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Hartmann: "Ich war kein guter Marathonläufer"

Hartmann:

Zum 30. Mal treffen sich am Sonntag in Wien Tausende Menschen, um sich laufend über 42,195 km kreuz und quer durch die Stadt zu quälen. Klingt zwar ein wenig nach Irrsinn, ist aber ein Riesenerfolg.

Das belegen alleine schon die Starterzahlen des Vienna City Marathons, der mit rund 41.000 Meldungen aus 118 Nationen einen neuen Starterrekord verzeichnet. Kurzum: Laufen boomt!

Einer, dessen Name unweigerlich mit dem VCM verbunden ist, ist jener von Gerhard Hartmann. Dem Tiroler gelang es als bisher einzigem Österreicher, am Wiener Heldenplatz zu triumphieren. Dieses Kunststück schaffte er zwischen 1985-1987 sogar dreimal in Serie.

Zur Ikone reifte der mittlerweile 58-Jährige aber erst im Laufe der Zeit. Denn sein beim VCM 1986 aufgestellter österreichischer Rekord von 2:12:22 Stunden überdauerte beachtliche 23 Jahre, ehe ihn Günther Weidlinger 2009 in Frankfurt auf 2:10:47 verbesserte.

Trotz seiner Bestmarke, an der sich ganze Generationen maßen und scheiterten, erklärt Hartmann im Interview mit LAOLA1, dass er „eigentlich gar kein guter Marathon-Läufer“ gewesen sei und dass er die Mutter aller Langdistanzen nie geliebt habe:

LAOLA1: Gerhard, du hast 23 Jahre lang den österreichischen Marathon-Rekord gehalten. Welche Erinnerungen verbindest du mit dem Rennen 1986?

Gerhard Hartmann: Sehr schöne. Es war ein Ereignis, das eine Eigendynamik entwickelt hat, die nicht abzusehen war. Wenn man einen österreichischen Rekord läuft, ist das zunächst natürlich immer schön. Nur dass dieser österreichische Rekord derartig an Bedeutung gewinnt, das konnte niemand erahnen. Es konnte schließlich keiner wissen, dass er 23 Jahre hält. Wenn ich zurückdenke, war das Rennen ja unter sehr schlechten Witterungsbedingungen. Ich habe mir gedacht: Mensch, bei so einem Wetter so ein gutes Rennen zu laufen! Da war ich schon sehr zufrieden.

LAOLA1: Wie unterschied sich die Streckenführung im Vergleich zu jener von heute?

Hartmann: Damals war der Start noch beim Rathaus, aber der Zieleinlauf war schon auf dem Heldenplatz. Ich bin ja der Meinung, dass es keinen Marathon in Europa gibt, wo ein Zieleinlauf malerischer ist. Wenn du durch das Heldentor läufst, ist das einfach ein erhebendes Gefühl. Ich bin mir sicher, dass das auch heute noch Tausende schätzen. Das Ambiente ist prädestiniert dafür.

LAOLA1: Wie aktiv bist du selbst noch?

Hartmann: Ich laufe täglich. Der Unterschied ist, dass ich früher trainiert habe und jetzt gehe ich laufen. Heute ist es für mich die schönste Nebensache der Welt. Ich weiß, dass das für den Menschen einfach eine sehr gute Prophylaxe ist.

Hartmann mit seinem Rekord-Nachfolger Günther Weidlinger

LAOLA1: Und wie sieht’s mit Marathon aus?

Hartmann: Was soll ich mit 58 Jahren noch Marathonlaufen?!  Das muss nicht mehr sein. Im Grunde bin ich sehr dankbar, dass ich einen verletzungsfreien Körper habe und noch laufen kann. Was willst du mehr? Ich wüsste, dass ich es könnte, wenn ich trainieren würde. Aber es ist einfach für mich kein Reiz mehr da.

LAOLA1: Wann bist du das letzte Mal beim Vienna City Marathon gestartet?

Hartmann: Da war ich 51. Jetzt verfolge ich ihn selbstverständlich im Fernsehen. Es ist schön, wenn man sich das anschaut und denkt, dass man dort große Erfolge gefeiert hat. Ich freue mich auch, wenn so viele Menschen sich bewegen, weil Bewegung ein Stiefmütterchen-Dasein in unserer Gesellschaft führt, was nicht gut für unser aller Wohlbefinden ist.

LAOLA1: Inwiefern hat sich der Charakter des VCM über die letzten 30 Jahre verändert?

Hartmann: Er ist ein Großereignis der Stadt Wien geworden. Man sieht anhand der heutigen Teilnehmerzahl, dass das der richtige Weg war. In den 80er-Jahren waren es an die 8.000 bis 10.000, was auch schon beachtlich war und zeigt, dass der Laufsport in Wien schon immer einen großen Stellenwert hatte. Natürlich war es auch gut, dass ein Österreicher gewonnen hat. Das hat das Seinige dazu beigetragen, dass die Begeisterung gestiegen ist. Medial würde so etwas heute ganz anders vermarktet werden.

LAOLA1: Was soll das heißen: „kein guter Marathonläufer“?

Hartmann: Eigentlich war ich das nicht. Wenn man meine Marathon-Leistungen in Relation zu meiner 10.000-m-Bestzeit setzt, hätte ich eigentlich wesentlich schneller sein müssen. Doch das war nicht der Fall, weil ich eben kein sonderlich guter Marathonläufer war. Über die 10.000 war ich ein besserer Athlet. Dennoch bin ich danach als Marathonläufer abgestempelt worden. Ich habe den Marathon auch nie geliebt. Mir waren da immer zu viele unbekannte Faktoren. Ich wusste nicht, was auf mich zukommt.

LAOLA1: Du warst der bislang einzige Österreicher, der in Wien gewinnen konnte. Wann werden wir wieder einen heimischen Sieger erleben?

Hartmann: In absehbarer Zeit gibt es da niemanden, der das kann. Wenn ich aber die Lauf-Zeiten von damals und heute vergleiche, wäre ich mit meiner Zeit heute noch immer im Spitzenfeld.

LAOLA1: Aktuell scheint nichts die afrikanischen Laufgötter aufhalten zu können. Wie war das vor 30 Jahren?

Hartmann: International war der Wien-Marathon damals schon stark besetzt. Es sind auch schon einige Afrikaner mitgelaufen, die auch erfolgreich waren. Nur im Vergleich zu früher ist die Dichte heute um Vieles größer.

LAOLA1: Wie hast du es aufgenommen, als Günther Weidlinger deinen Rekord brach?

Hartmann: Für mich hat das überhaupt nichts Negatives bedeutet. Es war mir klar, dass da irgendwann jemand kommen würde. Ich habe immer gesagt, dass der Weidlinger das kann. Am selben Tag habe ich ihm noch gratuliert. Und wir müssen doch ehrlich sein: Der Günther ist einfach besser als ich es war. Es war abzusehen, dass er irgendwann schneller läuft als ich, weil ich auch einfach kein guter Marathonläufer war.

LAOLA1: Wo liegen die größten Unterschiede zwischen deinem Training damals und dem von Spitzen-Athleten heute?

Hartmann: Ich bin der Meinung, dass die Trainingslehre damals wie heute weitgehend bekannt war. Die hat sich nicht mehr groß verändert. Ich glaube, dass es heute halt viele Menschen gibt – bei uns leider weniger – die sehr, sehr hart trainieren. Sie trainieren also nicht anders als wir früher, sondern nur härter.

LAOLA1: Apropos Rad der Zeit: Die Schuhhersteller überbieten sich Jahr für Jahr mit neuen Superlativen. Dein Eindruck?

Hartmann: Im Grunde geht es da nur um Verkaufsargumente. Ich habe dazumal Rennschuhe gehabt und heute haben sie auch welche. Ich könnte den schnellsten Rennschuh haben, ich könnte trotzdem nicht mehr schnell laufen (lacht). Das muss man ganz realistisch sehen. Ich bekomme immer wieder von Nike eine Ausrüstung. Da sind immer tolle Schuhe dabei. Aber ich sage stets: Am meisten unterscheiden sich die Schuhe in der Optik.

LAOLA1: Was wünschst du dir für den Vienna City Marathon am Sonntag?

Hartmann: Im Grunde geht mein erster Wunsch, dass wir ein gutes Wetter haben, in Erfüllung. Dazu möchte ich, dass es eine erfolgreiche Veranstaltung, wie sie es in den letzten Jahren immer war, wird. Und dass irgendeiner der Österreicher gut und möglichst weit vorne mitläuft.

Das Interview führte Reinhold Pühringer