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Armstrong: Professionelles Dopingsystem enthüllt

Armstrong: Professionelles Dopingsystem enthüllt

Für Lance Armstrong gibt es wohl kein Entrinnen mehr. Durch die Veröffentlichung des mehr als 1.000 Seiten starken Reports hat die US-Anti-Doping-Agentur (USADA) den Mythos des siebenmaligen Tour-Siegers endgültig als Lebenslüge entlarvt.

Mit mafiösen Strukturen und krimineller Energie soll der Texaner im früheren US-Postal-Team die Grundlagen für seine beispiellose Radsport-Karriere geschaffen haben, berichten Weggefährten unter Eid.

UCI unter Druck

Der Verlust von bis zu sieben Titel bei der Tour de France scheint nur noch Formsache, zudem droht ihm die Aberkennung von Olympia-Bronze. Durch den Bruch der Schweigemauer gerät nun aber auch der Radsport-Weltverband (UCI) unter Druck.

"Niemand glaubt deine Hexenjagd-Lügen mehr, Lance", zog die "Los Angeles Times" ein vernichtendes Fazit.

"Löscht diese Schande aus - jetzt oder nie! Alles war falsch, befleckt und betrügerisch. Eine gesamte Ära des Radsports verschwindet in einem Schlund", urteilte die "Gazzetta dello Sport".

Armstrong scheint unbeeindruckt

Die umfangreichen Beweise konnten den stets auf seine Unschuld beharrenden Armstrong selbst allerdings äußerlich nicht beeindrucken. "Was mache ich heute Abend? Ich verbringe Zeit mit meiner Familie, ungerührt", twitterte der 41-Jährige am Mittwoch.

Kurz zuvor war die Urteilsbegründung der USADA veröffentlicht worden. Darin enthalten: 26 Zeugenaussagen, darunter elf früherer Teamkollegen, entlarvender E-Mail-Verkehr, und zahllose Aufzeichnungen über das nach Ansicht der Dopingjäger "ausgeklügeltste, professionellste und erfolgreichste Dopingprogramm, das der Sport jemals gesehen hat".

Dossier öffentlich zugänglich

Die UCI hat nun 21 Tage Zeit, über die mögliche Aberkennung der Erfolge Armstrongs und die von der USADA ausgesprochene lebenslange Sperre zu urteilen.

Das auch im Internet veröffentlichte USADA-Dossier belegt nicht nur Armstrongs Besitz und Gebrauch von EPO, Bluttransfusionen, Testosteron, Steroid- und Wachstumshormonen, sondern auch Dopinghandel und Versorgung von anderen Fahrern.

Armstrongs "kleine Armee"

Die Aufzeichnungen vermitteln das Bild eines kaltblütigen Egomanen, der für seine Besessenheit von Siegen auch Weggefährten unter massiven Druck setzte.

"Er hat rücksichtslos erwartet und gefordert, dass seine Teamkollegen genauso Dopingmittel nutzen, um seine Ziele zu unterstützen", schreibt die USADA.

Dabei habe Armstrong nicht alleine gehandelt, sondern auch "eine kleine Armee an Gehilfen mit Dopingärzten, Schmugglern" um sich geschart.

1 Million Dollar an Ferrari

Die zahllosen Dokumente liefern einen tiefen Einblick in die Organisation des Systems.

Demnach belegen Kontoauszüge, dass der Amerikaner mehr als eine Million Dollar an den italienischen Arzt Michele Ferrari als "Organisator des Dopingprogramms Armstrong" überwies.

Als zahlender Kunde von "Dottore EPO" Ferrari taucht in den USADA-Unterlagen im Jahr 2006 unter anderen auch der kasachische Olympiasieger Alexander Winokurow auf.

Suspendierungen und Aberkennungen

Die zurückgetretenen Tyler Hamilton und George Hincapie berichteten der USADA, dass Armstrong ihnen bei Engpässen mit EPO ausgeholfen habe.

Nach ihren Zeugenaussagen und Dopinggeständnissen wurden die vier noch aktiven Radprofis Levi Leipheimer (Omega Pharma-QuickStep), Christian Vande Velde, David Zabriskie und Tom Danielson (alle Garmin-Sharp) jeweils für ein halbes Jahr gesperrt.

Ebenfalls suspendiert sind Michael Barry und Hincapie, die beide bereits kürzlich ihre Karriere beendet hatten. Zudem wurden dem Sextett um Leipheimer und Hincapie auch zahlreiche mithilfe von Doping erreichte Ergebnisse aberkannt. Danielson verlor etwa seinen Sieg bei der Österreich-Rundfahrt 2006.

Nicht nur Athleten unter Verdacht

Doch nicht nur noch die Athleten rücken erneut in den Fokus, auch die Rolle der UCI hinterlässt viele offene Fragen.

Sein langjähriger Domestike Hamilton sagte aus, Armstrong habe ihm und Landis berichtet, er sei bei der Tour de Suisse 2001 positiv auf EPO getestet worden. Armstrongs Leute seien mit der UCI in Kontakt und "alles wird ok sein". Zabriskie gab zu Protokoll: "(Teamchef) Johan Bruyneel schien immer genau zu wissen, wann Dopingtester zu den Rennen kamen."

Gegen den engen Armstrong-Vertrauten Bruyneel läuft eine separates Verfahren der USADA und seit Donnerstag ermittelt auch der belgische Verband. Bruyneel soll das Dopingsystem gemeinsam mit Ärzen am Laufen gehalten haben.

"Wahrheits- und Versöhnungsprogramm"

Lobende Worte für das "mutige und entschlossene" Vorgehen der USADA fand die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA), die einen etwaigen UCI-Einspruch ihrerseits anfechten kann.

Als Konsequenz der Enthüllungen empfahl die USADA dem angeschlagenen Weltverband, ein "Wahrheits- und Versöhnungsprogramm" einzurichten.

Dabei sollen Radprofis ermutigt werden, "mit der Wahrheit über ihre Doping-Vergangenheit rauszurücken", um den Radsport von seiner Vergangenheit zu befreien und das Betrugssystem zu zerstören.

"Weltrekord-Doper"

Ein solcher Schritt ist von Armstrong nicht zu erwarten. Nach der drohenden Verbannung aus den sportlichen Geschichtsbüchern muss "der Weltrekord-Doper" (New York Daily News) auch um seine Reputation als Geschäftsmann kämpfen.

Noch steigen die Zahlungen an seine Livestrong Krebsstiftung stetig, bis zum 30. September im Vergleich zum Vorjahr um 2,1 Prozent auf 33,8 Millionen Dollar.