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Schlierenzauer: "Ständige Bewertung nervt"

Gregor Schlierenzauer spricht bei LAOLA1 über Fehler und seine Achillesferse:

Schlierenzauer:

Gregor Schlierenzauer hat so gut wie alles in seiner Karriere erreicht.

Mit 53 Weltcupsiegen ist er Rekordhalter, WM- und Olympia-Gold (im Team) hat er ebenso errungen wie die große Kristallkugel des Gesamtweltcupsiegers.

Kein Wunder, dass die Ansprüche an den 25-Jährigen riesig sind. Von außen, aber auch von ihm selbst. In den letzten beiden Jahren lief es allerdings nicht so, wie der Tiroler sich das vorgestellt hatte.

Gerade der Winter 2014/15 mit "nur" einem Weltcupsieg sollte eine Ausnahme bleiben. Wie er das anstellen will, verrät er im großen LAOLA1-Interview.

Schlierenzauer spricht zudem über seine potenzielle Achillesferse und verrät, ob er Freunde im Team hat.

LAOLA1: Du hast zweimal in Klingenthal gewonnen, vor zwei Jahren mit deinem Verzicht für Aufsehen gesorgt. Welche Erinnerungen an die Vogtland Arena sind bei dir besonders intensiv?

Gregor Schlierenzauer: Bei Klingenthal denke ich an eine super Kulisse und ein tolles Publikum, an eine anspruchsvolle Anlage und natürlich an das turbulente Springen vor zwei Jahren, wo Anders Bardal und ich aufgrund der Witterung beschlossen haben, nicht zu springen. Die Gesundheit ist unser wichtigstes Gut, bei allem Ehrgeiz und Siegeswillen, das Risiko wäre sehr hoch gewesen und das war es uns einfach nicht wert.“

LAOLA1: Wie wichtig ist der erste Weltcupbewerb als Standortbestimmung für den weiteren Saisonverlauf?

Schlierenzauer: Ich würde sagen, dass man ihn nicht überbewerten darf, so richtig einschätzen wird man die Konkurrenz wohl erst nach vier, fünf Bewerben. Ich freue mich, dass es endlich wieder los geht, bin gespannt, wie es den anderen geht und lasse die Dinge auf mich zu kommen.

LAOLA1: Du hast nach der schwierigen letzten Saison deine Anfahrtsposition umgestellt. Wie kommst du mit der Änderung zurecht?

Schlierenzauer: Wir haben nach der vergangenen Saison in Ruhe analysiert, was nicht funktioniert hat. Dann haben wir versucht, Änderungen sowohl im technischen als auch im Materialbereich umzusetzen. Konkret geht es darum, dass der Schwerpunkt in der Hockeposition stimmt, damit ich die bestmögliche Kraftentwicklung am Schanzentisch habe und in weiterer Folge keine Geschwindigkeit über dem Vorbau verliere. Diese Dinge haben im letzten Jahr nicht ganz perfekt funktioniert, dort mussten wir den Hebel ansetzen.

LAOLA1: Du bist direkt nach Planica mit Sprüngen auf der 20-Meter-Schanze in die Vorbereitung gestartet. Mit welchem Zweck?

Schlierenzauer: Ich habe auf der 20-Meter-Schanze angefangen, um einfach die Grundtechnik wieder einzuschleifen und das Gefühl, das ich im Winter hatte, beiseite zu legen. Es war natürlich eine krasse Umstellung von der Skiflugschanze auf die 20er, aber es war sehr wertvoll. Wenn man etwa die Hocke umstellen möchte, geht das nicht von heute auf morgen, das muss man sich erarbeiten. Daher auch die Entscheidung.

LAOLA1: In welchen Bereichen hast du das Gefühl, dass du noch was rausholen kannst?

Schlierenzauer: Ich kann sicher in der Luft noch einiges rausholen, was die Skiführung betrifft. Die kann noch sauberer und besser werden. Die Balance und der Schwerpunkt in der Hocke müssen auch noch breiter werden, um die Kraft am Schanzentisch optimal umzusetzen. Das zu verbessern, gehört zu meinen Hauptaufgaben.

LAOLA1: Im Springer-Zirkus kristallisieren sich zwei Stile heraus: Jene, die nach dem Absprung die Ski überkreuzen und jene, die einen H-Stil springen. Du orientierst dich im Training eher an letzterem. Inwiefern ist das eine Umstellung?

Schlierenzauer: Beim Skispringen hängt alles zusammen, es fängt beim Anlauf an und setzt sich in der Luft fort. Wenn ich den Schanzentisch sauber und richtig treffe, kann ich in der Flugposition das umsetzen, was ich mir vorgenommen habe. Diese Vorgänge versuche ich zu automatisieren, damit ich im Winter nicht mehr daran denken muss. Das wäre das große Ziel, ist aber mit beinharter Arbeit verbunden. Die Vision ist, dass ich beim Absprung „frei“ bin, das heißt, dass der Ski optimal am Luftpolster liegt, ich Auftrieb habe und trotzdem keine Geschwindigkeit verliere. Das macht Skispringen so kompliziert und sensibel, dadurch ist aber auch erklärbar, warum es nicht immer für ganz oben reicht.

Ich würde nicht sagen, dass ich polarisiere. Ich bin von Grund auf ein sehr ehrlicher und geradliniger Mensch und sage immer meine Meinung.

Gregor Schlierenzauer

LAOLA1: Du strebst immer nach dem sogenannten perfekten Sprung. Wie oft hast du ihn schon erlebt?

Schlierenzauer: Ich war vier, fünf Mal sehr nahe dran. Ich glaube, dass es ein Optimum gibt, aber das ist bei jedem Springer individuell zu betrachten. Den perfekten Sprung muss man vor Augen und im Kopf haben, um permanent daran zu arbeiten.

LAOLA1: Du beschäftigst dich mit Audiovisueller Wahrnehmung. Welche Bedeutung haben solche alternativen Trainingsmethoden für dich?

Schlierenzauer: Bei der Audiovisuellen Wahrnehmungsförderung wird mit schallmodulierter Musik das Gehirn stimuliert und das vegetative Nervensystem ins Gleichgewicht gebracht. Für mich ist es ein Werkzeug, durch das ich gut entspannen kann. Bewusst zu regenerieren ist wichtig, besonders wenn man wie im Sommer intensiv arbeitet.

LAOLA1: Du bist eine sehr bekannte Persönlichkeit in Österreich. Ist es teilweise Fluch und Segen zugleich, so einen hohen Bekanntheitsgrad zu haben?

Schlierenzauer: Es ist natürlich schon sehr schön und ich habe mir das auch erarbeitet, die Unterstützung der Fans motiviert mich zusätzlich. Es muss aber Tage geben, an denen ich zum Beispiel ganz normal mit meiner Familie essen gehen kann. Das ist manchmal nicht so einfach. Ich mache gerne Fotos und gebe Autogramme, man muss aber wissen, wann genug ist. Man muss lernen, nein zu sagen, auch wenn man dann oft arrogant rüber kommt. Es ist einfach sehr viel los und man kann nicht immer jedem alles recht machen.

LAOLA1: Du bist ein Typ, der polarisiert. Bist du mit deinem Image in der Öffentlichkeit zufrieden oder würdest du dir wünschen, dass man dich einmal anders darstellt?

Schlierenzauer: Ich würde nicht sagen, dass ich polarisiere. Ich bin von Grund auf ein sehr ehrlicher und geradliniger Mensch und sage immer meine Meinung. Dass diese bei manchen Personen nicht immer positiv ankommt, ist klar, aber so bin ich nun mal, ich kann mich nicht verbiegen. Dass ich in der Öffentlichkeit stehe und mittlerweile jeder Furz kommentiert wird, ist nicht immer einfach. Man muss über gewisse Dinge drüberstehen. Das passt den Medien vielleicht nicht, aber es passt für mich und das ist, was schlussendlich im Leben zählt: Dass es für einen selbst passt.

LAOLA1: Skispringer sind prinzipiell Einzelsportler. Können in der Mannschaft dennoch wahre Freundschaften entstehen oder überwiegt am Ende doch die Rivalität?

Schlierenzauer: Ich denke schon, dass es wahre Freundschaft im Team gibt. Natürlich versucht auf der Schanze jeder, die beste Leistung abzurufen. Aber alles, was rund um den Wettkampf passiert, soll eine Gaudi sein. Wenn Freundschaft innerhalb des Teams herrscht, geht vieles einfacher.

LAOLA1: Hast du echte Freunde im Team?

Schlierenzauer: Ich würde sagen, die wahren Freunde haben mit dem Skispringen nichts zu tun, Gott sei Dank. Aber wir sind richtig gute Kollegen, eine junge, coole Truppe, in der jeder nach Erfolg strebt. Man hat es letztes Jahr bei der WM gesehen: Die Team-Silbermedaille war nicht zum Abholen und die Freude bei jedem einzelnen in der Mannschaft war groß. Ich freue mich schon auf die nächsten Jahre, weil wir gemeinsam viel erreichen können. 

LAOLA1: Jeder Mensch macht Fehler. Gibt es Dinge, die du in deiner Karriere gemacht und hinterher bereut hast?

Schlierenzauer: Es gibt ein Sprichwort, das heißt: Im Nachhinein ist man immer g‘scheiter. Das trifft auf jede Lebenslage zu. Für mich gibt es keine Bewertung, was gut oder schlecht war oder was ich hätte anders machen sollen. Dadurch lebt man in der Vergangenheit und nicht in der Gegenwart. Man sollte immer das tun, was für einen selbst das Beste ist und das habe ich auch immer getan.

LAOLA1: Hast du eine Achillesferse?

Schlierenzauer: Es gibt immer Bereiche, in denen man sich verbessern kann. Der Sport entwickelt sich schließlich laufend weiter. Egal, ob mental, bei Technik oder Material, im Umgang mit der Öffentlichkeit – man kann in allen Bereichen immer besser werden, das ist schlussendlich auch mein Job als Spitzensportler. Das bereitet mir viel Spaß und solange ich den nötigen Biss habe, werde ich dem Sport treu bleiben.

LAOLA1: Gibt es ein konkretes Datum, wie lange du springen willst?

Schlierenzauer: Ich kann kein Datum nennen. Im Spitzensport können Verletzungen schnell passieren und man muss die Karriere beenden. Als Sportler hat man eine Vision, wo es hingehen soll, aber das Wichtigste sind Teilziele. Man weiß eben nicht, was morgen, in drei Wochen oder nächstes Jahr passiert. Man kann nichts planen.

LAOLA1: Was ist deine Vision? Was sind deine Teilziele?

Schlierenzauer: Eine Vision ist die Heim-WM, das ist eine riesige Motivation.

Man darf nie vergessen, dass der Spitzensport an sich sehr schön ist, aber auch eine große Scheinwelt.

Gregor Schlierenzauer

LAOLA1: Steht die Heim-WM bei dir über Olympia?

Schlierenzauer: Vom Zeitpunkt her schon, aber ein Olympiasieg ist natürlich das, was mir noch fehlt. Olympia ist aber noch so weit weg und wenn wir jetzt darüber reden, sind wir nicht in der Gegenwart, sondern in der Zukunft. Bis dorthin kann noch sehr viel passieren.

LAOLA1: Und deine Teilziele?

Schlierenzauer: Ich will konstant mein Potenzial abrufen. Skispringen ist durch die Anzüge sensibler geworden, die Dichte ist höher. Man braucht sicher auch das nötige Glück, um ganz oben zu stehen. Aber wenn man konstant seine Leistungen abrufen kann, hat man eine gute Basis und ist über die Saison gut dabei.

LAOLA1: Welche Rekorde willst du noch brechen?

Schlierenzauer: Es ist kein Wunschkonzert. Es gibt natürlich welche, die sind aber nur in meinem Kopf gespeichert. Der Nykänen-Rekord war schon ein Meilenstein in der Skisprung-Geschichte und daher hat es mir natürlich extrem getaugt, dass ich ihn brechen konnte. Aber es geht immer weiter. Die 54 Siege von Hermann Maier sind zum Beispiel eine Herausforderung.

LAOLA1: Du bist trotz deines jungen Alters ein Routinier im Team. Gibt es so etwas wie Verschleißerscheinungen? Fällt das Training mittlerweile schwerer oder dauert die Regeneration länger?

Schlierenzauer: Nein, in dem Alter bin ich noch nicht, in dem es Verschleißerscheinungen gibt. (lacht) Aber es gibt Abläufe, die immer gleich sind, das ist manchmal monoton. Daher setze ich heuer auch neue Reize - mit einem Athletik-Trainer, der von Skispringen keine Ahnung hat. Ich erhoffe mir dadurch neuen Input.

LAOLA1: Was ist für dich das Schönste am Leben als Skispringer und was nervt dich am meisten?

Schlierenzauer: Das Schönste ist sicherlich das Gefühl in der Luft, das Gefühl, für ein paar Sekunden fliegen zu können. Das kann man nicht beschreiben. Was nervt, ist die ständige Bewertung, egal, ob durch einen selber oder durch die Öffentlichkeit. Man darf nie vergessen, dass der Spitzensport an sich sehr schön ist, aber auch eine große Scheinwelt. Es gibt Wichtigeres im Leben. Wenn man das immer vor Augen hat, geht es einem auch gut, wenn es mal nicht so läuft.

LAOLA1: Würdest du dir wünschen, dass z.B. auch dritte Plätze mehr wertgeschätzt werden?

Schlierenzauer: Skispringen ist ein sensibler Sport, bei dem viele Teilbereiche zusammenpassen müssen. Es ist nicht selbstverständlich, von Sieg zu Sieg zu springen. Jeder Spitzensportler hat seine Höhen und Tiefen. Das Wichtigste ist, dass das, was man tut, Spaß macht. Wenn das der Fall ist, läuft es fast von alleine.

LAOLA1: Abschließend eine Frage zum „I Believe In You“-Projekt von Simon Wallner, das du unterstützt. Was hat dich dazu bewogen?

Schlierenzauer: Ich habe Simon beim Krafttraining im Olympiazentrum (Innsbruck) kennengelernt, wo wir uns gemeinsam für den Winter fit gemacht haben. Seine Zielstrebigkeit und positive Energie haben mich schwer beeindruckt, er ist ein lässiger Typ, der weiß, was er will, aber seine Ziele ohne Unterstützung nicht erreichen wird. Er braucht einen konkurrenzfähigen Mono-Ski um sich den Traum von den Paralympics 2018 erfüllen zu können, die Sache läuft super an, das taugt mir extrem!

LAOLA1: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führten Christoph Nister und Daniela Kulovits

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