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Endlose, qualvolle Kilometer

Endlose, qualvolle Kilometer

5. Tagebucheintrag, 25.01.2012: Mentale Challenge

Der Weg ist das Ziel! So lautet seit heute die Devise von Christian Schiester. Da die am Montag erlittene Knieverletzung nicht abklingt, ist der Wettkampf nebensächlich geworden. Für den Steirer gilt es jetzt nur noch die verbleibenden Etappen irgendwie zu überstehen und das Ziel der Coastal Challenge zu erreichen: die Westküste Costa Ricas.

Auch heute war keine Besserung in Sicht. Meine Tage bestehen derzeit nur aus starken Schmerzen und endlosen, qualvollen Kilometern. Ich wage behaupten zu können, dass ich immer ein sehr positiv denkender Mensch bin. Aber mittlerweile fällt es mir wirklich schwer, mich noch irgendwie zu motivieren. Über sechs Stunden lang ist mir heute alle zwei Sekunden lang ein schmerzhafter Stich durch das Knie gefahren, es war kaum auszuhalten.

Um mich irgendwie abzulenken habe ich bei jedem der 46 Kilometer ein Jahr meines Daseins Revue passieren lassen – von der Geburt bis heute. Als ich wieder in der Gegenwart angelangt war, bin ich zum Schluss gekommen, dass ich das Richtige tue. Dass ich in meinem Leben den richtigen Weg eingeschlagen habe und kein Typ bin, der sich unterkriegen lässt. Der Schmerz aufgeben zu müssen ist mindestens genau so groß wie der Schmerz wenn ich weiterlaufe. Koste es was es wolle: Ich mache weiter!

Auf den ersten zehn Kilometern bergauf war ich an den Führenden dran. Doch dann ging es einfach nicht mehr, ich konnte fast nur noch gehen. Läufer um Läufer hat mich überholt, aber ich habe einfach meine Kappe tief ins Gesicht gezogen und versucht nicht darauf zu achten. Gleiches hab ich auch bei den diversen Schlangen getan, die mir immer wieder sprichwörtlich über den Weg gekrochen sind. Mittlerweile habe ich mich wieder auf Rang sieben vorgearbeitet. Aber das ist Nebensache.

Die letzten zwei Kilometer hatten es wirklich in sich: Wir mussten durch einen engen Canyon, immer gegen die starke Strömung eines Flußes. Ich weiß nicht mehr wie oft ich ausgerutscht oder überknöchelt bin. Mehrere Male musste ich schwimmen. Den anderen Athleten ist es nicht besser ergangen, keiner ist ohne Aufschürfungen, Blutergüsse oder Prellungen davongekommen. Überall im Camp sieht man zerkratzte Beine, offen geriebene Füße und dicke Verbände. Die Letzten sind erst nach Sonnenuntergang angekommen, völlig abgekämpft und verängstigt.

Fast eine Stunde waren wir nur auf diesen zwei Kilometern unterwegs. Am Ende habe ich wieder über sechs Stunden für diese Etappe benötigt – unglaublich, aber wie gesagt, der Wettkampf ist gelaufen. Ich werde mich morgen wieder an die Startlinie stellen und wieder meine Schlacht schlagen. Nicht gegen die anderen Läufer, sondern gegen die Natur und mich selbst – zwar sicherlich langsam, aber stehenzubleiben. Irgendwie muss ich es einfach zu dieser verdammten Küste schaffen!

RUN ON

Christian Schiester