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Die Aufreger der 100. Tour de France

Die Aufreger der 100. Tour de France

Drei Wochen haben sie gekämpft, gelitten, getrauert und gefeiert.

Auf und abseits der 3.403,5 Kilometer langen Strecke sorgten die 198 Teilnehmer der 100. Tour de France für Furore.

Doch nicht nur die Athleten selbst rückten ins Rampenlicht: Auch Fans, ein Busfahrer, die Jury und der Wind hatten eine bedeutende Rolle inne.

Ganz anders das Thema Doping - erstmals seit Jahren spielte dieses lediglich eine Nebenrolle.

Die Aufreger der Tour de France 2013:

"Bus-Gate"

Was war das für ein spektakulärer Auftakt in die 100. Ausgabe der Tour de France. Die Anspannung und Nervosität im Feld waren riesig, die Vorbereitungen auf den Sprint der ersten Etappe auf Korsika liefen auf Hochtouren, als über Radio Tour die Meldung kam, der Orica-Teambus sei auf der Ziellinie stecken geblieben (das Video aus Sicht des Teams). Die Organisatoren wollten das Ziel drei Kilometer vorverlegen und kommunizierten das den Teams, die es an die Fahrer weiterleiteten.

Kurz vor Eintreffen hatte jemand die zündende Idee - man ließ die Luft aus den Reifen des Busses aus. Das Original-Etappenziel war gerettet, der Bus wurde aus der Gefahrenzone gerollt. Während Marcel Kittel die Gunst der Stunde nutzte und seinen ersten Tour-Etappensieg feiert, hatten viele andere weniger Glück. Ein Massensturz riss zahlreiche Fahrer zu Boden - u.a. brach sich Geraint Thomas das Becken, während Tony Martin sich eine Lungenquetschung zuzog.

 

Der Wind, das teuflische Kind

Es war wie verhext. Auf der verflixten 13. Etappe platzte der Traum Alejandro Valverdes, die Jubiläums-Rundfahrt auf dem Podium zu beenden. Zwar war er hellwach, als Omega Pharma wie aus dem Nichts eine Attacke lancierte und eine Windkante entstand. Ein platter Reifen machte ihm jedoch alles zunichte. Valverde musste auf das Begleitfahrzeug warten und verlor den Anschluss.

Nach und nach ließen sich seine Teamkollegen zurückfallen, um ihren Kapitän wieder ans Feld heranzuführen. Und siehe da, aus einem Rückstand von bis zu 45 Sekunden wurde ein Abstand von nur noch zwölf. Doch dann war die Luft draußen und die Fahrer mit ihrer Kraft am Ende. Im Etappenziel in Saint-Amand-Montrond zeigte die Uhr schließlich 9:54 Minuten Rückstand an. Der Spanier kündigte bereits an, im nächsten Jahr einen weiteren Angriff auf das Stockerl vorzunehmen. Ob er sich dann wieder in einer derart starken Verfassung befindet, ist allerdings ungewiss.

 

Der Urin-Skandal

"Unnötige und beängstigende Scheiße" meinten die einen, "normaler Rennunfall" entgegneten die anderen. Mark Cavendish' Rempler gegen Tom Veelers im Schlussspurt der zehnten Etappe war in jedem Fall grenzwertig, der Brite wurde für viele schnell zum Sündenbock erklärt. Zu spüren bekam er das bereits am nächsten Tag, als er das Einzelzeitfahren zum Mont-Saint-Michel bestritt.

Ein Idiot wollte Veelers "rächen" und bewarf den Ex-Weltmeister mit Urin. "Nun, ich glaube, Apfelsaft sieht für mich heute Abend nicht so appetitlich aus", kommentierte "Cav" den Vorfall auf seine ihm eigene Art. Einige Fahrer waren weniger zurückhaltend. "Cavendish wurde ausgebuht und mit Urin beworfen? Ernsthaft? Das ist ekelhaft, traurig und dumm", kommentierte etwa Veelers' Teamkollege Koen de Kort den Vorfall. "Das ist ein Skandal", fügte Jérôme Pineau hinzu.

 

Das Drama um Péraud

Die Franzosen hatten bei der 100. Ausgabe der Tour wahrlich nicht viel zu feiern - nimmt man den grandiosen Sieg von Christophe Riblon in Alpe d'Huez mal vorsichtig davon aus. Umso stolzer waren sie auf die Vorstellung von Jean-Christophe Péraud. Der 36-Jährige hielt sich sensationell auf Rang neun im Gesamtklassement und wollte sich in der letzten Tour-Woche weiter verbessern.

Doch dann kam der Tag des zweiten Einzelzeitfahrens und das Schicksal nahm eine tragische Wendung. Bereits beim Einfahren kam der Routinier schwer zu Sturz und zog sich einen Schlüsselbeinbruch zu. Getreu dem Motto "hart, härter, Radprofi" stand es für Péraud dennoch außer Frage, das Rennen fortzusetzen. Im Kampf gegen die Uhr schlug er sich bravourös und sorgte mit tollen Zwischenzeiten für Furore. In der letzten Abfahrt schlug der Verletzungsteufel jedoch abermals zu. Péraud küsste ein zweites Mal den Boden und flog mit voller Wucht auf das bereits gebrochene Schlüsselbein. Nun hatte er keine andere Wahl - er musste die Tour aufgeben.

 

ARD/ZDF und die deutsche Dominanz

Sechs Etappensiege bedeuteten die Einstellung des historischen Allzeit-Rekords aus dem Jahr 1977 - die deutschen Radprofis zählten bei der "Großen Schleife" zu den ganz großen Abräumern. Allen voran Marcel Kittel, der gleich vier Teilstücke gewann, aber auch Tony Martin (seine unglaubliche Geschichte), André Greipel oder Ausreißer-König Jens Voigt, der wohl seine letzte Tour bestritt, gehörten zu den Protagonisten der Rundfahrt.

ARD und ZDF wollten von einem Wiedereinstieg in die Live-Berichterstattung dennoch nichts wissen, da den Öffentlich-Rechtlichen in den letzten Jahren zu viel gedopt wurde. Und kam dann doch ein Einspieler zur Tour, fragte sich der Reporter: "Warum diese Begeisterung bei all dem Doping und Betrug?" Diese einseitige Berichterstattung (Die Doppelmoral der Öffentlich-Rechtlichen) erzürnte auch die Fahrer. "Nach wie vor zahle ich Rundfunkgebühren, um mich im MoMa (ARD Morgenmagazin, Anm.) als Betrüger hinstellen zu lassen. Vielen Dank", twitterte Simon Geschke, während André Greipel den Vorfall wie folgt kommentierte: "Nach diesem netten Bericht solltet ihr nicht überrascht sein, dass kein deutscher Fahrer mit euch redet, ARD und ZDF."

 

Froomes Problem mit dem Essen

Darf man oder darf man nicht? Brennpunkt Nummer eins nach der Königsetappe (18.) nach Alpe d'Huez war die Zeitstrafe gegen Chris Froome. Dieser war kurz davor, einen Hungerast zu erleiden und nahm im Schlussanstieg einen Energieriegel von seinem Teamkollegen Richie Porte an. Prompt reagierte die Jury, drückte beiden eine 20-Sekunden-Strafe auf und verdonnerte sie zusätzlich zu je 200 Schweizer Franken. Sportdirektor Nicolas Portal, der Porte den Riegel reichte, musste gar 1.000 Franken hinblättern.

Da die Regel besagt, dass eine Nahrungsaufnahme "ab 50 km nach dem Start und bis 20 km vor dem Ziel zulässig ist", bewegte sich die Jury mit ihrer Strafe im Rahmen des Erlaubten. Froome dachte allerdings, dass nur derjenige sanktioniert würde, "der aus dem Wagen etwas annimmt". Die LAOLA1-User hatten wenig Verständnis für die Strafe. "Die Gesundheit geht immer noch vor - diese 20-sec-Strafe entbehrt jeglicher Grundlage", echauffierte sich beispielsweise "Nightey".

Dominanz und Skepsis

Die Dominanz des Chris Froome in den letzten drei Wochen war beeindruckend. Der Brite war der Konkurrenz klar überlegen und sicherte sich souverän den Gesamtsieg bei der 100. Tour. Seine Leistungen riefen sofort Kritiker und Unkenrufer hervor. Dopinganschuldigungen wurden laut, ohne auch nur einen Beweis dafür zu bringen. Froome war sauer - speziell nach seinem Sieg am Mont Ventoux.

"Hier sitze ich nach dem größten Sieg meiner Karriere und werde beschuldigt, ein Lügner und Betrüger zu sein. Das bin ich nicht!", erwiderte er seinen Kritikern, die ihn mit Lance Armstrong verglichen. "Er hat betrogen, ich nicht." Froome versprach, seine Leistungen werden - im Gegensatz zu jenen des US-Amerikaners - auch in Zukunft Bestand haben. Das Team Sky gewährte einer Zeitung Einblick in Froomes Daten. Ein Sportwissenschaftler überprüfte diese und befand, dass der 28-Jährige Leistungen erbringt, die auch ohne Doping möglich sind.

(Vorerst) kein Dopingfall

"Tour de France bisher offiziell dopingfrei" - diese Meldung der "Austria Presse Agentur" vom 14. Juli hat auch mehr als eine Woche später noch Bestand. Die 100. Auflage der Frankreich-Rundfahrt präsentierte sich - bisweilen - so sauber wie lange nicht mehr. Während in den vergangenen Jahren reihenweise Betrüger aufflogen, scheint es so, als hätten die Fahrer ihre Lektion gelernt und wollten zu einem glaubwürdigeren Radsport beitragen.

Freilich sollte nicht unerwähnt bleiben, dass viele Tests noch nicht analysiert wurden und die Vergangenheit den Velo-Zirkus gelehrt hat, dass auch Nachuntersuchungen für ein gewaltiges Doping-Beben sorgen können. Eine Tendenz zum Besseren ist dennoch erkennbar und sollte daher auch entsprechend gewürdigt werden. Die Hoffnung auf eine bessere - und saubere - Zukunft stirbt bekanntlich zuletzt.

 

Christoph Nister