"Das ist eine unglaubliche Geschichte, die Marcel hier schreibt", sagt Josef Percht.
Der Schladminger ist der Physiotherapeut des besten Skifahrers der Gegenwart und gehört seit zwei Jahren zu den engsten Vertrauten des Doppel-Olympiasiegers und siebenfachen Gesamtweltcup-Siegers.
Percht ist maßgeblich daran beteiligt, dass Hirscher nach seinem Knöchelbruch im Sommer wieder so schnell auf die Beine bzw. Ski kommen und die beste Saison seiner Karriere abliefern konnte.
"Das kann man gar nicht in Worte fassen, was seit der Verletzung im Sommer alles passiert ist. Eigentlich kann man ein dickes Buch schreiben. Es gab so viele extreme Ereignisse", sagt Percht, der seine Arbeit im Team Hirscher als "das größte Abenteuer seines Lebens" bezeichnet.
Im LAOLA1-Interview erklärt Percht, was für Hirscher die größte Herausforderung der letzten Jahre war und ob er nach der Verletzung ans Aufgeben gedacht hat. Außerdem spricht der Physiotherapeut über den Reiz der "Mission Hirscher" und den Chef Marcel Hirscher.
VIDEO: Hirscher als Abfahrer eine gute Idee?
(Text wird unter dem Video fortgesetzt)
LAOLA1: Wie würden Sie Marcel Hirscher beschreiben?
Josef Percht: Marcel ist eine starke Persönlichkeit - privat wie im Sport. Er entwickelt sich jedes Jahr sehr, sehr stark weiter, so soll es in einem Sportler-Leben auch sein. Da kann man nur sagen: Hut ab vor Marcel. Er arbeitet immer an sich und ist immer stark genug, um alles zu meistern.
LAOLA1: Ist Marcel ein strenger Chef?
Percht: Man muss ein strenger Chef sein, sonst kommt man nicht zum Erfolg.
"Für viele andere wäre das vielleicht unmöglich, für uns ist es ein normaler Job. Was Marcel in dem Moment braucht, wird organisiert. Geht nicht, gibt’s nicht."
LAOLA1: Laut Marcel kann es schon einmal vorkommen, dass ein Teammitglied im Notfall von Frankreich nach Salzburg und wieder zurück mit dem Auto fahren muss, um einen Ski zu holen, der am nächsten Tag benötigt wird. Waren Sie schon einmal in so einer Situation?
Percht: Ich glaube, dass wir jede Woche in Situationen kommen, in denen wir extreme Leistungen erbringen müssen. Aber wir alle im Team leben diesen Job, es gibt nichts, was wir nicht machen. Wir machen es für Marcel, egal, was es ist. Jedes Wochenende ist ein Abenteuer, da kommen solche Situationen wie von Frankreich nach Österreich und wieder zurück vor. Das ist ganz normal. Für viele andere wäre das vielleicht eine Herausforderung oder unmöglich, für uns ist es ein normaler Job. Was Marcel in dem Moment braucht, wird organisiert. Geht nicht, gibt’s nicht.
LAOLA1: Marcel sagt in einem Interview über Sie: „Josef hat sich der Mission Hirscher verschrieben. Zurücklehnen kennt er nicht. Eher sucht er sich Fleißaufgaben.“ Stimmen Sie zu?
Percht: Ja. Man lernt den Athleten Marcel Hirscher mit der Zeit sehr gut kennen und will ihn bestmöglich unterstützen. Ich versuche ihm so viele Sachen wie möglich abzunehmen. Man ist ständig damit beschäftigt, das Bestmögliche für Marcel zu machen, damit er sich nur auf das Skifahren konzentrieren kann.
LAOLA1: Was macht für Sie den Reiz der „Mission Hirscher“ aus?
Percht: Vieles. Das ist Teamspirit, das ist Erfolg, das ist gemeinschaftlicher Kampfgeist. Man entwickelt sich gemeinsam, es ist so ein eingeschworenes Team. Man baut eine extreme Freundschaft auf, es ist ein starkes Vertrauen da. Jeder weiß genau, was er zu tun hat und was der andere macht, ein Zahnrad greift ins andere – das macht es aus.
LAOLA1: Teamwork war nach Marcels Knöchelbruch im Sommer mehr denn je gefragt. Wie haben Sie die Saison erlebt?
Percht: Das kann man gar nicht in Worte fassen, was seit der Verletzung im Sommer alles passiert ist. Eigentlich kann man ein dickes Buch schreiben. Es gab so viele extreme Ereignisse, was wir alles gemacht haben und wo wir überall waren. Dass dann am Ende der Saison so etwas rauskommt, damit hat niemand gerechnet. Das ist schon eine unglaubliche Geschichte, die Marcel hier schreibt.
LAOLA1: Wie war die Zeit unmittelbar nach Marcels Verletzung?
Percht: Ich war damals dabei, als sich Marcel verletzt hat, habe auch das Video vom Sturz gemacht. Es war für uns alle ein großer Schock. Die Tage, Wochen und Monate nach der Verletzung waren geprägt von akribischer Arbeit, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Wir als Team haben versucht, das Bestmögliche für Marcel zu machen, die Heilung Tag für Tag voranzutreiben. In erster Linie ist es darum gegangen, den Knochen so schnell wie möglich zu heilen, damit er ihn wieder belasten kann. Es hat sich über Monate gezogen, aber Marcel und das ganze Team haben Kampfgeist gezeigt. Wir haben ein Ziel gehabt und das war Sölden (Weltcup-Auftakt, Anm.), darauf haben wir jeden Tag rund um die Uhr hingearbeitet.
LAOLA1: Was war für Marcel persönlich am schwersten in dieser Zeit?
"Geduld zu haben und nicht trainieren zu können war die größte Herausforderung, die Marcel in den letzten Jahren hatte."
Percht: Wer Marcel kennt, der weiß, dass er so schnell wie möglich gesund werden und wieder Skifahren wollte. Aber es war nun mal ein Knochenbruch und eine strukturelle Verletzung im Muskelbereich, das geht nicht von heute auf morgen. Geduld zu haben und nicht trainieren zu können war die größte Herausforderung, die Marcel in den letzten Jahren hatte.
LAOLA1: Gab es einen Moment, in dem Marcel ans Aufgeben gedacht hat?
Percht: Aufgeben gibt es bei uns im Team sowieso nicht. Gedanken schießen immer durch den Kopf, aber das Team hat zusammengehalten und sich gepusht. Man musste der Situation nach der Verletzung Zeit geben, vernünftig sein und nicht übertreiben. Sonst hätte es sein können, dass wieder etwas passiert und dann wäre Marcel den ganzen Winter ausgefallen. Es war eine sehr sensible Situation. Aber es gab jede Woche oder alle zwei Wochen Erfolge und so ist das Ziel Sölden bzw. Levi näher gerückt. Aber es war von der Verletzung bis zum Rennen in Levi ein sehr harter Kampf.
LAOLA1: Sie gehören zum engsten Betreuer-Kreis von Marcel. Wie läuft für Sie ein Renntag ab?
Percht: Man steht früh auf und frühstückt gemeinsam. Man fragt, wie es geht und wie die Nacht war. Nach dem Frühstück geht es zur Besichtigung. Zwischen dem 1. und 2. Durchgang wird geschaut, dass Marcel gut isst. Danach wird therapeutisch noch was gemacht: Massage, Therapie, Mobilisation. Vielleicht sticht es irgendwo durch einen Schlag von einer Stange, dann muss man darauf reagieren. Es ist immer eine neue Situation, deshalb gibt es eigentlich keine Routine.
LAOLA1: Was passiert in den letzten Minuten vor dem Start?
Percht: In den letzten fünf Minuten vor dem Start sind nur mehr ein paar Leute um Marcel herum, etwa der Servicemann oder meine Wenigkeit. Ich nehme noch etwaige Funksprüche von der Piste entgegen, die ich gleich weitergebe. Das kommt sehr häufig vor. Wenn Marcel eine frühe Nummer hat, kann es sein, dass in den letzten 10, 15 Sekunden noch Funksprüche kommen. Die muss man ihm sagen und er kann das auch sofort umsetzen. Das ist schon ein Riesentalent, dass er das, was man ihm sagt – auch wenn es 10 Sekunden vor dem Start ist – noch einspeichern und umsetzen kann.
LAOLA1: Aktuell wird viel über Marcels Zukunft spekuliert.
Percht: Wir alle wissen nicht, was Marcel macht, ob er weiterfährt oder nicht. Ich wünsche mir, dass er weitermacht, weil er in so einem Hoch ist, so gut Ski fährt. Es wäre schade, wenn er das nicht fortsetzten würde. Ich weiß aber nicht, was in seinem Kopf vorgeht. Da muss man, glaube ich, einige Monate warten, bis Marcel das alles verarbeitet hat. Dann werden wir uns im Sommer treffen und das besprechen.