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Sommer-Abgang? "Glasner schmeißt man nicht einfach raus"

Neun Spiele ohne Sieg, den letzten Strohhalm einer unzufriedenstellenden Saison vor der Brust: Frankfurts Oliver Glasner stehen wegweisende Wochen bevor.

Sommer-Abgang? Foto: © getty

"Momentan bin ich eher ein bisschen leer", rang Oliver Glasner Mitte Mai 2022 um Worte, kurz nachdem Rafael Borre den siegbringenden Elfmeter im Estadio Ramon Sanchez Pizjuan beim Finale der Europa League verwandelte.

In dramatischer Manier, im alles entscheidenden Elfmeterschießen gegen die Glasgow Rangers (1:1 nach 120 Minuten), krönte sich Eintracht Frankfurt zum Champion im zweitgrößten europäischen Bewerb.

Münzt man die damalige Gemütslage des österreichischen Erfolgstrainers rund ein Jahr später auf die momentane Situation um, so sind dessen Worte – wenn auch in einem gegensätzlichen Kontext - treffend.

Seit neun Spielen wartet Frankfurt mittlerweile auf ein Erfolgserlebnis in der deutschen Bundesliga. Tabellenplatz neun ist die ernüchternde Realität – der Europacup scheint angesichts der anhaltenden Formkrise nur mehr über den DFB-Pokal möglich.

"Wir wollen ins Finale nach Berlin und werden alle Kräfte in dieses Alles-oder-Nichts-Spiel geben", gibt der hoffnungsvolle Chefcoach die Richtung vor.

Am Mittwochabend heißt es für die Glasners Team nun "Hopp oder Dropp": Scheitert man gegen den VfB Stuttgart im Pokal-Halbfinale (ab 20:45 Uhr im LIVE-Ticker>>>), würde sich die ohnehin schon angespannte Lage in der Main-Metropole weiter zuspitzen, Glasners Abgang aus Frankfurt könnte trotz eines bis 2024 gültigen Vertrags nicht mehr undenkbar sein.

Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass der Heilsbringer, der der Eintracht nach 42 Jahren internationaler Titel-Durststrecke zu Ruhm und Glanz verholfen hatte und dem ein Denkmal in seiner Heimat Riedau gesetzt werden könnte, plötzlich nicht mehr unantastbar ist?

Um diese Frage zu klären, bedarf es, den Verlauf der aktuellen Spielzeit näher zu durchleuchten:

Sportvorstand Markus Krösche heuerte wie Glasner im Sommer 2021 bei der Eintracht an
Foto: © getty

Krösche contra Glasner: Uneinigkeit über den Kader

Der Start in die Saison 2022/23 verlief aus Sicht der Frankfurter alles andere als ideal. Das Top-Spiel zum Bundesliga-Auftakt gegen den FC Bayern München ging mit einer 1:6-Klatsche vor heimischer Kulisse mächtig in die Hose.

"Manchmal ist es ganz gut, am Anfang gleich einen Nackenschlag zu bekommen. Damit nicht jeder denkt, es geht so weiter wie letztes Jahr", reagierte Glasner gewohnt stoisch, um auch ein Signal an die Spieler zu senden.

Doch zeitgleich wurden auch Unstimmigkeiten zwischen Glasner und Sportvorstand Markus Krösche publik - die Eintracht in Frankfurt schien gestört, wie auch die "Frankfurter Rundschau" im September des vergangenen Jahres berichtete.

Im Gespräch mit LAOLA1 geht Journalist und Frankfurt-Experte Ingo Durstewitz, der für ebenjene deutsche Tageszeitung berichtet, auf die Kontroverse des Führungsduos ein:

Das zwischenmenschliche Verhältnis der beiden sei freilich "okay", man respektiere einander. "In Sachthemen liegt das Duo aber oftmals auseinander. Es fängt bei der Bewertung von Spielern an. In Berlin (nach dem 1:1-Unentschieden gegen die Hertha am 2. Liga-Spieltag, Anm.) gab es diesbezüglich eine heftige Auseinandersetzung zwischen den beiden."

Der Österreicher kritisierte offenbar die Kaderzusammenstellung seines Kollegen. "Glasner hat gesagt: Du hast mir hier Zweitligaspieler hingestellt und mit denen soll ich Champions League spielen. Krösche erwiderte: Du bist nicht Trainer von Real Madrid sondern von Eintracht Frankfurt. Das sind die Spieler, die du hast und die musst du so entwickeln, dass sie besser werden und dass wir unsere Ziele erreichen", bricht Durstewitz das Streitgespräch auf das Wesentliche herunter.

"Man redet zu oft übereinander als miteinander", so der Eindruck des Frankfurter Journalisten.

Höhenflug bringt Glasner bei Top-Klubs ins Gespräch

Der Zwist sollte jedoch für den Moment in Vergessenheit geraten. Weitere zwei Spiele (1:1-Remis jeweils gegen Hertha BSC und den 1. FC Köln) vergingen, ehe die Eintracht den ersten Saisonsieg beim 4:3-Torfestival gegen Werder Bremen verbuchen konnte.

Bis zum Ende der Hinrunde befand sich Frankfurt mit drei kurzzeitig unterbrechenden Niederlagen im Aufwind. In acht der elf Partien nach dem Bremen-Spiel ging die Glasner-Truppe als Sieger vom Platz. Im DFB-Pokal erreichte man zudem nach einem 2:0-Erfolg über den Fünftligisten Stuttgarter Kickers das Achtelfinale.

Selbst beim historischen Erstantritt in der Königsklasse sorgte Frankfurt für positive Schlagzeilen. Nach einem Comeback-Sieg gegen Sporting Lissabon (2:1) am letzten Gruppenspieltag stieg die Eintracht hinter Tottenham Hotspur direkt in die K.o.-Phase auf.

Glasner schwebte anschließend auf Wolke sieben und lobte vor allem den bewiesenen Kampfgeist seines Kollektivs: "Es ist unglaublich, welche Mentalität sie haben, wie sie nicht aufstecken." Im Achtelfinale wartete derweil die SSC Napoli.

Angesichts der Erfolge kamen Spekulationen um Glasners Zukunft auf. Top-Klubs wie Real Madrid, der FC Chelsea oder Tottenham Hotspur sollen ihr Interesse bekundet haben.

Der österreichische Übungsleiter vermied unterdessen ein klares Bekenntnis zum Klub. Wohl auch, weil der Sprung zu einem Elite-Klub zu diesem Zeitpunkt verführerisch erschien.

Frankfurts Tuta am Boden nach dem Aus in der Champions League
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Knackpunkt Napoli leitete die Trendwende ein

Mit Tabellenplatz vier in der Liga ging Frankfurt in die Winterpause - ein respektabler Zwischenstand, den Sportvorstand Markus Krösche folglich unbedingt "verteidigen" wollte.

"Wir wollen zeigen, dass wir den nächsten Schritt gemacht und aus dem letzten Jahr gelernt haben. Daran werden wir uns messen lassen", betonte der 42-Jährige im Dezember 2022 nichtsahnend, dass sich seine Schützlinge in den kommenden Monaten meilenweit vom ausgegebenen Ziel entfernen würden.

Zu Beginn der Rückrunde war ein Leistungsabfall in der Liga vorerst nicht absehbar. Auch die Pokalreise ging für die "Adler" nach einem 4:2-Sieg gegen den SV Darmstadt weiter.

Dann folgte das Aus auf europäischer Ebene, nachdem man sich Napoli (0:5 nach Hin- und Rückspiel) beugen musste - ein Knackpunkt, wie auch Durstewitz befindet:

"Man ist vorgeführt worden. Die Chancenlosigkeit auf diesem Niveau ist ihnen auf brutale Art und Weise aufgezeigt worden. Das hat einen Knacks hinterlassen. Das war mehr als eine Niederlage und mehr als ein Wirkungstreffer - das war der Niederschlag schlechthin."

In der Folge konnte Frankfurt bis auf den Halbfinaleinzug im Pokal gegen Union Berlin (2:0) keinen Sieg mehr einfahren.

Die folgenschwere Ergebniskrise sei eine Mischung aus allem. "Der Trainer hat es nicht geschafft, diesen Absturz zu verhindern. Man hat zwölf Punkte in der Rückrunde geholt. Das ist die Punkteausbeute eines Absteigers", legt Durstewitz den Finger auf die Wunde.

Ist der Kader, wie Glasner es zur Debatte stellte, nun doch zu schwach, um auf drei Hochzeiten - der Liga, dem Pokal und der Champions League - zu bestehen?

Kolo Muani hat sich zu Frankfurts Lebensversicherung entwickelt
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Kolo Muani schultert Frankfurts Ambitionen

Durstewitz konstatiert: "Der Kader ist nicht so stark, in der Spitze zumindest, dass man die internationalen Plätze erreichen muss. Meiner Meinung nach müsste diese Mannschaft aber einen Europa-League-Platz schaffen".

Mit der Verpflichtung von Stürmer Randal Kolo Muani gelang Kaderschmied Krösche zwar ein wahrer Transfer-Coup – der französische Stürmer kam im vergangenen Sommer ablösefrei vom FC Nantes, ist aktuell der Top-Scorer der Liga (13 Tore, zwölf Assists) und avancierte unter der Führung von Glasner zum Nationalspieler - doch gefühlt hängen die Hoffnungen und Träume der "Adler" alleine von den Leistungen des 24-Jährigen, der noch dazu derzeit aufgrund von Adduktorenbeschwerden vor dem Stuttgart-Spiel fraglich ist, ab.

Gleichzeitig galt es im vergangenen Sommer schmerzende Abgänge wie jene von Ex-ÖFB-Star Martin Hinteregger, der seine Profikarriere beendete und nun im heimischen Unterhaus beim SGA Sirnitz kickt, und Dauerbrenner Filip Kostic (spielt aktuell bei Juventus Turin) zu kompensieren.

Zunehmende Unruhe durch Abwanderungsgerüchte

Neben der unsicheren Zukunft von Glasner sorgten auch Abwanderungsgerüchte um einige Spieler, Kolo Muani eingeschlossen, für ungewolltes Störfeuer.

"Der Trainer hat sich lange nicht bekannt und die Hälfte der Mannschaft ist auf dem Absprung. Das wurde offenbar auch unterschätzt. Daichi Kamadas Abgang ist zum Beispiel schon fixiert. Das ist aktuell ein anderer Spieler, als er noch in der Hinrunde war. Evan Ndickas Vertrag läuft aus, auch sein Abgang ist ziemlich sicher. Djibril Sow hat Abwanderungsgedanken, ebenso wie Jesper Lindsröm. Das sind zu viele Nebengeräusche, die das große Ganze nun einstürzen lassen", meint Berichterstatter Durstewitz.

Die undefinierte Aussicht auf die kommende Saison hat klarerweise einen "Einfluss auf die Spieler".

Zudem werden auch die mangelnden Taktik-Alternativen des Oberösterreichers kritisch beäugt. "Es gibt interne Kritik an Glasner, dass er keinen Plan B hat und die Spiele immer nach dem gleichen Muster verlaufen. Das wird von manchen Spielern kritisch gesehen", zeigt Durstewitz auf.

Umbruch mit Glasner oder "Tabula Rasa"

Der Frankfurt-Kenner stellt die Kardinalfrage in den Raum: "Machst du weiter und gehst durch die Krise hindurch, zumal die Mannschaft in der kommenden Saison ein neues Gesicht bekommt? Für solch einen Schritt müsste man aber zu 100 Prozent von Glasner überzeugt sein." 

Im vergangenen März schien es noch so: Krösche legte seinem Trainer einen neuen bis 2026 gültigen Vertrag vor, berichteten diverse deutsche Medien übereinstimmend. Glasner wollte jedoch abwarten und erst herausfinden "wohin die Reise der Eintracht geht". Ob jene Offerte nach der anhaltenden Krise noch Bestand hat, ist nun fraglich. 

Ein anderes Szenario skizziert eine Trennung im Sommer, die jedoch mit einigen Risiken verbunden wäre. Der Kader-Umbruch würde einige neue Spieler in die Mannschaft spülen. Ein neuer Trainer mit womöglich einer neuen Spielphilosophie könnte, zumindest anfänglich, Probleme erzeugen.

Wie es in kriselnden Zeiten mittlerweile Usus ist, wurden in den Medien bereits Namen als potenzielle Glasner-Erben genannt.

"Es ist auch eine Frage des Anstands, des Respekts und der Würde, die man in diesem teilweise brutalen Geschäft haben muss. Man hat Glasner den größten Triumph seit fast 50 Jahren zu verdanken. Ihn schmeißt man nicht einfach raus."

Ingo Durstewitz (Frankfurter Rundschau)

Erfolgstrainer aus Österreich als Glasner-Nachfolger?

Zum einen brachte "Sky" das Gerücht um Salzburg-Trainer Matthias Jaissle auf. Sportdirektor Christoph Freund dementierte aber prompt während eines TV-Auftritts beim Pay-TV-Sender. "Er ist auf mich zugekommen, wie das Gerücht aufgekommen ist und hat gesagt, dass da nichts dran ist", so der Strippenzieher der "Bullen".

Zum anderen lieferte "Sky" mit Sturm-Graz-Trainer Christian Ilzer einen weiteren möglichen Nachfolger. Laut einem jüngsten Bericht bestehe in Frankfurt Interesse am frischgebackenen ÖFB-Cupsieger. Konkrete Gespräche wurden jedoch noch nicht geführt, heißt es weiter.

Neben den aufflammenden Spekulationen um den Trainerstuhl ist laut Durstewitz eines jedoch klar: "Die letzten Monate haben extrem viel Kraft gekostet."

"Wenn man sieht, wie ratlos der Trainer am Samstag nach dem Spiel war und auf der anderen Seite Sportvorstand Krösche den Druck erhöht, muss man abwägen, ob es überhaupt noch Sinn macht, gemeinsam weiterzuarbeiten."

Dass Frankfurt bei einem möglichen Pokal-Aus die Reißleine zieht und Glasner frühzeitig seines Amtes enthebt, wäre laut Durstewitz kein wünschenswerter Ausgang.

"Es ist auch eine Frage des Anstands, des Respekts und der Würde, die man in diesem teilweise brutalen Geschäft haben muss. Man hat Glasner den größten Triumph seit fast 50 Jahren zu verdanken. Ihn schmeißt man nicht einfach raus. Sollte man im Pokal scheitern, macht es für mich dennoch keinen Sinn, für die letzten vier Spiele einen neuen Trainer zu holen."

Gegenwart trifft auf Vergangenheit: Glasner im Gespräch mit Hütter
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Erinnerung an Causa Adi Hütter

Zwischendurch flackerte auch ein drohendes Deja-vu wie einst in der Causa Adi Hütter auf, der im Sommer 2021 zunächst versicherte, in Frankfurt zu bleiben und plötzlich, nur kurze Zeit später, bei Borussia Mönchengladbach unterschrieb.

Durstewitz meint: "Glasner hat sich eine Zeit lang nicht klar zum Verein bekannt. Erst vor drei Wochen wurde er deutlicher. Er hat auch eine Ausstiegsklausel in seinem Vertrag. Ich glaube aber nicht, dass es aktuell so heiß ist, dass Glasner zu einem anderen Verein gehen würde."

Und weiter: "Adi Hütter hatte das Problem, dass er in einer Fernsehsendung gesagt hat: 'Ich bleibe'. Auf diese zwei Wörter ist er festgenagelt worden und stand dann mehr oder weniger als Lügner da. Frankfurt ist da schon seit Niko Kovac gebrandmarkt."

Bevor Hütter das Frankfurter Ruder im Sommer 2018 übernahm, sorgte der damalige Eintracht-Coach Kovac mit dem Sager - "Stand jetzt bin ich bis 2019 hier Trainer" - für großen Unmut unter den Anhängern der "Adler". Denn es folgte der Wechsel zum Ligakrösus FC Bayern München. 

Ein derart unrühmliches Ende wäre entsprechend der Erfolge von Glasner in der Tat nicht würdig. "Die einen kommen, die anderen gehen", brachte Frankfurt-Torhüter Kevin Trapp die aufkommenden Trennungsgerüchte unlängst auf den Punkt.

"Am Ende hängt es auch davon ab, wie man sich gegen Stuttgart verkauft", betont Durstewitz abschließend.

Was jedoch mit Sicherheit bleibt, ist Glasners glorreiches Vermächtnis, das er eines Tages seinem Erben hinterlassen wird.



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