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These: Österreich muss nicht bis zum Ende zittern

Wird vor allem David Madlener zum Erfolgsfaktor? Führt der Titel nur über Kanada? Wie sieht es mit einer Heim-WM aus? LAOLA1 ordnet ein:

These: Österreich muss nicht bis zum Ende zittern Foto: © GEPA

In unserem neuen Format "Ansichtssache" versuchen wir, Meinungen, Stimmungen, Überreaktionen oder sonstige Ansichten jeglicher Art in eine These zu packen und zu analysieren.

Das kann mal provokant sein, mal eine oft gehörte Meinung. Mal sehr strittig, mal weniger. Mal eine Prognose, mal eine simple Einordnung.

Dieses Mal steht die Eishockey-Weltmeisterschaft 2024 im Fokus. Braucht Österreich im Kampf gegen den Abstieg im letzten Spiel keinen Sieg mehr? Wäre alles andere als ein kanadischer Titel eine Überraschung? Warum vor einer Heim-WM noch das Nationalstadion für den ÖFB steht, wird ebenfalls diskutiert.

Unsere Redaktions-Kollegen waren aufgerufen, vier Ansagen zu liefern, die in weiterer Folge von LAOLA1-Experte Bernd Freimüller und LAOLA1-Redakteur Maximilian Girschele eingeordnet wurden.

1.) Zeit für den nächsten Schritt: Im Kampf gegen den Abstieg wird es diesmal keinen Sieg im letzten Spiel mehr brauchen.

Bernd Freimüller:

Vor zwei Jahren in Tampere: Ein OT-Sieg gegen Tschechien, jeweils ein Punkt gegen die USA und Lettland – trotzdem musste wieder ein Entscheidungsspiel her und das verkam gegen Großbritannien zu einer Zitterpartie vom Feinsten.

In anderen Worten: Selbst eine ausgezeichnete WM erspart dir kein Abstiegsfinale, außer du machst Drei-Punkter und die womöglich gegen Nicht-Playoff-Teams. Also Dänemark, Norwegen (beide heuer in unserer Gruppe) Frankreich, Lettland, Kasachstan – und das ist etwas, was dem ÖEHV-Team schon seit Jahren nicht gelingt. Drei Punkte in solchen Spielen sind eigentlich vier (bei Punktegleichheit entscheidet das direkte Duell) – schon ein mächtiges Brett, das noch dazu den jeweiligen Gegner in den Abstiegsstrudel zieht. Overtime-Punkte sind schön und gut, aber absetzen kann man sich damit nur schwer.

Dänemark (11.) und Norwegen (12.) stehen seit Jahren in der Weltrangliste vor Österreich (16.) und das beweist sich auch bei jeder WM. Vielleicht gelingt ja diesmal wenigstens ein Sieg, aber mich würde es nicht wundern, wenn es am 21. Mai zu einem High-Noon-Duell gegen Großbritannien kommt – und das vielleicht dazu passend zur Tageszeit mit einem Shootout.  

Maximilian Girschele:

Im letzten Spiel nicht mehr gegen den Abstieg zu spielen, würde bedeuten: Österreich sammelt gegen Dänemark und Norwegen sechs Punkte und nimmt, um auf Nummer sicher zu gehen, gegen eine größere Nation zumindest noch einen Zähler mit. Das wäre erfreulich, klingt aber nicht gerade realistisch.

Wie es unser Experte schon treffend formulierte: Selbst bei einer WM wie jener 2022 ist das ÖEHV-Team nicht davor gefeit, letzten Endes beinahe abzusteigen. Ich erinnere an dieser Stelle auch gerne nochmal an die letzte Endrunde in Prag 2015. Die Schweiz und Deutschland wurden jeweils im Penaltyschießen bezwungen, die wahren Schlüsselspiele gegen Frankreich und Lettland gingen jedoch verloren. Die Folge: Österreich musste auf der Couch mitansehen, wie beide Teams am letzten Spieltag im direkten Aufeinandertreffen genau das Ergebnis erzielten, welches beide erstklassig hielt.

Irgendwo ist es auch nett, das Schicksal am letzten Spieltag theoretisch noch in der eigenen Hand zu haben, wenngleich dies in den letzten zwei Jahren eher wie ein Hemmschuh wirkte und der Klassenerhalt in beiden Fällen mit mehr Glück als Verstand geschafft wurde.

Sollte es 2024 wieder so weit kommen, wovon ich ehrlicherweise ausgehe, hoffe ich doch, dass die gesammelten Erfahrungen entsprechend genützt und nicht zur mentalen Blockade werden. Dann gehört Österreich in zwei Wochen offiziell dem Triple-A-Klub an.

2.) Von wegen Torhüter-Problem: Vor allem David Madlener wird ein wichtiger Erfolgsfaktor sein.

Maximilian Girschele:

Da ist jemandem wohl sein starkes Spiel bei der letztjährigen Endrunde gegen Finnland im Gedächtnis geblieben.

Seitdem ging es für den 32-Jährigen jedenfalls bergauf, innerhalb eines Jahres avancierte er vom dritten Goalie zum Starter. Eine Situation, die völlig neu für Madlener ist. Deshalb muss ihm nicht noch mehr Druck auferlegt werden.

Der Vorarlberger KANN vielleicht ein wichtiger Erfolgsfaktor sein. Doch wann ist er ein solcher? Muss er dafür etwa reihenweise Spiele stehlen? Oder reicht es, wenn er sich keine vermeidbaren Fehler erlaubt?

Die Last soll und wird nicht nur auf seinen Schultern liegen, David Kickert muss eine ebenso wichtige Rolle einnehmen. Wer sich von den Beiden im Turnierverlauf besser präsentiert, wird in einem möglichen Entscheidungsspiel gegen Großbritannien den Vortritt erhalten.

Ob dann einer der beiden ein Erfolgsfaktor war, werden wir am 21. Mai sehen. Bis dahin sollte jedoch gerade in dieser Thematik der Puck flach gehalten werden. Dann pariert es sich auch leichter.

Bernd Freimüller:

David Madlener ist das österreichische Eishockey-Einhorn – nicht nur unter den Goalies, sondern unter allen Spielern. Wo jetzige Teamspieler schon in den Nachwuchsnationalteams gesetzt waren, spielte (oder vielmehr: saß) der heute 32-Jährige in völliger Obskurität in der Zweit-  oder Drittklassigkeit in Feldkirch.

Dornbirn gab ihm dann eine Chance als Backup, danach ging es schnell: Nationalteam nach einem Jahr, nach drei Jahren beim KAC mit zwei Meistertiteln.

Der Vorarlberger kann jetzt schon stolz darauf sein, was er aus seiner Karriere herausgeholt hat: Vom besseren Hobby-Spieler zur jetzigen Nummer 1 im Nationalteam. Andrerseits – und das ist nicht seine Schuld – weist das auch darauf hin, wie limitiert der österreichische Goalie-Markt ist. Auch Madlener war in den meisten Saisonen der Backup in seinen Klubs, die 38 Spiele von heuer für die Pioneers ist der Bestwert in seiner Karriere.

Zum Erfolgsfaktor bei der WM würde er, wenn er Spiele wie gegen Dänemark oder Norwegen stehlen würde oder wenigstens ohne weiche Gegentore vom Eis ginge. Seine Beinarbeit und Recovery ist heuer etwas besser geworden, hinkt aber immer noch internationalen Maßstäben nach. Ich hoffe für ihn (oder David Kickert, wir sind nicht wählerisch), dass sie bei der WM stabil agieren, glaube es aber erst, wenn ich es sehe.


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3.) Angeführt von Connor Bedard wäre alles andere als eine kanadische Titelverteidigung eine riesige Überraschung.

Maximilian Girschele:

Dann schenken wir ihnen doch gleich den WM-Titel und ersparen uns die Reise nach Tschechien, oder?

Das war natürlich nicht ernst gemeint. Simpel gesagt: Nein, es wäre keine riesige Überraschung. Warum denn auch?

Die Cracks der anderen 15 Nationen verdienen ihre teils Millionen US-Dollar schließlich nicht, indem sie in der Nase bohren. Besonders Schweden und die USA warten heuer mit Starpower aus der NHL auf.

Dahinter positionieren sich die stets starken Finnen, auch Vize-Weltmeister Deutschland, die Schweiz, die Slowakei und Gastgeber Tschechien sollten nicht unterschätzt werden. Und vielleicht schafft es ein Außenseiter wie Lettland 2023 wieder bis in die entscheidende Turnierphase.

Überdies kann Bedard Kanada anders als auf U18- oder U20-Ebene bestimmt nicht im Alleingang zum WM-Titel tragen - falls doch, überlege ich mir etwas als "Strafe". Für das eine oder andere Highlight-Reel wird das Supertalent aber sorgen. Ich freue mich bereits auf ein paar Gustostückerl in Prag.

Auf einen Weltmeister-Tipp will ich mich indes nicht festlegen. Ich bin erst kürzlich mit einer Prognose gescheitert, diese Schmach erspare ich mir diesmal.

Bernd Freimüller:

Die Bilanz von Kanada bei den letzten acht Turnieren: Viermal Gold, dreimal Silber, einmal Bronze. Da braucht es keinerlei Expertise, um die Ahornblätter wieder zu den engsten Turnierfavoriten zu zählen.

Das Talentereservoir ist halt fast unendlich – ganz egal wer fehlt, statt Crosby gibt man es halt eine Nummer kleiner oder hat den nächsten Superstar (Connor Bedard) parat. Dazu im Gegensatz zu früher mobile Defender, einzig die Torhüterposition ist ab und zu ein kleines Handicap.

Was zum großen Angebot nach dazukommt: Die meisten Cracks kennen das internationale Eishockey vom Hlinka-Gretzky-Cup oder den U18- und U20-WMs. Die Zeiten, wo die Kanadier nach durchzechten Nächten aufs Eis gestiegen sind und verwundert waren, dass ihr Knüppel-Eishockey in Strafen endete, sind längst Geschichten aus dem letzten Jahrhundert.

Vor der WM noch Personalrochaden, dann einspielen und vielleicht ein kleiner Umfaller in der Vorrunde, der aber keine Konsequenzen hat, außer dass die Sinne nochmals geschärft werden. Danach vollste Konzentration in den Playoffs – der Weg zum Titel führt wieder über Kanada, egal wer noch zum Team stößt.


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4.) Wieder eine Heim-WM? Zuvor steht noch das neue Nationalstadion des ÖFB.

Bernd Freimüller:

Die Stadt Wien und Bürgermeister Michael Ludwig sind sehr gut im Ankündigen: So sollte heuer nach ihren Plänen die Mehrzweck-Arena in St. Marx bereits ihre Türen öffnen, was eine nahe WM-Bewerbung zumindest theoretisch ermöglicht hätte. Die Realität: Nach Auseinandersetzungen bezüglich der Ausschreibung ist für St. Marx noch nicht einmal ein Bauherr in Sicht, vom Baubeginn gar nicht zu reden.

Schade darum, denn in den Jahren, seit das Stadthallen-Eis dahinfloss, hat sich die WM-Szene deutlich gewandelt. Bewerbungen zweier Länder kamen seitdem in Mode und da wäre Wien mit St. Marx ein Super-Standort: Eine Gruppe hier, die andere in Bratislava oder Budapest.

Aber alles nur Zukunftsmusik, bis die Halle einmal steht, eine WM-Bewerbung oder gar -Ausrichtung erfolgt, sind Leute wie ÖEHV-Präsident Klaus Hartmann, Sportdirektor Roger Bader oder meine Wenigkeit schon längst in Pension, wenn nicht in häuslicher Pflege. Wie sich das mit einem neuen Nationalstadion vergleicht? Wie ein Schneckenrennen bei angeborener Invalidität beider Teilnehmer...

Maximilian Girschele:

Muss ich dazu eigentlich noch etwas sagen?

Ich kenne das Stadthallen-Debakel von 2005 ehrlich gesagt nur aus Erzählungen - immerhin war ich damals gerade mal sechs Jahre alt. Mir stellt sich ja die Frage: Wo sollte eine Heim-WM, wohlgemerkt auf A-Niveau, überhaupt stattfinden?

Also in Wien bestimmt nicht, in Kagran ist man schon froh, wenn die mobile Kühlanlage noch ein Jahr durchhält, ohne (weitere) Probleme zu bereiten. Damit fällt gleichzeitig der größte Standort weg, die Hallen in Klagenfurt oder Linz sind schlichtweg zu klein, um eine A-WM veranstalten zu können - auch als zweiter Austragungsort.

Man muss sich ja nur anschauen, wo die kommenden Endrunden stattfinden werden: 2025 in Stockholm (Kapazität: 13.850 Zuschauer) und Herning (12.000), 2026 in Zürich (12.000) und Fribourg (8.934) sowie 2027 in Düsseldorf (14.282) und München (13.600). Alles moderne Arenen, an deren Standard unsere Hallen um Längen nicht rankommen.

ÖEHV-Geschäftsführer Bernhard Friedrich hielt im November 2022 treffend fest: "Für eine A-WM braucht man eine große Halle. In Österreich gibt es momentan keine einzige, die IIHF-Standards entspricht. Da sehe ich noch kein Licht am Ende des Tunnels."

Wir auch nicht...


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