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Jürgen Melzer setzt auf Außenseiterrolle

Jürgen Melzer setzt auf Außenseiterrolle

Vor zwölf Monaten sah die Welt für Jürgen Melzer noch anders aus.

Als Paris-Halbfinalist und Nummer 12 des ATP-Rankings führte der Deutsch-Wagramer als Topgesetzter das Hauptfeld des Wr. Stadthallen-Turniers an.

Heute kommt Melzer zwar als zweifacher Titelverteidiger zum Erste Bank Open, ansonsten sind aber nur mehr wenige Paralellen zu erkennen.

Von seinen letzten zwölf Matches konnte er gerade einmal vier gewinnen. Nach der verunglückten Asien-Tournee ist Österreichs Nummer eins "nur" mehr auf Position 25 des ATP-Rankings zu finden.

"Habe mir viel Druck auferlegt"

"Ich habe mir selber sicherlich viel Druck auferlegt", hat Melzer bereits Ursachenforschung betrieben. "Nach dem Sieg über Roger Federer in Monte Carlo habe ich mir schon gedacht, dass ich nah an den Top 5 bin."

Aber auch der Körper hat seinen Teil zur durchwachsenen Saison beigetragen: "In Rom habe ich mir am Rücken richtig böse weh getan. Das hat sich dann über die ganze Saison gezogen. Ich hab immer irgendwas gehabt."

"Man darf nicht vergesssen, dass ich auch schon 30 Jahre alt bin. Das merke ich bei der Regeneration. Früher sind manche Schmerzen einfach schneller weggegangen."

Unter Wert verkauft?

Zudem fühlt sich Melzer etwas unter seinem Wert verkauft. "Ich habe viele enge Partien verloren. So schlecht wie die Ergebnisse waren, ist mein Spiel nicht. Irgendwann müssen einmal die engen Sachen in deine Richtung fallen."

Für den ÖTV-Daviscupper ist es vielmehr ein Beweis für die unglaubliche Dichte im Herren-Tennis. "Die Top 50 sind einander einfach ebenbürtig. Da kann jeder jeden schlagen - das hängt nur von Tagesverfassung, Selbstvertrauen und Fitness ab."

Vielleicht bringt schon das Stadthallen-Turnier die entscheidende Wende. "Ich hab hier zwei Mal hintereinander gewonnen. Wenn ich mich hier nicht wohl fühle, wo sonst?" stellt Melzer eine Leistungssteigerung in Aussicht.

Die Bedingungen haben sich allerdings etwas geändert. "Es ist ein bisschen schneller als letztes Jahr. Das hat mich doch überrascht. Es ist ein flacher und zügiger."

Auslosung geht in Ordnung

Mit der Auslosung ist Melzer, der schon seit Donnerstag in der Stadthalle trainiert, zufrieden. Dank seiner Setzung als Nummer drei hat der Wahl-Wiener wie im Vorjahr ein Freilos, im Achtelfinale trifft er entweder auf US-Altstar James Blake oder den Spanier Guillermo Garcia-Lopez.

"Die Auslosung ist aber schon gefährlich. Blake hat in Stockholm wieder aufgezeigt und del Potro geschlagen. Mit Garcia-Lopez habe ich am Samstag vormittag trainiert und einen ganz engen Satz gespielt. Beide sind aggressive Spieler, die an einem guten Tag sehr gefährlich werden können."

"Ich fühl mich hier aber wohl, mag die Bälle und den Belag. Das Selbstvertrauen vom Vorjahr muss ich mir hier erst wieder erarbeiten. Ich werde alles geben und dann wird man sehen, wie weit es diesmal reicht."

Keine Gedanken an den Titel-Hattrick

Vom Titel-Hattrick will Melzer aber nicht sprechen. "Heuer habe ich das klassische „Von–Runde-zu-Runde"-Denken haben. Mit Tsonga und del Potro sind zwei absolute Top-Spieler dabei, die vom Spielerischen über mich zu stellen sind."

"Vielleicht kann ich ein bisschen in der Außenseiterrolle zuschlagen", so Melzer, der allerdings zugibt:" Wenn man selbst schon zwei Mal in Wien gewonnen hat, kommt man nie ganz als Außenseiter her."

Starke Konkurrenz im Doppel

Zumindest als Titel-Mitfavorit sieht sich Melzer dagegen an der Seite von Philipp Petzschner im Doppelbewerb.

"Wenn man die US Open gewinnt, peilt man natürlich bei jedem Turnier den Titel an. Das werden wir auch hier versuchen", zeigt er sich auch vor dem Antreten der Bryan-Brüder Bob und Mike furchtlos.

Die beiden US-Superstars drohen Melzer/Petzschner, die im vergangenen Jahr in Wimbledon triumphierten, sowieso erst spätestens im Endspiel. Im unteren Raster ist das Duo hinter Max Mirnyi/Daniel Nestor (BLR/CAN) an drei gesetzt.

"Das Doppelfeld ist super besetzt. Das ist allerhöchste Klasse, was hier geboten wird. Teams, die fürs Masters qualifiziert sind, sind hier nicht einmal gestzt. Die Zuschauer können sich darauf freuen, dass hier ein sehr hohes Doppel-Niveau zu sehen sein wird."

Führender der Geldrangliste

Den normalerweise niedrigen Stellenwert des Doppelbewerbs in der Öffentlichkeit beklagt Melzer.

"Das Doppel geht einfach total unter, ich weiß es aber für mich. Zwei Grand-Slam-Siege sind was Tolles und ich bin auch irrsinnig stolz drauf."

"Man darf auch nicht vergessen, dass ich in der Geldrangliste ganz weit vorne bin. Im Golf gibt’s diese Liste, bei uns leider nicht. Das Jahr war also nicht so schlecht", so Melzer, der als einer der wenigen Spieler auf der Tour sowohl im Einzel als auch im Doppel Weltklasse ist.

"Die großen Erfolge im Einzel sind ausgeblieben"

Dass soll aber nicht heißen, dass er im Jahr 2012 mit einer ähnlichen Performance wie heuer zufrieden wäre.

"Die großen Erfolge im Einzel sind heuer ausgeblieben. Das ärgert mich und das will ich im nächsten Jahr natürlich besser machen. Mit der nötigen Routine und dem nötigen Abstand, den ich mittlerweile habe, weiß ich, dass es irgendwann wieder besser gehen wird. Es ist nur eine Frage der Zeit bis es wieder in meine Richtung fällt."

Vielleicht ist es ja schon am Mittwoch in der Wr. Stadthalle so weit.

Christian Frühwald