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Die Titel der Kunden als Trostpreis

Jake Dennis sicherte sich 2023 seinen ersten Formel-E-Titel. Die "Werksteams" schauen durch die Finger.

Die Titel der Kunden als Trostpreis Foto: © getty

Saison neun der FIA Formel-E-WM ging in London turbulent (fast wie gewohnt) zu Ende. Als es im vorletzten Saisonlauf trocken blieb, gab es das erwartete Chaos auf der einzigen Indoor-Outdoor-Strecke der Serie durch und um das Londoner ExCel.

Als Sonntag der Regen kam, blieb Rennleiter Scott Elkins nichts übrig als nach wenigen Runden hinter Safety Car zu warten – um mit eineinhalb Stunden Verspätung dennoch das Finalrennen freizugeben.

Das erste Jahr mit der deutlich stärkeren und schnelleren dritten Autogeneration brachte bei Fahrern und bei Teams Titel für "Kunden" und gemischte Gefühle der "Werksteams". So dominierten Porsche und Jaguar lang das Geschehen, mussten am Ende aber unisono festhalten, dass die neuen Weltmeister zwar dank ihrem Antriebsstrang erfolgreich waren, aber eben nicht aus dem eigenen Team kamen.

"Solang der Champion einen Porsche fährt, kann es mir egal sein, wer", wurde Porsches FE-Leiter Florian Modlinger vor der Saison zitiert. Nun ja, seine Bemerkung in London, "ein Porsche-Fahrer wurde Weltmeister", klang doch ein wenig bittersüß. Vor allem, weil Pascal Wehrlein nach den ersten Rennen klar auf Titelkurs fuhr – aber im Finish entgleiste.

Dennis: Erster britischer Elektrochampion

Jake Dennis verdankt den ersten Formel-E-Titel eines Briten der Konstanz des Andretti-Teams, das in Berlin 2022 den Wechsel zum Porsche-Antrieb bekanntgegeben hatte.

Und damit gut fuhr: Trotz der enttäuschenden Saison von André Lotterer (WM-18.), der wie Landsmann René Rast (13. mit McLaren) die Formel E wieder in Richtung WEC verlassen wird, schaffte Andretti noch vor Porsche Platz drei unter den Mannschaften.

Das war vor allem der Konstanz des 28-jährigen Dennis, der auch für Red Bull im F1-Simulator sitzt, geschuldet, der zwei Siege und elf Podestplätze holte. Porsche hatte zwar mit Pascal Wehrlein und Antonio Felix da Costa zwei Siegfahrer, doch kostete eine misslungene zweite Saisonhälfte den großen Erfolg.

Und wenn man kein Glück hat, kommt Pech auch noch dazu, wie im vorletzten Rennen: Da erhielt der als Zweiter ins Ziel gekommene Portugiese drei (!) Strafminuten wegen Unterdrucks in einem Reifen.

Dabei hatte er sich nach einer der zahlreichen Kollisionen einen schleichenden Patschen eingefahren und dies beim vorübergehenden Abbruch auch einem FIA-Kommissär mitgeteilt, der ihm die Weiterfahrt gestattete. Ein Protest von Porsche wird kommen. Womit sich der Punktestand noch ändern könnte, nicht aber die Weltmeister.

Der zeitweilige WM-Leader Wehrlein (drei Saisonsiege) musste zugeben: "Wir hatten in dieser Saison viele starke Rennen und haben beide Meisterschaften lang angeführt. In den letzten Rennen haben wir es dann aber nicht geschafft, so gute Ergebnisse wie am Anfang der Saison einzufahren und haben dadurch viele Punkte verloren. Das ist natürlich enttäuschend. Trotzdem sind wir insgesamt deutlich stärker geworden im Vergleich zu den letzten Jahren."

Jaguar und Evans top, aber nur auf Ehrenplätzen

Wie Porsche hatte auch Jaguar das Nachsehen. Die Briten stellten wohl mit Mitch Evans den stärksten Fahrer des Feldes, der vier Siege holte (wie ein Jahr zuvor 25 Prozent Siegquote), aber durch Teamfehler (auch von Kollegen Sam Bird) zu viele Punkte liegen ließ.

Mit dem effizienten Jaguar-Antrieb hatte Envision die richtige Wahl vor dieser Saison getroffen und sich durch eine Topleistung von Nick Cassidy in der zweiten Saisonhälfte samt Sieg im Finale den Team-Titel geholt, zwölf Punkte vor dem Werksteam.

Dabei hatte Teamkollege Sébastien Buemi noch im vorletzten Lauf Cassidys theoretische Titelhoffnung durch eine Berührung mit dem Neuseeländer verhindert, der darauf ausschied. Nota bene: Cassidy und Buemi sind außerdem als Red-Bull-unterstützte Piloten nochmals Teamkollegen – bzw. waren es.

So machte Jaguar-Teamchef James Barclay, der unmittelbar nach Rennschluss seinem Envision-Kollegen Sylvain Filippi gratulierte, gute Miene zu zwei knapp verlorenen WM-Titeln: "Dass die WM im Zweikampf mit unserem Kunden entschieden wurde, ist ein Zeugnis für die Leistungsfähigkeit des Jaguar I-Type 6-Antriebs. Wir können stolz sein auf das, was wir als Hersteller und Mannschaft erreichten."

Cassidy mit Evans, wo fahren Günther und de Vries?

Kurios ist, dass der neue WM-Zweite Cassidy zum WM-Dritten Evans zu Jaguar wechseln wird, das quasi Neuseelands Nationalmannschaft wird. Veränderungen wird es auch bei Abt-Cupra geben, wo Lucas di Grassi nach einer enttäuschenden Saison bei Mahindra als neuer Partner des zuletzt starken Nico Müller zurückkommen werde, wie die Gerüchte im ExCel wussten.

Dafür wird Robin Frijns wohl zu Envision zurückkehren. Und mit dem bei AlphaTauri ausgebooteten Ex-Weltmeister Nyck de Vries steht ein alter Bekannter wieder vor der Tür, der in London umtriebig war. Schließlich gibt es u. a. bei McLaren (dem Nachfolger seines Ex-Teams Mercedes), Nissan (Nato muss gehen), vielleicht bei Maserati und bei Andretti Vakanzen.

Das aus Venturi zu Maserati gewordene monegassische Team, 2022 Vizeweltmeister, steckt bei den Fahrern offenbar in der Klemme. Denn Edo Mortara blickt zwar auf eine Saison mit Pleiten, Pech und Pannen zurück, hat aber einen Vertrag bis 2024.

Teamkollege Max Günther rettete für Maserati mit einem Sieg in Jakarta und vier Podestplätzen die Saison und wurde WM-Siebenter, doch er hat (noch) keinen Vertrag für 2024. "Ich bin zuversichtlich, dass es schon bald Neuigkeiten geben wird", sagte der Deutsch-Österreicher in London zu LAOLA1 – mit einem zufriedenen Lächeln. Keine Veränderungen wird es wohl bei DS Penske (Vergne/Vandoorne) und Nio (Ticktum/Sette Camara) geben.

Neuer CEO kommt bisher gut an

Als positiv für die Zukunft wurde schließlich von vielen Insidern der Wechsel in der Formel-E-Geschäftsführung eingeschätzt. James Dodds löste den von manchen als "über den Dingen schwebend" gesehenen Jamie Reigle ab und bekam Vorschusslorbeeren, die Formel E weiterentwickeln zu können.

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