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"Wir brauchen uns nicht darauf rausreden"

"Ich habe nur 'wooh' gesagt."

Ramon Abdel Azim verstand die Welt nicht mehr. Das taten die meisten der 27.000 Zuschauer im Wiener Ernst-Happel-Stadion nicht. Es war eine gelbe Flagge mitten ins heimische Football-Herz.

Die Referees trafen beim Finale der Football-Europameisterschaft zwischen Österreich und Deutschland eine folgenschwere Entscheidung. Das „Finale daham“ wurde zum „Drama daham.“

In der zweiten Overtime des epischen Krimis (Hier zum Spielbericht) wurde beim Stand von 27:24 für Österreich und nach dem misslungenen dritten Versuch der Deutschen eine Strafe angezeigt.

„Ich verstehe es nicht“

Grund: Unsportsmanlike Conduct. Also Unsportliches Verhalten.

Keiner im Tollhaus Happel wusste zu diesem Zeitpunkt, warum Deutschland dadurch ein neues 1st Down zugesprochen bekam, letztlich durch einen Pass von Quarterback Marco Ehrenfried auf Niklas Römer 30:27 gewann und damit den EM-Titel erfolgreich verteidigte.

„Es ist um Celebrating gegangen. Wenn also nach einer guten Aktion übertrieben gefeiert wird und das den Gegner verhöhnt“, erklärte nach dem Spiel der österreichische Head Coach Jakob Dieplinger.

„Das hat man kurz zuvor beim Call (gegen Matthias Rebl) noch eher verstehen können, weil der Spieler das Incomplete-Zeichen gemacht hat, beim zweiten hat man am Video nichts gesehen.“

Gehört auch nicht. Und Azim hatte ja auch nur „wooh“ gesagt. „Dafür eine Strafe zu bekommen, das verstehe ich nicht“, so der Linebacker mit den langen schwarzen Haaren nach der Partie.

„Man muss die Größe haben“

Die größte Football-Kulisse, die sich jemals in Österreich versammelt hatte, war außer sich und natürlich hatte auch Team Austria dafür kein Verständnis. Aber in der schmerzlichsten Stunde, in der man so knapp am ersten EM-Gold der AFBÖ-Geschichte scheiterte, zeigte man wahre Größe.

„Es ist ein wenig kleinlich gepfiffen worden, das muss man akzeptieren“, meinte etwa Dieplinger.

„Der letzte Call ist für mich fragwürdig, ich weiß nicht, was er sich dabei gedacht hat, aber wir brauchen uns nicht darauf rausreden. Wir hätten den Sack schon früher zumachen können, waren in Führung. Kleinigkeiten haben dann das Spiel entschieden“, hielt Andreas Hofbauer fest.

„Auch wenn es sehr schwer fällt, sich über diese Regelauslegung nicht aufzuregen, man hatte genügend Chancen, es nicht so weit kommen zu lassen“, unterstrich Michael Eschlböck.

Der Verbands-Boss, der den zweiten Call als „lächerlich“ befand, sieht nun zwei Möglichkeiten: „Man kann daran arbeiten, dass die Auslegung mehr Sinn macht oder den Spielern mehr einbläuen, dass es nicht mehr passiert. In der Liga wird das nicht gegeben, international sind die Regeln da eben strenger.“

Zusatz: „Ich will mich auch nicht darauf rausreden."

„Der Stolz wird zurückkommen“

Dieplinger schlug in dieselbe Kerbe: „Wir hätten es schon früher entscheiden müssen. Wir sind schlecht gestartet, haben uns echt gut zurückgefightet und den Gegner voll unter Kontrolle gehabt. Da hätten wir davonziehen können, aber da haben uns ein paar Plays gefehlt und da ist es schon an uns gelegen. Man muss dann eben so gut sein, dass einem so etwas nicht den Sieg nehmen kann.“

Freilich sei es schade, dass es so enden musste, aber „man muss auch im Sport Fehlentscheidungen der Schiedsrichter akzeptieren“, betonte der erst 29-Jährige Coach, der „niedergeschlagen“ war.

„Es überwiegt jetzt erst einmal die Enttäuschung, weil wir so hart gearbeitet haben. Die Spieler hätten sich den EM-Titel verdient gehabt. Es sind alles Amateure, ich hätte es ihnen gegönnt.“

Hofbauer traf es einmal mehr auf den Punkt: „Es war eine Achterbahnfahrt der Gefühle, leider sind wir nun in der Talstation angekommen. Aber das wird schon wieder. Damit muss man umgehen.“

Dieplinger ergänzte: „Daran kann man auch wachsen. Und bald wird der Stolz zurückkommen.“

„Das Publikum war ein Wahnsinn“

Die österreichischen Fans, die für einen einzigartigen, ohrenbetäubenden Lärm sorgten, waren stolz auf ihr Team, das nach einem 0:14 beeindruckend zurückkam. „Die Mannschaft hat Charakter bewiesen, nur der letzte Punch hat uns dann eben gefehlt“, lobte Dieplinger seine Spieler.

„Wir haben Moral bewiesen, auch dank des Publikums, das uns unglaublich getrieben hat. Die Spieler haben sich nie aufgegeben“, sagte Eschlböck und bestätigte damit seine Spieler. Hofbauer: „Es war ein Wahnsinn, das Publikum hat einen Lärm gemacht, so wie man sich es wünscht.“

Auch der deutsche Matchwinner Römer („Es war ein hart erkämpfter Sieg“) streute Rosen: „So eine Kulisse hätten wir wahrscheinlich auch in Deutschland nicht hinbekommen.“

„Die Mannschaft hat fasziniert“

Österreich hätte sich den EM-Sieg wie die Deutschen verdient gehabt, es hatte nicht sollen sein.

Und das auf bittere Weise. „Das ist der Sport, der kann sehr schön sein, er kann aber auch sehr weh tun“, weiß Eschlböck, der 2010 mitansehen musste, wie Österreich – nach einer gerechtfertigten Strafe – in Frankfurt Deutschland 20:22 unterlag und das EM-Finale dadurch verpasste.

Dieses Mal verbesserte sich das AFBÖ-Team vom dritten auf den zweiten Rang. „Wir waren optimistisch, dass wir es auf Platz eins schaffen“, gab Dieplinger zu.

Bei der WM 2015 in Schweden könnte die Revanche gegen Deutschland glücken oder in vier Jahren bei der nächsten EM. Für beides ist man qualifiziert.

Bei der EM 2018 werden einige Protagonisten nicht mehr dabei sein.

Nichtsdestoweniger werden sich zumindest 27.000 Zuschauer an diesen Abend noch sehr lange zurückerinnern. Eschlböck weiß, was letztlich stehen bleibt.

„Es war ein Football-Fest, die Stimmung war gewaltig und die Mannschaft hat fasziniert.“

 

Bernhard Kastler