar Schneeball-Schlachten oder den Fußmarsch von Zuhause in die Schule als mögliche Bewegungs-Einheit in Betracht. Im Prinzip nicht verkehrt, doch dieser etwas gar weit gefasste Begriff von Bewegung führt unweigerlich zur Frage, inwieweit das den Anforderungen genügt, die von der Gesellschaft an die tägliche Bewegungsstunde herangetragen werden?

„Wenn es nur um die Prävention vor Übergewicht und Adipositas (krankhafte Fettleibigkeit; Anm.) geht, dann helfen schon solche integrativen Bewegungsstunden“, erklärt Susanne Ring-Dimitrou. Die Salzburger Sport-Wissenschaftlerin engagiert sich im Rahmen des regionalen Vorsorge-Projekts „Salto“ für die Gesundheit von Kindern. Angesichts dessen, dass in Österreich jeder Fünfte Unter-18-Jährige übergewichtig, jeder 20. adipös ist und der Trend in Richtung einer Verschlechterung geht, begrüßt sie grundsätzlich jegliche Gegenmaßnahme. „Vor dem Hintergrund, eine gesellschaftliche Norm für Bewegung im Kindes-Alter zu schaffen, ist das Pilotprojekt sogar hervorragend“, ergänzt Ring-Dimitrou.

Für den von ihr verfolgten Ansatz einer möglichst „allumfassenden Ausbildung“, greifen Einheiten wie Schneeball-Schießen oder Zur-Schule-Gehen jedoch zu kurz. Die Schärfung breiter koordinativer sowie motorischer Fertigkeiten sei wahrscheinlich nicht gegeben: „Es besteht Sorge, inwieweit eine integrative Unterrichtsstunde die notwendige Bewegungs-Vielfalt anbietet.“ Dies sei wiederum von der Ausbildung der Lehrkraft abhängig.


Unterschiedliche Ausbildung:

Ein Bewegungs-Coach ist kein Lehrer. Etwas, das sich schon in der Ausbildung manifestiert und aus Sicht des Gewerkschaftlers Gaal „zu hinterfragen ist“. Aus pädagogischer Sicht werden beide nicht gleichermaßen geschult.

Um ein Lehrer an einer Volks- oder Neuen Mittelschule zu werden, bedarf es vier Jahre Studium an der Pädagogischen Hochschule, plus ein berufsbegleitendes Jahr für einen Master-Abschluss.

Jene eines Bewegungs-Coaches ist dagegen wesentlich kürzer. Allerdings bedarf es einer Vorqualfikation „Etwa eine Ausbildung zum Sport-Instruktor“, erklärt Klaus Nowak, Institutsleiter der Pädagogischen Hochschule Burgenland. Kenntnisse in der Sportdidaktik werden vorausgesetzt. Ein Instruktoren-Kurs an der Bundessport-Akademie (BSPA) umfasst 150 bis 230 Stunden, was beispielweise in drei geblockten Kurswochen abhandelbar ist.

Thomas Mandl arbeitet als Bewegungs-Coach an burgenländischen Schulen

Die folgende Ausbildung an der Pädak ist ähnlich dimensioniert. Mandl schildert von einem geblockten Wochenende pro Monat sowie einer Kurs-Woche im Sommer samt Prüfungen. Neben den rechtlichen Grundlagen, was ein Lehrer im Turnunterricht machen darf, wird den Bewegungs-Coaches versucht zu helfen, Stunden zu halten, in denen möglichst jedes Kind abgeholt wird.

„Schließlich will nicht jedes Kind Fußball spielen“, ist sich der langjährige Profi bewusst. „Als Trainer gehst du zudem von einem gewissen Level der Kinder aus. Ein jedes ist aber anders“, darf er nicht mit der Herangehensweise des Akademie-Coaches unterrichten. „Es hat aus mir auf alle Fälle auch einen besseren Trainer gemacht“, meint Mandl.

Inwieweit nun Gaals Bedenken bezüglich einer möglichen pädagogischen Verwässerung der Realität entsprechen, lässt sich trotz der augenscheinlichen Unterschiede in der Ausbildung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ausreichend sagen. Zumal es Bessere und Schlechtere für gewöhnlich auf beiden Seiten gibt – ihre Verteilung wird es langfristig weisen.


Grau-Bereich Co-Edukation:

Eine Schieflage entsteht bei der Co-Edukation, also dem gemeinsamen Unterricht von Mädchen und Burschen.

Während es einem männlichen Bewegungs-Coach erlaubt ist, auch Schülerinnen zu unterrichten, ist dies einem männlichen Turnlehrer untersagt. Davon ausgenommen sind als Spielstunden deklarierte Einheiten, sprich: Bei denen der Lehrer keine Hilfe-Stellungen wie etwa bei Reck-Übungen leisten muss.

Gedeckt wird diese Schieflage laut Schulinspektor Lehner durch den schulautonomen Graubereich. „Hier gibt es noch keine Gesetze“, konstatiert er.


Vorbild-Wirkung und Talente-Rekrutierung:

Egal ob bei Schülern oder mitunter argwöhnischen Lehrern – als Ex-Nationalteamtorwart oder wie im Falle von Jason Johnson als ehemaliger Local-Basketball-Hero hat man natürlich einen gewissen Start-Vorteil.

"Kinder sind keine Fässer, die gefüllt, sondern Feuer, die entzündet werden wollen."

Der französische Humanist Rabelais (1494-1553)

Von einem ehemaligen Idol – insofern mit der notwendigen Leidenschaft bei der Sache – springt der Funke nun mal leicht über. Und genau dieses Entfachen von Begeisterung ist wohl der stärkste Effekt, den man sich von der Einbindung von Menschen aus dem Sport erhoffen darf. Schließlich ist es vielleicht exakt jene frühe Einimpfung von Sportaffinität, welche dem allzu bequemen, österreichischen Gemüt fehlt.

Es liegt auf der Hand, dass es nach einem halben Jahr Pilotprojekt noch zu früh ist, über quantitative Folgen im Nachwuchsbereich zu sprechen, persönliche Beobachtungen geben jedoch Anlass zur Hoffnung.

„Wir merken das in Drassburg bereits“, berichtet Mandl. „Unser U8-Trainer ist letztens zu mir gekommen und hat mich gefragt, ob ich ihm etwa ein paar meiner Schul-Kinder geschickt habe. Dabei habe ich in der Schule kein Wort gesagt.“


LAOLA1 meint

Von mehreren Seiten ist zu vernehmen, dass die Umsetzung des Pilotprojektes überstürzt erfolgte. Angefangen bei der Co-Edukation über die noch nicht ausreichend geklärte Frage, wie kurzfristige Ausfälle von Bewegungs-Coaches kompensiert werden, bis hin zum dienstrechtlichen Zwiespalt, da die Coaches zwar bei den Dachverbänden angestellt sind, jedoch vom Landesschulrat eingeteilt werden.

Kurzum: Es fehlen die noch notwendigen Richtlinien sowie die Miteinbindung des Bildungsministeriums.

Doch um derartige Dinge aufzuzeigen, ist ein Pilotprojekt nun mal auch da. Vielmehr ist es sogar begrüßenswert, dass vier Jahre nach dem Start der Unterschriften-Aktion für eine Tägliche Turnstunde nun endlich etwas passiert ist. Zu viel wurde über dieses Thema schwadroniert, zu wenig getan.

Dass die Umsetzung mit Problemen und Widerständen verbunden ist, liegt in der Natur der Sache.

Entsprechend schonungslos muss man sich auch eingestehen, dass die höchste Hürde zweifellos die begrenzt vorhandenen Räumlichkeiten sind. Weil wenn dies schon im Burgenland eine Schwierigkeit darstellt, was bedeutet das erst für das urbane Wien?

Die mitunter kreative Herangehensweise manch burgenländischer Schulen führt jedoch vor Augen, dass es oftmals nur eine Frage des Willens ist. Und spätestens bei den Adipositas-Zahlen sollte jedem klar sein, dass es höchste Zeit ist, in Lösungen zu denken.

Oder gibt es etwas Wichtigeres als die Gesundheit unserer Kinder?

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