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So kann Sturm Graz Fenerbahce Istanbul knacken

Wo liegen die Stärken und Schwächen? Ein Türkei-Experte klärt auf:

So kann Sturm Graz Fenerbahce Istanbul knacken Foto: © getty

Spätestens ein Blick auf die Kaderliste genügt, um zu wissen, dass Fenerbahce Istanbul im Duell mit dem SK Sturm Graz in der dritten Qualifikations-Runde für die UEFA Europa League der große Favorit ist.

Doch ganz so sicher ist man sich in der Türkei nicht, dass der Traditionsklub dieser Rolle auch gerecht wird.

"Ja, auf dem Papier ist Fenerbahce auf jeden Fall Favorit, das ist natürlich eine starke Mannschaft. Aber rund um Fener haben viele Experten ihre Bedenken, ob das in diesen zwei Spielen reibungslos abläuft. Bei Fener selbst kommentiert man das nicht so offensiv - es gehört nicht zur Vereins-Philosophie, dass man nach außen hin Zweifel äußert", sagt Fatih Demireli.

Gemeinsam mit dem Chefredakteur des Sportmagazins "Sokrates" und Experten für den türkischen Fußball analysiert LAOLA1 den Gegner von Sturm, der am Donnerstag (ab 19 Uhr im LIVE-Ticker) in Liebenau gastiert:

DIE ERWARTUNGSHALTUNG:

Der Ist-Zustand von Fenerbahce ist kein uneingeschränkt rosiger. Platz drei in der abgelaufenen Saison mit Respektabstand auf Meister Besiktas und Vize Basaksehir bot für die Anhänger weniger Grund zur Freude als derselbe Endrang für Sturm. In Hinblick auf die neue Saison läuft es bislang weder auf dem Transfermarkt noch auf dem Platz nach Wunsch. "In der Türkei erwartet keiner, dass Fenerbahce locker drüberkommt. Das liegt aber weniger an Sturm als an Fener selbst, da die Vorbereitung bisher alles andere als rund läuft. Der Kredit ist eigentlich jetzt schon futsch, bevor die Saison überhaupt losgegangen ist. Daher geht niemand davon aus, dass man Sturm locker weghaut, zumal Lokalrivale Galatasaray letzte Woche blamabel gegen Östersund ausgeschieden ist. Das ist eine Warnung, wobei die Fans natürlich trotzdem zwei klare Siege erwarten", schildert Demireli die Ausgangsposition. Die Erwartungshaltung der Anhänger kommt nicht von ungefähr. Wer in der Vorsaison seine EL-Gruppe vor Manchester United gewonnen hat, darf gehobene Ansprüche haben. Und auch wenn der Fenerbahce-Motor noch ein wenig stottert, muss man genau diese Ansprüche wohl in Relation zu den Möglichkeiten des SK Sturm setzen - und dann ist der Verein von der asiatischen Seite Istanbuls natürlich alles andere als der Underdog.

DER FEHLENDE SUPERSTAR:

Fenerbahce hat viele bekannte Namen im Kader, einer überstrahlt sie jedoch alle: Robin van Persie. Die Sturm-Fans werden seine Künste jedoch nicht zu Gesicht bekommen, da der Goalgetter wegen einer Knieverletzung ausfällt. Zumindest Fußball-Romantikern entgeht etwas: Der Niederländer avancierte von 2004 bis 2012 zur Legende des FC Arsenal, kickte dann drei Jahre für Manchester United, ehe er im Sommer 2015 nach Istanbul übersiedelte. Kurz vor seinem 34. Geburtstag ist er auch ohne Verletzung von der Verfassung seiner Glanzzeit ein gutes Stück entfernt. Demireli schaute dem Stürmer-Star beim 1:1 im Test gegen den AS Monaco auf die Beine. Sein Urteil: "Van Persie verdient unfassbar viel Geld, hat einen großen Namen und eigentlich auch keine so schlechte Quote, aber er ist einfach nicht fit, kriegt 90 Minuten in einem Pflichtspiel nicht mehr hin. Natürlich ist er nach wie vor brandgefährlich. Wenn er in einer guten Position ist, haut er den Ball auch rein. Das Problem ist aber, dass er einfach nicht mehr in diese Position kommt." Netzte er in seinem ersten Jahr in der Süper Lig noch 16 Mal, waren es in der Vorsaison "nur" deren neun Treffer - Einsätze über die komplette Spielzeit blieben eher die Ausnahme. Altersschwäche hin oder her – der Verlust von van Persie wiegt für Fenerbahce dennoch schwer, da im Kader schlichtweg eine (fitte und auch erprobte) Mittelstürmer-Alternative fehlt (siehe Punkt "Transferpolitik").

DAS HERZSTÜCK:

Während der Angriff ein Fragezeichen darstellt, hat Fenerbahce im defensiven Zentrum - eigentlich - mehr als zufriedenstellende Antworten gefunden. In der Innenverteidigung tummeln sich mit Simon Kjaer, Martin Skrtel und ihrem verlässlichen Backup Roman Neustädter prominente Namen, davor machen im zentralen Mittelfeld Mehmet Topal (Demireli: "Der Chef. Er ist kein Lautsprecher. Wenn es nicht läuft, siehst du ihn nicht schreien oder grätschen, er ist ein ruhiger und besonnener Typ. Aber ein Anführer.") und der Brasilianer Josef da Souza dicht. Das Problem: Wie van Persie fällt auch Kjaer aus, er laboriert an einer Wadenverletzung. Neustädter ist zwar ein guter Ersatz, das Fehlen des Dänen ist aber tendenziell kein Nachteil für Sturm. "Kjaer ist normalerweise eine Bank. Gemeinsam mit Skrtel, den sie aus Liverpool geholt haben, ist die Innenverteidigung in dieser Besetzung das Prunkstück. Wenn einer ausfällt, springt Neustädter ein. Sturm braucht es gar nicht groß versuchen, über Kopfbälle zu kommen, da sind beide brutal stark. Davor sind Mehmet Topal und Souza defensiv enorm gut. Wenn Fener einigermaßen konzentriert spielt, kommt man nur schwer zu Torchancen. Diese Namen sind gesetzt, ansonsten kann man eigentlich fast alle Namen austauschen. Das merkt man auch am Transfermarkt - bis auf diese vier Positionen sucht man überall nach Neuzugängen."

DIE TRANSFERPOLITIK:

Gesucht wird vor allem in der Offensive, ganz konkret eine Alternative zu van Persie, denn dessen eigentlicher Ersatz Fernandao fällt derzeit ebenfalls verletzt aus. Ohne den Altstar ist wahrscheinlich, dass gegen Sturm mit Ahmethan Köse sogar ein 20-Jähriger aus der zweiten Mannschaft einspringen muss - eine völlig ungeprüfte Kraft: "Er hat noch kein Pflichtspiel in der Liga für Fener gemacht." Die Finanzkraft sei zwar nicht mehr ganz so groß wie früher, aber dank einem der lukrativeren TV-Verträge in Europa, einer großen Anzahl an Sponsoren, einem spendierfreudigen Vorstand und einem sportinteressiertem Staat, der bisweilen Steuererleichterungen gewähren soll, sei man trotzdem gut aufgestellt. Fenerbahce würde viel mehr das Financial Fairplay zu schaffen machen, meint Demireli: "An Geld mangelt es nicht, nur die UEFA schaut eben zu. Das Problem, dass sie keinen weiteren Stürmer haben, liegt nicht daran, dass sie keinen finden. Aber bevor sie nicht verkaufen, können sie nicht investieren." Bislang schlug man bezüglich Neuzugänge daher eher kostengünstig zu und setzte dabei auf weitere Routine. Nabil Dirar (31) kam für 3,5 Millionen Euro aus Monaco, Mathieu Valbuena (31) wurde um 1,5 Millionen Euro von Olympique Lyon erworben. Goalie Carlos Kameni (33, Malaga), Rechtsverteidiger Mauricio Isla (29, Cagliari) und Mehmet Ekici (27, Trabzonspor) kamen ablösefrei. "Mit Ekici haben sie versucht, das Mittelfeld kreativ zu bekommen. Der ist aber auch eher ein Achter als ein Zehner. Valbuena hat in Frankreich groß aufgespielt. Dirar ist auch ein Guter, der vielseitig einsetzbar ist", analysiert Demireli. Auf jeden Fall wurde eine erfahrene Mannschaft noch erfahrener.

SO KANN MAN FENERBAHCE KNACKEN:

  • Inwiefern gerade Dirar und Valbuena das Offensivspiel beleben, bleibt abzuwarten. Gut möglich, dass sie gemeinsam mit Alper Potuk oder Ekici die offensive Dreierreihe hinter der Solo-Spitze bilden. Das Spiel nach vorne sei jedenfalls eine der Schwächen von Fenerbahce. "Schon im Vorjahr unter Dick Advocaat hat Fener eher aus einer defensiven Grundausrichtung gespielt. Im Umschalten nach vorne kreativ zu werden, ist nicht Feners Stärke. Wenn Fener Probleme hat, das Spiel zu machen und den Ball in den eigenen Reihen zu haben, gibt es keinen, der mal den entscheidenden Pass spielt. Dann entstehen auch Fehler. So hat Fener letztes Jahr viele Tore kassiert, weil sie den Spielaufbau nicht hinbekommen haben, da einer gefehlt hat. Dann hat es einer versucht, der es eigentlich nicht kann. So sind viele Ballverluste entstanden, die zu Kontern und Gegentoren geführt haben. Genau da müsste Sturm ansetzen und Fener eigentlich den Spielaufbau überlassen. Da können sie ruhig abwartend spielen und schauen, was Fener macht, und dann die Kontersituationen suchen", rät Demireli. Besonders im Rückspiel könnte dies schlagend werden, falls die Geduld der Fenerbahce-Fans durch Probleme im Spielaufbau überstrapaziert wird und zu Pfiffen führen könnte.

  • Eine weitere Schraube, an der Sturm drehen könnte, ist die Außenverteidigung. "Die ist nicht so stark wie die Innenverteidigung", weiß der Experte, "gerade die linke Abwehrseite war letztes Jahr mit Hasan Ali Kaldirim und Ismail Köybasi sehr anfällig. Das sind zwar beides Nationalspieler, man muss aber betonen, dass auch die türkische Nationalmannschaft genau auf dieser Position ihre Probleme hat. Auch über rechts könnte es gehen, wobei das mit Sener schon die deutlich bessere Seite ist."

  • Mit Kameni wurde ein neuer Goalie geholt, Demireli rechnet jedoch damit, dass weiterhin der 35-jährige Haudegen Volkan Demirel, der seit 2002 im Verein ist, im Tor stehen wird. "Das ist auch eine Chance für Sturm", vermutet der Experte. Volkan sei zwar einer der Chefs des Teams, habe inzwischen aber leistungsmäßig abgebaut und sei anfällig geworden: "Rein leistungstechnisch müsste eher Kameni spielen, aber es ist nicht leicht eine Klubikone wie Volkan aus dem Tor zu verdrängen. Sein Vertrag lief aus und es wäre die Gelegenheit gewesen, einen Umbruch zu machen. Aber sie haben noch einmal um ein Jahr verlängert. Für mich ist es schwer vorstellbar, dass Volkan nicht als Nummer eins in die Saison geht." Bei Sturm gibt es mit Christian Gratzei übrigens eine ähnliche Situation, wobei bei den "Blackies" das Urgestein durch Neuzugang Jörg Siebenhandl abgelöst worden ist.
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SO TICKT DER TRAINER:

"Aykut Kocaman wird nachgesagt, dass er eher destruktiver spielt, nicht wirklich das Risiko sucht."

Gibt es bei der Torhüter-Situation angesichts zweier Urgesteine Ähnlichkeiten, kann man bei den beiden Coaches durchaus von Parallelen sprechen, wobei Aykut Kocaman als Spieler die größere Vereins-Legende war als Franco Foda, der jedoch rechtzeitig zu den ersten beiden Meistertiteln der Vereinsgeschichte in Graz anheuerte. Aber was Spielphilosophie und vorübergehenden Abschied im Unfrieden betrifft, gibt es durchaus Parallelen. "Aykut Kocaman wird nachgesagt, dass er eher destruktiver spielt, nicht wirklich das Risiko sucht. Er verneint das zwar, aber es ist nicht von der Hand zu weisen", sagt Demireli, der jedoch auf die Erfolge des "sehr ruhigen, besonnenen, analytischen" Trainers verweist. So leistete er in den vergangenen drei Jahren bei Konyaspor hervorragende Arbeit, die der 52-Jährige mit dem Pokalsieg krönte. In seiner ersten Amtszeit bei Fenerbahce (2010 bis 2013) gewann er 2012 und 2013 ebenfalls den Cup, 2011 eroberte er den Meistertitel - wie im selben Jahr auch ein gewisser Franco Foda mit Sturm. Die Trennung von Kocaman im Jahr 2013 war ein eher wenig ruhmreiches Kapitel. "Als Spieler war er ein Stürmer-Star, eine Fener-Legende. Er war sehr beliebt, hatte die Massen hinter sich. Als Trainer wurde er Meister, hat sich aber später mit dem Vorstand überworfen. Der Präsident hat gesagt: 'Unter mir wird er nie wieder in diesem Klub arbeiten.' Aber jetzt ist Fenerbahce in einer schwierigen Phase, mit Vitor Pereira und Dick Advocaat sind sie auf die Schnauze geflogen, da hat man eine Identifikationsfigur gebraucht, um auch die Fans wieder an Land zu ziehen. Da ist der Präsident über einen Schatten gesprungen und hat ihn zurückgeholt. Das ist auch die richtige Wahl gewesen, er kennt den Klub in und auswendig", findet Demireli. Ob hier zwischen Präsident und Trainer auch "Männergespräche" geführt wurden?

DER ZUSCHAUERSCHWUND:

Der neue, alte Coach soll jedenfalls mithelfen, die Fans wieder enger an den Verein zu binden. Denn der Zuschauerzuspruch war in der vergangenen Saison teilweise bescheiden. Klar, in den Derbys gegen Galatasaray und Besiktas oder beim Europa-League-Duell mit Manchester United wurden rund 45.000 Fans angelockt. Der Schnitt lag 2016/17 jedoch nur bei rund 16.500 Stadionbesuchern. In den letzten fünf Liga-Heimspielen konnte man nicht einmal mehr die 10.000-Zuschauer-Marke knacken. "Der Zuschauerschwund ist extrem. Früher war der Tabellenplatz egal, die Fans waren trotzdem da. Fener hat mit die treueste Fangemeinde in der Türkei und die kommt momentan einfach nicht ins Stadion", schildert Demireli und bietet diverse Begründungen an, die wohl allesamt ihren Teil dazu beitragen. Seien es die sportlichen Leistungen ("Schon der zweite Platz gilt eher als Trostpreis"), den Clinch der Fans mit Vereins-Boss Aziz Yildirim ("Er mischt sich in alle Bereiche ein, zwischendurch ist er auch mal Marketing-Chef") oder den Erfolg der Basketball-Abteilung von Fenerbahce ("Momentan vielleicht die beste Mannschaft Europas, sie haben die EuroLeague gewonnen. Die Halle ist jedes Mal ausverkauft, obwohl die Tickets sehr teuer sind"). In dieser Saison sollen die Anhänger wieder vermehrt überzeugt werden. Ein missratener Pflichtspiel-Auftakt gegen Sturm wäre diesbezüglich natürlich Kassen-Gift. Demireli: "Diese beiden Spiele gegen Sturm sind enorm wichtig. Wenn sie das vergeigen, wird es noch hektischer und problematischer - auch weil es große Häme gab, nachdem Galatasaray gegen Östersund ausgeschieden ist. Wenn Fener jetzt auch noch ausscheidet, dann gute Nacht!"


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