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Die breite Brust

Koller hat das Team auf ein nicht für möglich gehaltenes Level gehoben. Wenn er nach der EM geht, steht alles auf dem Spiel.

Das Nationalteam ist in Schweden angekommen und ist dort um den letzten Zähler zu holen, der für das Frankreich-Ticket noch notwendig ist. Punkt. Nicht als Außenseiter, der vielleicht, wenn alles passt, das Unentschieden schaffen kann. Das ist mittlerweile keine neue Erkenntnis mehr in dieser Qualifikation. Schon in Moskau war von Anfang an dieses Wissen um die eigene Stärke und das damit verbundene Selbstvertrauen da. Ohne Überheblichkeit oder Arroganz. Das Team weiß einfach was es kann und strahlt es aus. Es hat eine breite Brust.

Österreich ist in einer Situation, wie man sie früher nur von den Gegnern gekannt hat. Die Nationalmannschaft ist Tabellenführer und die anderen brauchen unbedingt Punkte, um die letzte Chance nicht zu verlieren sich noch direkt zu qualifizieren. Das A-Team wird so oder so diesen einen Punkt machen, den es noch braucht. Schweden muss mehr oder weniger gewinnen. Ein weiterer Faktor, der den Adler vorne am Trikot noch ein wenig weiter nach oben rücken lässt.

Diese breite Brust zeigt sich übrigens nicht nur sportlich sondern auch dadurch, dass es für dieses Team eine Selbstverständlichkeit ist, sich für das Recht auf ein würdiges Leben und Unterstützung für Flüchtlinge einzusetzen. Man sagt es laut und klar, durch den Kapitän bei der PK und den Stadionsprecher vor dem Match. Das flutscht, selbst in einem vollen Happel-Stadion, wo mit sehr großer Wahrscheinlichkeit einige sind, die zu Hause oder am Stammtisch diese Thematik ein wenig ablehnender betrachten. Die fügen sich aber in der Arena, weil sie merken: Widerspruch bei den Herren am Feld unerwünscht.

Das ist alles sehr schön und vor allem Balsam auf die Seele des jahrelang leidgeprüften ÖFB-Fans. Noch schöner wäre, wenn das alles langfristig so bliebe. Österreich spielt im Sommer 2016 bei der Europameisterschaft und wenn das Team dort keinen kompletten Bauchfleck hinlegt, wird es Angebote für Marcel Koller geben. Dass der Schweizer keinen unwesentlichen Anteil an der Entwicklung der Mannschaft – in ihrer Gesamtheit – hat, hat sich mittlerweile bis auf bei ein paar schrulligen Ex-Kickern gemeinhin herumgesprochen. Wenn ein Klub aus einer großen Liga ruft, wird Koller diesem folgen. Er ist zum Zeitpunkt des Turniers 55 und es ist für ihn noch Zeit, eine ordentliche in eine erfolgreiche Klubtrainer-Karriere weiterzuentwickeln.

Das hieße jedenfalls, der ÖFB müsste sich auf Trainersuche begeben. Und das wäre eine höchst gefährliche Angelegenheit. Setzen sich die Kräfte rund um den Präsidenten und Willi Ruttensteiner durch und es wird wieder einen Trainertypen à la Koller geben? Oder kommen die Bösewichte unter den Landesverbandspräsidenten wieder aus ihren Löchern hervor und fordern eine „österreichische“ Lösung? Wer oder was auch immer die sein sollte. Die Unterstützung von gewichtigen Teilen der Medienlandschaft und der ÖFB-Führungsriege wäre ihnen wahrscheinlich sicher. Weil auch wenn die Kronen Zeitung oder Österreich ob des Erfolges zwischenzeitlich Kreide gefressen haben, ein Hawara der gute Wuchteln schiebt, wäre ihnen in ihrem Alltag lieber. Das Wohl des Teams ist da zweitrangig.

Ein gewisser Herr Kirchler hat nun wissen lassen, Marcel Koller hätte nur die Früchte von Didi Constantinis Ära geerntet. Was davon zu halten ist, hat Kollege Altmann hier zusammengefasst. Um aber den Faden der Kulturlandschaftspflege aufzugreifen: Marcel Koller ist ein Gärtner, der von seinen Vorgängern und dem starren Verband verbrannte Erde wieder zum Blühen gebracht hat. Wenn er weiterzieht, wird sich zeigen wie nachhaltig der durch ihn verursachte Paradigmenwechsel war. Setzen sich die progressiven Kräfte im ÖFB nachhaltig durch, oder gibt es einen Rückfall in momentan vergessene, schauerliche Zeiten? Ein Match, das leider noch längst nicht entschieden ist.


 

Jürgen Pucher war Gründungsmitglied der Plattform „sturm12.at“ und hat dort über Jahre hinweg mit seiner Kolumne „12 Meter“ die Diskussionen rund um den Grazer Verein und den österreichischen Fußball extrem bereichert. Nun beschäftigt er sich als Betreiber der Podcast-Plattform "blackfm.at" mit den Geschehnissen bei den Schwarz-Weißen. Bei LAOLA1 wird er in regelmäßigen Abständen Gastkommentare zum Geschehen im heimischen Kick verfassen.