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Tanz auf der Rasierklinge: "Kunst ist grenzenlos!"

Tanz auf der Rasierklinge:

Standing Ovations im Wiener Burgtheater. DJ Ötzi wäre am liebsten auf seinen Stuhl gesprungen, so begeistert war er.

Beachvolleyballer Clemens Doppler applaudierte ähnlich frenetisch wie die Fans beim Grand Slam im Klagenfurt.

BMX-Pro Senad Grosic war genauso enthusiasmiert wie Designerin Lena Hoschek, der fotografierende Prinz Hubertus von Hohenlohe oder Snowboard-Weltmeister Benji Karl.

Buntes Publikum, einmalige Show

Die „Flying Steps“ haben wieder einmal alle aus den Stühlen gerissen, nach Hamburg, München, Berlin, Kopenhagen und Zürich auch Wien im Sturm erobert.

Das Burgtheater war bis auf den letzten Platz gefüllt, im Publikum saß neben dem Anzugträger der tätowierte Punk.

So bunt das Publikum, so einmalig war die Show, die eine der besten Breakdance-Crews der Welt bei „Red Bull Flying Bach“ ablieferte.

Minutenlange Spins und Freezes, akrobatische Verrenkungen, Luftsprünge, Interaktionen mit einer Ballettänzerin – und das alles zur Musik von Johann Sebastian Bach.

"Das Theater braucht die Jungen"

Wer denkt, das geht nicht, irrt gewaltig. Ausverkaufte Häuser überall, Preise zuhauf und sensationelle Kritiken rund um den Globus.

Im LAOLA1-Interview freut sich Choreograph und „Flying Steps“-Mastermind Vartan Bassil über den Erfolg im altehrwürdigen Burgtheater und den gelungenen Bildungsauftrag.

Außerdem spricht der gebürtige Libanese über Street-Credibility und den Battle-Gedanken.

LAOLA1: Vor der Realisierung von „Flying Bach“ war die Idee. Verraten Sie uns doch, wie es dazu gekommen ist?

Vartan Bassil: Unser Wunsch war es immer, Breakdance einerseits populärer zu machen und auch ein bisschen in die Hochkultur hinein zu kommen. Damit die Leute verstehen, dass es etwas mit Leidenschaft und Leistung zu tun hat – und mit Leuten, die sich tagtäglich über ihre Moves und Tricks machen.

LAOLA1: Und dann haben die „Flying Steps“ Bekanntschaft mit Dirigent und Regisseur Christoph Hagel gemacht?

Bassil: Ganz genau. Wir sollten eigentlich in einer seiner Produktionen dabei sein, die dann leider nicht zustande kam. Aber wir haben ihm von unserer Idee erzählt, Breakdance mit Klassik zu verbinden. Er war dann bei unseren Proben, bei einigen Shows und fand unsere Energie und wie wir Dinge umsetzen toll. Und wenig später kam er dann zu uns und sagte Bach würde zu uns passen.

LAOLA1: Was haben Sie gedacht, als zum ersten Mal zum „Wohltemperierte Klavier“ von Bach mit Präludien und Fugen statt zu Hip-Hop-Beats gebreakt wurde?

Bassil: Schon nach der ersten Probe war klar, dass wir das machen. Das war die Geburtsstunde von „Flying Bach“. Unser Anspruch war es, die Pirouetten, die Ballettänzer mit ihren Füßen drehen, auf unseren Händen zu machen. Das Stück ist natürlich ideal, weil es durch die Präludien und Fugen einzelne Stimmen gibt, die wir als Tänzer verkörpern. Das war auch für uns eine Herausforderung. Nicht nur zur Musik tanzen, sondern wirklich in die Materie reingehen und das Stück zu visualisieren.

LAOLA1: Wie schwierig war es, Breakdance mit klassischer Musik zu verbinden?

Bassil: Breakdance besteht aus vier Schritten, die nach bestimmten Takten gebaut sind. Aber die Klassik funktioniert so nicht. Da mussten wir uns anpassen und unsere Schritte ändern. Hinzu kommt, dass auf der Bühne die schauspielerische Komponente eine viel größere ist. Beim Breakdance geht es ja in erster Linie um Technik, Akrobatik und die Kombination der verschiedenen Moves.

LAOLA1: Wie waren zunächst die Reaktionen aus dem Lager der Breaker?

Bassil: Wir haben Freunde und Bekannte eingeladen, aber auch die Skeptiker. Außer uns wusste ja keiner, wie es wird. Aber das Feedback war vom ersten Tag an positiv. Ich sage immer: Open mind. Es geht immer noch um Kunst – und die ist grenzenlos.

LAOLA1: Was haben die Klassik-Fans?

Bassil: Das war unsere größte Angst: Wie werden die Klassik-Leute reagieren. Bach ist heilig, das war uns klar. Es ist eine höhere Kunstform. Deshalb sind wir sehr respektvoll damit umgegangen, auch mit den Leuten aus der Klassik-Szene. Wir wussten, dass sie auf unsere Moves stehen werden, aber die große Frage war, ob sie auch verstehen, wie wir es umsetzen und die Musik interpretieren. Weil es das noch nie gab. Aber das Feedback war sensationell!

LAOLA1: Nicht nur das Feedback war sensationell, Sie haben mit „Flying Bach“ 2010 auch einen Klassik-ECHO gewonnen?

Bassil: Das war der Ritterschlag für uns! Zunächst konnten wir es nicht glauben, aber nach und nach wurde uns klar, was wir da erreicht hatten. Eigentlich wollten wir ja immer einen Pop-ECHO gewinnen, jetzt haben wir einen Preis, von dem wir nicht zu träumen gewagt haben. Wir wurden dann auch zum Bach-Festival nach Leipzig eingeladen, wo Bach herkommt. Was will man mehr?

LAOLA1: Sie erfüllen auf eine gewisse Art und Weise auch einen Bildungsauftrag?

Bassil: Das ist genau das Tolle daran: Wir kriegen Jung und Alt damit. Die Jungen bringen wir näher zu Bach und zur Klassik und die Älteren sehen, dass Hip-Hop etwas Cooles ist und es auch da Leute gibt, die sich Gedanken machen. Uns war es wichtig, dass beide Seiten sehen, dass es noch etwas Anderes gibt, das aber problemlos und sehr gut Teil der eigenen Kultur und Identifikation sein kann.

LAOLA1: Wie groß war die Ehrfurcht vor dem Burgtheater mit seiner langen Tradition?

Bassil: Wir hatten schon Respekt, klar. Das Burgtheater ist ein renommiertes Haus, sehr bekannt. Vor allem Künstler aus dem Theaterbereich und der Klassik haben gesagt: „Was, ihr tretet im Burgtheater auf? Unglaublich!“ Und es macht uns auch stolz, dass wir als Breakdance-Gruppe hier sechs Mal ausverkauft sind.

LAOLA1: Das ganze Team musste viel Mal auf die Bühne kommen, wurde bei der Premiere frenentisch gefeiert. Hätten Sie damit gerechnet?

Bassil: Damit rechnen darf man nicht. Jedes Land, jeder Auftritt ist für uns eine neue Herausforderung. Wir wissen ja nicht, wie die Leute in Österreich oder der Schweiz ticken. Aber die Stimmung war so positiv und gut, dass wir noch das eine oder andere Prozent mehr herausgeholt haben. Es war auch schön zu sehen, dass viele junge Leute im Publikum waren. Genau die müssen wir wieder ins Theater bringen, sonst stauben die ein.

LAOLA1: Bei „Flying Bach“ kämpfen sechs Tänzer um und gegen eine grazile Ballettänzerin. Ohne Battle geht nicht, oder?

Bassil: Beim Breakdance wird eigentlich immer gekämpft, der Battle-Gedanke wird groß geschrieben. Hier geht es aber in erster Linie darum, um die Gunst des Publikums zu kämpfen. Wenngleich auch „Flying Bach“ eine Art von Battle ist. Zwar nicht unbedingt Tänzer gegen Tänzer, aber gegen Vorurteile. Und genau die wollen wir brechen, dafür kämpfen wir!

LAOLA1: Wir danken für das Gespräch.

Das Interview führte Stephan Schwabl