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Reichelt: '70.000 Euro sind zu wenig'

Reichelt: Welche Summe angemessen wäre, warum Svindal nicht dumm ist, was ihn nervt:

Reichelt: '70.000 Euro sind zu wenig'

Er ist wieder da.

Hannes Reichelt kehrt wieder einmal an den Ort seiner schönsten und gleichzeitig bittersten Stunden zurück. Vor zwei Jahren kürte sich der 35-Jährige zum Hahnenkamm-Sieger, Stunden später musste er seine Saison vorzeitig beenden.

Bandenscheiben-OP, Olympia-Aus. Und das nach dem Triumph auf der legendären Streif. „Wenn es wieder so wäre wie 2014, würde ich nicht mehr starten. Ich bin damals ein großes Risiko eingegangen und heute noch sehr dankbar, dass alles so gut ausgegangen ist. Das würde ich nie mehr machen“, blickt er im Interview zurück.

Zwei Jahre später will er auf einer seiner Lieblings-Strecken erneut ganz oben stehen. Diesmal ohne Schmerzen. Was der Salzburger mit dem Sieger-Preisgeld anstellen würde, weiß er noch nicht. 70.000 Euro sind für seine Begriffe ohnehin zu wenig Entlohnung. Welche Summe für den Kitzbühel-Sieg angemessen wäre, warum Aksel Lund Svindal nicht dumm ist und was ihn nervt, erklärt Hannes Reichelt im Interview:

Frage: Hannes, wie zufrieden bist du mit den beiden Trainings in Kitzbühel?

Hannes Reichelt: Hier muss man 100 Prozent geben, um gewinnen zu können. 101 Prozent können aber schon brutal bestraft werden. Deshalb ist es umso wichtiger, sich hinzutasten. Das zweite Training war okay. Eigentlich wollte ich mehr am Limit fahren, das ist mir nicht ganz geglückt.

Frage: Hört man sich im Fahrerlager um, tippen für die Abfahrt viele auf dich. Wie geht es dir damit?

Reichelt: Druck habe ich dadurch keinen. Es zeigt mir, dass ich in den letzten beiden Rennen doch etwas richtig gemacht habe. Svindal hat aus Santa Caterina gelernt, wie man bei ruppiger Piste fahren muss. Deshalb ist er für mich ein großer Favorit. Man darf aber auch Theaux nicht vergessen, er hat heuer schon auf einer ruppigen Piste gewonnen – und hier wird es ruppig. Neben den zwei Jungs gibt es noch Kitzbühel-Experten, wie Dominik Paris. Christof Innerhofer muss analysiert werden. Er hat sich stark aufgedrängt und ist jetzt der Top-Favorit. Er war schon beim ersten Training schnell, ich werde mich ein wenig nach ihm orientieren. Es wird spannend zuzusehen, das Fahren für mich aber auch.

Frage: Wie du sagst, hat man in Santa Caterina gesehen, dass Svindal auf schlagiger Piste zu bezwingen ist. Kann man sagen: Je ruppiger die Strecke, desto höher die Chancen, ihn zu besiegen?

Reichelt: Vielleicht ist es gut, wenn es schlagig ist. In Santa Caterina hat man ja gesehen, dass ihm das nicht so gefällt. Vielleicht ist das unsere Chance. Aksel ist dennoch der Top-Favorit. Meinst du der Bursche schläft? Der lernt aus solchen Fehlern wie in Santa Caterina! Er ist ja nicht dumm. In Santa Caterina war er weit weg, hier war er schon beim ersten Training voll dabei.

Frage: Marcel Hirscher wünscht sich bestimmt Schützenhilfe in Form von Siegen von euch. Willst du ihm „helfen“?

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Reichelt: Wenn ich ans Gewinnen denke, dann denke ich nicht an Marcel oder dass er es im Gesamtweltcup leichter hat. Ich will einfach vorne mitfahren und ganz oben stehen, das ist mein Ziel und treibt mich an.

Frage: 2014 hast du den Sieg unter großen Schmerzen geholt. Wie groß ist die Lust, hier schmerzfrei zu feiern?

Reichelt: Es ist immer schön, wenn ich in der Früh aufstehe und nahezu ohne Schmerzen aus dem Bett komme. Wenn es wieder so wäre wie 2014, würde ich nicht mehr starten. Ich bin damals ein großes Risiko eingegangen und heute noch sehr dankbar, dass alles so gut ausgegangen ist. Das würde ich nie mehr machen. Ich hoffe, dass ich gesund bleibe und vielleicht in Gesundheit feiern kann.

Frage: Wie viel Sicherheit gibt die Gewissheit, hier schon gewonnen zu haben?

Reichelt: Es ist immer gut, auf eine Strecke zu kommen, die dir liegt. Ich kann beruhigt behaupten, dass mir die Streif liegt. Ich habe den Druck nicht mehr. Ich habe gewonnen, eine goldene Gams zu Hause und eine Gondel mit meinem Namen. Es ist eine gewisse Lockerheit, die Aksel zum Beispiel nicht hat. Dass er hier noch nicht gewonnen hat, wurmt ihn. Vielleicht ist das ein kleiner Vorteil für mich.

Frage: Kostet die Streif noch genauso viel Überwindung wie beim ersten Mal?

Reichelt: Beim ersten Mal weißt du nicht wirklich, was auf dich zukommt. Mit der Routine weißt du es. Wenn du 100 Prozent gibst und 101 zu viel sind, ist es immer ein mulmiges Gefühl. Ein Prozent ist so ein kleiner Bereich, das macht dieses Gefühl am Start aus. Du weißt, du willst vorne mitfahren und gewinnen – wenn du zu viel gibst, wirft es dich ab.

"Das nervt fast ein bisschen. Die Leute sind nicht einmal mehr mit einem zweiten Platz zufrieden."

Über die hohe Erwartungshaltung

Frage: Schläfst du in der Nacht vor Kitzbühel schlechter?

Reichelt: Nein, ich schlafe gut. Ich bin eher der Typ, der in der Früh ein bisschen nervös wird.

Frage: Die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit ist groß, alle Österreicher wollen einen rot-weiß-roten Sieg sehen. Beschäftigt dich das?

Reichelt: Auf dieser Strecke hat man so viel zu tun. Man muss sich derart konzentrieren, dass man nicht an so etwas denkt. Es ist wunderschön, herunterzustechen und 50.000 Menschen jubeln zu sehen – wenn ich am Start stehe, blende ich das aber komplett aus. Du siehst herunter auf die Mausefalle, da denkst du nur mehr daran, dich zu überwinden, dreimal anzuschieben und nicht nur einmal.

Frage: Und der Zweikampf Österreich gegen Norwegen?

Reichelt: Nein, weil doch noch einige andere Jungs mitsprechen. Man fährt in jedem Rennen gegen 60 andere Läufer. Das wird nur von den Medien aufgebauscht.

Frage: Die Medien rätseln auch, wie lange es dauert, bis wieder ein Österreicher eine Abfahrt gewinnt. Nervt das oder spornt es an?

Reichelt: Das nervt fast ein bisschen. Die Leute sind nicht einmal mehr mit einem zweiten Platz zufrieden. In Wengen war ich zum Beispiel mit meinem Lauf sowas von zufrieden, im Normalfall gewinne ich mit so einem Lauf. Aksel hatte einfach das Quäntchen Glück, deshalb hat er gewonnen. Wer mit solchen Leistungen nicht zufrieden ist, sollte es lassen. Ich bin sehr zufrieden.

Frage: 70.000 Euro Preisgeld gibt es für den Sieger, was würdest du damit machen?

Reichelt: Darüber mache ich mir erst Gedanken, wenn ich es am Konto habe. Es gibt genug Sachen, die ich damit machen würde. Ich bin gesund, das ist das Wichtigste. Wenn ich Essen gehen will, kann ich es mir leisten. Ich habe eine schöne Wohnung und bin ein glücklicher Mensch. 2014 wurde mir wieder einmal klar, dass Gesundheit an erster Stelle steht. Ich fahre nicht für die 70.000 Euro herunter, denn meiner Meinung nach sind wir ohnehin unterbezahlt für das Risiko, das wir eingehen. Das mache ich für den Mythos und den Kick, den man sonst nirgends bekommt.

Frage: Wenn du sagst, ihr seid unterbezahlt: Welche Summe wäre angemessen?

Reichelt: Unter 100.000 Euro ist unterbezahlt. Wer schon einmal hier heruntergerutscht ist oder an der Strecke gestanden ist, wenn wir herunterfahren, weiß, welches Risiko wir eingehen. Risiko gehört belohnt, wir haben nicht mehr als einen Helm, einen Rückenschutz und eventuell einen Airbag an. Dann gibt es noch ein paar Netze auf der Seite, das war's. Mit 130 oder 140 km/h auf einer steinharten Piste herunter zu fahren, da kann man sich ausrechnen, was man verdienen sollte. Die Stürze haben gezeigt, wie gefährlich es hier ist.

Frage: Bei dir kommt dazu, dass du nicht immer Abfahrer warst und über den Riesentorlauf in den Weltcup gekommen bist.

Reichelt: Ich hätte mir nie gedacht, so erfolgreich zu sein. 2005 habe ich im Europacup einige Abfahrten gewonnen, durch einen Sturz hat es mich brutal zurückgeworfen. 2011 dachte ich mir, dass ich die Abfahrt mitnehme, wenn ein Platz frei ist, um Punkte zu sammeln. Solche Klassiker wie Wengen oder Kitzbühel zu gewinnen, hätte ich nicht zu träumen gewagt. Ich bin sehr froh, dass mir das gelungen ist, aber so etwas kann man nicht planen. Das muss man passieren lassen.

Aus Kitzbühel berichtet Matthias Nemetz

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