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Nach Polen-Aus - Heimvorteil: Fluch oder Segen?

Nach Polen-Aus - Heimvorteil: Fluch oder Segen?

Auf das Eindringen in diesen kleinen Kreis hätte Polen liebend gerne verzichtet.

Aber seit Samstagabend ist es traurige Realität: Als erst vierter EM-Gastgeber müssen die „Biało-Czerwoni“ (die Rot-Weißen) schon nach der Vorrunde die Segel streichen.

Das 0:1 gegen Tschechien beendete alle Viertelfinal-Träume des Veranstalters.

Verkrampft und gehemmt

Der Heimvorteil entwickelte sich eher zum Nachteil, die Truppe von Franciszek Smuda wirkte meist verkrampft und gehemmt.

„All die Fans und das ganze Land, inklusive der vor dem Fernseher, die hinter uns stehen, das ist ein Vorteil. Doch der Druck und die Erwartungen werden riesig sein, also müssen wir uns physisch und mental gut vorbereiten. Es könnte lähmen oder einen extra Schub geben“, wusste Kapitän Jakub Blaszczykowski schon vor dem Turnier.

Letztlich war die Erwartungshaltung für „Kuba“ und seine Teamkollegen lähmend. Polen zeigte nur teilweise, warum es für viele Experten ein Geheimfavorit war.

„Wir haben das Minimalziel nicht erreicht, das ist ein riesiges Desaster“, sagte Nationalheld Zbygniew Boniek.

So schlecht wie Österreich

Zusätzlich bitter für die Polen: Nach Österreich sind sie nun die einzigen Gastgeber, die ohne Sieg vorzeitig ausscheiden.

Dabei kann der Heimvorteil durchaus beflügeln, wie die Statistik zeigt: Denn bis zum Jahr 2000 haben es alle Veranstalter zumindest bis ins Halbfinale geschafft.

Belgien war die erste Nation, die in der Vorrunde ausschied. Drei Gastgeber durften am Ende sogar den EM-Titel bejubeln.

*Anmerkung: Seit 1984 wird der dritte Platz nicht mehr ausgespielt.

Gleiches Phänomen bei WM

Auch bei Weltmeisterschaften lässt sich das Phänomen des Heimvorteils beobachten.

Die Gastgeber beendeten das Turnier meist unter den Top vier, zogen also ebenfalls mindestens ins Semifinale ein.

Sechs Länder stemmten zudem den WM-Pokal.

Heimvorteil erwiesen

Gibt es also tatsächlich den berühmt-berüchtigten Heimvorteil?

Wissenschaftler und Statistiker haben sich in den vergangenen Jahrzehnten intensiv mit diesem Thema auseinander gesetzt und herausgefunden, dass es durchaus Vorteile für die Hausherren gibt.

Laut Evolutionspsychologe Nick Neave schütten die Spieler des Heimteams mehr Testosteron aus, was wiederum zu einem gesteigerten Revierverhalten und schnellerer Reaktionszeit führt.

„Testosteron ist bei Tieren mit Dominanz und mit Aggression verbunden. Wenn du zu Hause spielst, verteidigst du dein Territorium“, erklärt Neave.

Fans als zusätzliche Beeinflussung

Forscher der Universität Heidelberg und der Deutschen Sporthochschule Köln nennen zusätzlich den Zuschauerlärm als Vorteil.

Schiedsrichter würden sich demnach von der Geräuschkulisse beeinflussen lassen und mehr Fouls der Gast-Mannschaft ahnden sowie mehr Gelbe Karten geben.

„Am Ende werden sich alle mehr an das Negative erinnern“

Für Polen sind solche Untersuchungen und deren Ergebnisse sowohl nebensächlich als auch wertlos.

Sie konnten sich vom Heimvorteil nichts kaufen und müssen nun „ihre“ EM in der Zuschauer-Rolle verfolgen.

„Insgesamt gab es ein paar wundervolle Momente“, so Blaszczykowski, „aber am Ende werden sich alle mehr an das Negative erinnern.“

Kurt Vierthaler