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"Einen Heldenstatus werde ich nie erlangen!"

Bevor der Anpfiff zur neuen Bundesliga-Saison erfolgt, wirft LAOLA1 einen Blick auf die Arbeit der Schiedsrichter. Als drittes Team auf dem Platz ist es ihr Bestreben, das Spiel ruhig zu leiten, möglichst nicht aufzufallen und dem Rampenlicht zu entgehen.

Ihre Rolle ist undankbar, ihre Entscheidungen werden oft kritisiert, ihre Erfolge feiern sie im Stillen. „Es wird dir selten auf die Schulter geklopft, wenn eine Entscheidung richtig ist, denn dafür bist du ja da!“, bringt es FIFA-Schiedsrichter Harald Lechner auf den Punkt.

LAOLA1 sprach mit dem Wiener über technische Hilfsmittel, Fair Play, Kritik und die Beliebtheit der Schiedsrichter.

 

LAOLA1: Wieso wurden Sie Schiedsrichter?

Harald Lechner: Bei mir war es so, dass mein Vater Schiedsrichter war. Dadurch kam ich auf die Idee, auch einer zu werden. Ich habe dann mit 15 Jahren die Prüfung abgelegt.

LAOLA1: Wie wird man zum Schiedsrichter?

Lechner: Jedes Bundesland hat ein Schiedsrichter-Kollegium, das Kurse anbietet. Dort eignet man sich die Spielregeln an und wird danach auf Regel-Wissen und körperliche Fähigkeiten getestet. Wenn man diese Tests besteht, hat man die Grundausbildung absolviert. Danach ist man Nachwuchs-SR und kann sich dann über gute Beobachtungen durch die verschiedenen Klassen hocharbeiten.

LAOLA1: Was ist dafür notwendig?

Lechner: Die Beobachter, das sind ehemalige Schiedsrichter, achten auf deine Entscheidungen, aber auch auf die Pfeifensprache, die Bewegung, die Kommunikation mit den Spielern usw. Nach der Beobachtung bekommt man einen Bericht mit Note und am Jahresende gibt es dann ein Ranking. Die besten steigen auf, die schlechtesten ab.

LAOLA1: In den Bundesligen wird man in jedem Spiel beobachtet. Denkt man während des Spiels daran?

Lechner: Ich denke nicht mehr daran. Ich kenne das gar nicht mehr anders, als dass da jemand auf der Tribüne sitzt. Das habe ich international auch. Im Landesverband ist es sicher anders. Da wird man nur vier bis sechs Mal pro Saison beobachtet, damit geht man vielleicht etwas anders um. Weiter oben wird dir durch Videos auch jeder Fehler veranschaulicht.

LAOLA1: Sind die TV-Bilder eher Fluch oder Segen für einen Schiedsrichter?

Lechner: Es gibt sehr viele Entscheidungen, die die Öffentlichkeit nicht interessieren, aber für einen Schiedsrichter sind sie interessant. Bei Abseits-Entscheidungen gibt das Fernsehen dem Schiedsrichter-Team oft Recht. Daher glaube ich, dass das TV sehr wohl positiv für uns ist, da es oft die Richtigkeit einer Entscheidung wieder gibt.

LAOLA1: Das Fernsehen kann aber auch Fehlentscheidungen zeigen…

Lechner: Natürlich kann auch das passieren. Es kann mit TV-Bildern aber nicht zu unterschiedlichen Meinungen kommen wie im Amateur-Bereich, weil man nachher immer sagen kann: „Schau her, ich hatte Recht“, oder „Ok, tut mir leid, das war mein Fehler.“

Ein Schiedsrichter hat es nicht immer leicht

LAOLA1: Werden Sie in der Pause informiert, wenn Sie in der ersten Halbzeit einen groben Schnitzer hatten?

Lechner: Nein, ich informiere mich nicht. Man spricht mit seinem Team in der Kabine. Sicher kommen gelegentlich Spieler und sagen, dass eine Entscheidung falsch gewesen sei. Aber das muss man locker sehen und darf es nicht zu ernst nehmen. Ich stehe zu meinen Entscheidungen. Ein Schiedsrichter muss berechenbar sein. Auf „Aktion X“ muss immer „Aktion Y“ kommen. Egal zu welchem Zeitpunkt, egal gegen welchen Spieler, egal bei welcher Mannschaft und egal wie es steht.

LAOLA1: Dennoch gibt es häufig Diskussionen…

Lechner: Einen Beliebtheitspreis oder Heldenstatus werde ich als Schiedsrichter nie erlangen! Das ist aber auch nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist es, permanent Entscheidungen zu treffen, diese zu verkaufen und für die Spieler berechenbar zu sein. Ich pflege einen offenen Umgang mit den Spielern. Ich bin mit allen Spielern per „Du“, das ist kein Problem. Ich habe auch bei einer Fehlentscheidung kein Problem zu sagen „Es tut mir leid, ich hab es so gesehen!“

LAOLA1: Was ist Ihre persönliche Motivation, Schiedsrichter zu sein?

Lechner: Ich bin seit 1998 Schiedsrichter. Die positiven Ereignisse überwiegen klar. Man lernt neue Leute kennen, man lernt ein Spiel und ein Team zu führen. Und was auch im Berufsleben sehr hilfreich ist: Man lernt, sich selbst zu verkaufen. Du hast ständig den Druck, deine Entscheidungen zu verkaufen. Du darfst dich auch von 20.000 Leuten im Stadion nicht beeinflussen lassen. Das alles ist sehr interessant und außerdem ist es sehr reizvoll, ein Spiel zu leiten. Ich sehe den Schiedsrichter als Sportler unter Sportlern. Man legt bei einem Bundesliga-Spiel 12 bis 14 Kilometer zurück. Wenn ein Stürmer den Ball verliert, bleibt er meistens stehen, der Schiedsrichter muss aber weiterlaufen. Man muss sich also auch körperlich fit halten.

LAOLA1: Wie verkauft man eine richtige Entscheidung, die die Spieler aufgrund von Regelunkenntnis anders sehen?

Lechner: Der große Vorteil in Österreich ist, dass hier mehr oder weniger alle Deutsch sprechen. Das ist international natürlich nicht so. Wenn du in Ländern bist, wo auch Englisch nicht sehr verbreitet ist, musst du ausschließlich mit der Pfeifensprache und Körpersprache kommunizieren. Hier kannst du aber mit der Sprache auch erklären. Es gab einmal einen Fall, wo ein Spieler nach einer Entscheidung von mir einen Mitspieler gefragt hat und danach zu mir kam und sagte: „Schiri, das habe ich gar nicht gewusst!“

Lechner: "Ich bin mit jedem Spieler per "Du", das ist kein Problem!"

LAOLA1: Darf so etwas einem Profi passieren?

Lechner: Es kann schon vorkommen, dass Spieler – und teilweise auch Schiedsrichter -  die Regeln nicht beherrschen. Man kann aber auch nicht Schach oder Poker spielen, ohne die Regeln zu können. Im Fußball ist es leider oft so, dass viele einfach spielen, ohne sich mit den Regeln auseinander zu setzen. Daher kommt es auch oft zu unterschiedlichen Meinungen am Feld und auf der Tribüne. Im Fußball gibt es auch das Problem, dass viele Graubereiche bestehen. Nicht jeder Körperkontakt ist ein Foul. Im Tennis ist der Ball entweder draußen oder drinnen. Das ist klar definiert. Außerdem ist Tennis ein Spiel, das oft unterbrochen wird. Fußball ist ein dynamisches Spiel mit vielen Graubereichen. Da muss man dem Schiedsrichter auch seinen Spielraum lassen.

LAOLA1: Sind die österreichischen Bundesliga-Spieler regelkundig?

Lechner: Ich hatte bisher keine großen Probleme mit Unkenntnis der Regeln. Das Problem ist die unterschiedliche Auffassung. Jeder Spieler weiß, was ein Foul ist. Es wird aber oft sehr unterschiedlich wahrgenommen. Dem Schiedsrichter muss immer klar sein, dass ein Spieler alles machen wird, um einen Vorteil für sich selbst herauszuholen. Ich erwarte kein „Fair Play“, weil ich weiß, dass jeder Spieler alles macht, um zu gewinnen. Es geht immerhin um Siege und Geld. Probleme entstehen nicht durch mangelnde Regelkenntnis, sondern durch unterschiedliche Auffassung einer Situation.

LAOLA1: Wie schwer fällt es, eine Entscheidung zu verkaufen, bei der man nicht sicher ist?

Lechner: Man lernt mit der Zeit, sich selbst und seine Entscheidungen zu verkaufen. Die meiste Zeit am Spielfeld habe ich 50:50-Situationen. Gebe ich das Foul, oder nicht? Gebe ich den Strafstoß, oder nicht? In der Sekunde in der du entscheidest, hast du eine Meinung. Du bist dir vielleicht nicht ganz sicher, aber du hast die Situation auf eine Art wahrgenommen und legst dich dadurch automatisch auf eine Entscheidung fest.

LAOLA1: Wie geht man mit Fehlentscheidungen und Kritik um?

Lechner: Es gibt bei jedem Spiel Verbesserungspotenzial, aber die Niederlage einer Mannschaft auf den Schiedsrichter zu schieben, ist zu einfach. Wenn ein Arjen Robben einen Elfer verschießt, ist er trotzdem ein guter Spieler, auch wenn er diesen einen Elfmeter nicht getroffen hat. Wenn ein Schiedsrichter einen Strafstoß nicht gibt, bedeutet das für mich nicht, dass er ein schlechter Schiri ist, sondern dass er einen anderen Blickwinkel hatte und seine Wahrnehmung daher anders ist. Man lernt, mit Fehlern umzugehen. Im Bundesliga-Bereich werden die Fehler von Schiedsrichtern und Spielern auch viel intensiver aufgezeigt. Bis zu Regionalliga siehst du deine Fehler nicht so sehr.

LAOLA1: Warum spricht man bei Spielern immer von einem „schlechten Tag“ wenn es einmal nicht läuft, bei einem Schiedsrichter aber immer von einem „schlechten Schiedsrichter“?

Lechner: Wie gesagt, du wirst als Schiedsrichter nie einen Heldenstatus haben und auch nie einen Beliebtheitspreis gewinnen. Es wird dir auch selten auf die Schulter geklopft, wenn eine Entscheidung richtig ist, denn dafür bist du ja da. Wenn ein Schiedsrichter eine korrekte und gute Leistung zeigt, wird das nicht großartig thematisiert. Er wird hauptsächlich dann herangezogen, wenn er falsch entschieden hat. Einem Stürmer, der daneben schießt, verzeiht man leichter. Er hat einen Heldenstatus, ist beliebt, hat Fans und vielleicht schon einiges für den Verein geleistet. Außerdem weiß jeder, der selbst einmal gespielt hat, dass man leicht daneben schießt. Kaum jemand der einen Schiri kritisiert, hat selbst einmal gepfiffen. Daher wissen die Leute nicht, was es bedeutet, unterschiedliche Auffassungen zu haben.

LAOLA1: Ist ein Spiel in der Bundesliga für Sie schwieriger zu leiten als ein Spiel im unteren Amateur-Bereich?

Lechner: Ich bin die Bundesliga gewohnt. Das Tempo und die Spielzüge sind vorhersehbar. In der Bundesliga weiß ich, wenn ein Spieler zur Flanke ansetzt, wo der Ball ungefähr hin gehen wird. Ich muss ja das Spiel antizipieren können und daher wissen, was als nächstes passiert. Ich studiere viele Spiele. Wenn eine Mannschaft einen Freistoß hat, weiß ich ungefähr, welcher Spieler schießen wird. Ich kann mir daher auch denken, ob es eine Flanke, ein Torschuss oder ein kurz abgespielter Freistoß wird. Somit kann ich eine Situation manchmal voraussehen und meine Fehlerquote minimieren. Daher ist es oft einfacher, in der Bundesliga zu pfeifen, als weiter unten.

LAOLA1: Sie sehen sich also vor den Spielen Videos an?

Lechner: Genau. Ich nehme alle Spiele auf, schaue sie mir auch an, bereite mich speziell auf die Teams vor. Ich weiß, wer gesperrt ist, wie die letzten Ergebnisse waren und beschäftige mich intensiv mit den Spielertypen. Wenn ich dann vor dem Spiel die Startaufstellung sehe, mache ich mir die finalen Gedanken dazu. Es ist für mich zum Beispiel ein Unterschied, ob vorne ein großer, stämmiger Stürmer spielt, oder einer, der in den Raum hineinläuft. Somit entstehen auch für mich unterschiedliche Gefahrenpotenziale. Auch wenn ich international unterwegs bin, versuche ich über verschiedene Quellen, Informationen über die Spieler zu sammeln.

LAOLA1: Wie stehen Sie zu technischen Hilfsmitteln?

Trainer sind oft unglücklich mit dem Referee

Lechner: Absolut positiv! Alles was mir meine Arbeit erleichtert, begrüße ich. Ich bin auch für das Torrichter-System, da es mir meine Arbeit erleichtert. Ich bin zu 100% für jedes technische Hilfsmittel, das mir die Arbeit erleichtert und somit zu mehr korrekten Entscheidungen führt.

LAOLA1: Wie groß sind Österreichs Chancen, bald wieder einen großen internationalen Schiedsrichter zu haben?

Lechner: Ich glaube schon, dass es möglich ist. Es braucht einfach viel Glück. Bei der EURO hat man gesehen, dass es teilweise vorkommt, dass ein Schiri in einem Spiel zwei Strafraumsituationen hat und beide falsch beurteilt. Ein anderer bekommt eine bessere Beurteilung, weil er ein viel einfacheres Spiel hatte und gar nicht viel falsch machen konnte. Wenn ich viele strittige Situationen in einem Spiel habe und bei paar falsch sind, habe ich halt Pech. Wenn ich ein Spiel habe in dem ich nichts verbocken kann, habe ich Glück gehabt. Man muss das Glück auch erzwingen. Man muss zur richtigen Zeit, am richtigen Ort das richtige Spiel haben. Nicht jeder Schiedsrichter kann bei einer EURO oder einer WM pfeifen. Es ist auch schön, in der Bundesliga zu pfeifen.


Das Gespräch führte Rainer Liebich