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Großbritannien: Österreichs letzte WM-Hürde

Acht Fragen, acht Antworten. Bernd Freimüller beleuchtet das britische Eishockey:

Großbritannien: Österreichs letzte WM-Hürde Foto: © GEPA

Am Montag wartet für Österreichs Nationalteam gegen Großbritannien (19:20 Uhr im LIVE-Ticker >>>) der große Showdown um den Klassenerhalt bei der Eishockey-WM in Finnland.

Nachdem das britische Schlusslicht der Gruppe B am Sonntag trotz zwischenzeitlicher 3:1-Führung noch 3:4 gegen Lettland verlor, beträgt der Vorsprung des ÖEHV-Teams drei Punkte. Somit würde ein Zähler reichen, um zum zweiten Mal in den letzten 18 Jahren den Verbleib bei der A-WM zu bejubeln.

Aber: Großbritannien darf keineswegs unterschätzt werden, seit 2019 befinden sie sich in der Top-Division. Damals konnte mit einem 4:3 nach Verlängerung im Schlüsselspiel gegen Frankreich die Klasse gehalten werden, auch 2021 wäre dies dank eines 4:3-Erfolgs über Belarus gelungen.

In Österreich sind die Briten jedoch eine graue Maus, kaum jemand kennt das Nationalteam, geschweige denn die britische Elite ICE Hockey League samt ihren Spielern.

Daher gibt LAOLA1-Scout Bernd Freimüller tiefe Einblicke in das britische Eishockey:

Wie stehen die win2day ICE Hockey League und Elite ICE Hockey League (EIHL) im Vergleich da? Wo würden sich britische Top-Teams in unserer Liga einreihen?

Die Kluft zwischen den Ligen ist über die Jahre sicher kleiner geworden, aber sie besteht weiter.

Die EIHL-Spitzenteams wären sicher in jedem Spiel konkurrenzfähig und könnten gewinnen. Allerdings nicht über die ganze Saison. Der Grund dafür: Die Kader sind fast überall auf Kante gestrickt, wesentlich kleiner als in der ICE. Mit anderen Worten: Britische Teams sind in puncto Kadergröße am ehesten mit dem HC Innsbruck zu vergleichen.

Das Grundaufgebot umfasst etwa sechs Verteidiger und 12 Stürmer. Bei Verletzungen wird das Personalkostüm dann schnell knapp, während der Saison treten auf beiden Seiten oft nur drei Sturmlinien an. Dadurch wird das Tempo auch geringer, Spieler müssen sich ihre Kräfte hier gut einteilen.  

Natürlich ist auch die Qualität der Legionäre etwas geringer als im ICE-Durchschnitt, dafür kann jedes Team 14 aufbieten. In der letzten Saison waren 19 Spieler auf dem Spielbericht zugelassen, nächste Saison 20.

Gibt es in Großbritannien ein Nachwuchssystem, das mit unserem vergleichbar ist? Wie schneiden britische Nachwuchsnationalteams ab?

Es gibt keine umfassende Nachwuchsliga. Vor allem geografisch kämpft das britische Eishockey mit großen Problemen. So müssen Jugendteams aus Belfast zu jedem Spiel nach Schottland reisen, da es im eigenen Land keine Gegner gibt.

In den britischen Eishockeyzentren um Nottingham oder Sheffield schaut es etwas besser aus. Aber die EIHL-Teams betreiben die Nachwuchsarbeit nicht selbst, sind nur finanziell etwas involviert.

Die Jugendarbeit ist daher eine Mixtur aus Rest-Europa, wo die Organisationen die Nachwuchsarbeit selbst in die Hand nehmen, und Nordamerika, wo Senioren- und Junioren-Eishockey streng getrennt sind.

Die U18- und U20-Teams von Großbritannien spielen über die Jahre fast durchgehend in der Division 2A, also in der Viertklassigkeit und damit ein bis zwei Stufen unterhalb von Österreich.

Welchen Spielstil pflegen die Briten und was sind ihre Stärken und Schwächen?

Das britische Eishockey war natürlich immer kanadisch geprägt, es gibt weiter Doppelstaatsbürger in der Liga und im Nationalteam. Diese haben ihre Pässe allerdings seit Geburt, Einbürgerungen wegen des Eishockeys gibt es nicht.

Die Stile zwischen Europa und Nordamerika haben sich über die Jahre angenähert, die Unterschiede haben sich verwischt. Speed und Skills sind über die Jahre immer wichtiger geworden, allerdings hat man hier noch Aufholbedarf. Wie im Nationalteam sichtbar, gibt es viele große Defender, die sich aber nicht sonderlich gut bewegen können und kaum über Puckskills verfügen.  

Foto: © GEPA

Das britische Eishockey ist sicher weiter von einem gewissen Körperspiel geprägt, die Mär von einer Goon-Liga hat allerdings Patina angesetzt und ist nur haltloses Gefasel.

EIHL-Meister Belfast Giants hatte in seinen etwa 70 Saisonspielen nach eigener Aussage vielleicht zwei bis drei Fights, also keineswegs mehr als ein durchschnittliches EIHL-Team. Ihr Erfolg wird auch sicher wieder Nachahmer finden, kleinere und wendigere Spieler noch wertvoller werden.

Das Team Great Britain war zwischen 2013 und 2017 noch drittklassig, ist dann in die A-Gruppe durchmarschiert und spielt dort sein drittes Turnier. Was sind die Gründe für diesen Aufschwung?

Ganz einfach: Die Liga ist über die Jahre weit besser geworden, zieht dadurch auch die einheimischen Spieler mit.

Diesen Niveauaufschwung spürt man auch bei den CHL-Spielen der britischen Teams. Wie man an den Nachwuchsnationalteams sieht, ist der Nachschub nicht besser geworden, aber das Spielniveau mit jüngeren und besseren Legionären. Die Erstklassigkeit wird nicht ewig anhalten, aber die B-Gruppe sollten die Briten halten können.

Welche EIHL-Spieler kennt man aus der EBEL/ICE? Und wie funktioniert der Austausch in die andere Richtung?

Brodie Reid, Marc-Olivier Vallerand, Colton Yellow Horn, Curtis Hamilton, Brendan Mikkelson oder Tyler Beskorowany – in der EIHL finden sich immer wieder Ex-EBEL-Spieler.

Die meisten von ihnen sind schon älter und finden in Spitzenligen keinen Job mehr. Einige lockt auch die Möglichkeit einer zweijährigen, College-ähnlichen Ausbildung, die sie auf den Weg ins Berufsleben vorbereiten soll und die von der Organisation bereitgestellt und bezahlt wird.

Mit Nico Feldner gab auch ein österreichischer Teamspieler ein kurzes Gastspiel zum Ende der letzten Saison, die Sheffield Steelers ließen ihn aber mitten im Titelrennen widerstandslos zum Nationalteam ziehen.

Umgekehrt kommen vereinzelt Legionäre in unsere Liga und schlagen sich gut, etwas Josh Roach bei Linz oder Gleason Fournier (Bozen, Fehervar). Innsbruck verpflichtete gerade mit Jamal Watson den besten EIHL-Verteidiger der letzten Saison. Er spielte bei einem der schwächeren Teams, Guildford. Seine eisläuferischen Fähigkeiten machen ihn sicher zu einem interessanten Signing.

Wer sind die Top-Spieler des Nationalteams?

In einer Mannschaft, die von körperlich starken Spielern geprägt ist, gibt es nur wenige herausragende Cracks. Ben O'Connor ist der Defender mit dem besten Stickhandling, von den Angreifern können Brett Perlini, Ben Lake und Scott Conway dir offensiv am meisten wehtun.

Coach Pete Russell, der das Team schon seit Jahren zu einer Einheit geformt und sich selbst mit einem DEL-Job in Augsburg belohnt hat, muss mit Mike Hammond, Brendan Connolly und Liam Kirk aber auf drei wichtige Stürmer des Vorjahres verzichten.

Liam Kirk im Coyotes-Dress
Foto: © getty

Kirk ist auch das Aushängeschild des britischen Eishockeys: Er wurde 2018 von den Arizona Coyotes gedraftet. Sein Status als Siebtrunden-Pick deutete noch auf mehr Hoffnung als Glauben hin. Kirk übersiedelte danach von Sheffield nach Übersee in die OHL, kehrte in der Corona-Saison 20/21 noch einmal nach Sheffield zurück und dominierte dort.

Seine Coming-Out-Party war die letzte A-WM, wo er in sieben Spielen sieben Tore erzielte! Einem Entry-Level-Deal mit den Coyotes folgte ein durchaus guter Saisonstart bei deren Farmteam in Tucson, ehe ein Kreuzbandriss seine Saison frühzeitig beendete.

Wie wird das britische Eishockey im eigenen Land wahrgenommen?

Einerseits ist Eishockey natürlich immer noch eine gewisse Randsportart, andererseits ist Eishockey die Top-Indoor-Sportart in Großbritannien. Vor allem in Städten wie Nottingham, Sheffield, Cardiff oder Glasgow sind die Zuseherzahlen extrem gut, die Sheffield Steelers hatten mit knapp 7000 Fans den fünfthöchsten Schnitt in ganz Europa!

Das Nationalteam verfügt seit Jahren über eine kleine, aber treue und reisefreudige Fangemeinde. Die Spiele werden auch live übertragen, auch die Liga verfügt über einen TV-Vertrag. Ein Großteil der Budgets werden aus Zuschauereinnahmen finanziert, Corona hat keine übergroßen Spuren hinterlassen.

Gibt es Eigenheiten im britischen Eishockey?

Ja, in gewissen Bereichen fährt man auch im Eishockey links. Als einzige Liga wird der Titel fußballartig ausgespielt – sprich wer am Ende des Grunddurchgangs Erster ist, gilt als Meister und ist für die CHL spielberechtigt.

Es gibt danach schon noch eine Art Playoffs, acht Teams spielen im Schnelldurchlauf einen weiteren Titel aus, wobei das Finalturnier der letzten vier Teams an einem Wochenende in Nottingham gespielt wird. Vier Siege insgesamt reichen für diesen Playoff-Titel.

Die dritte auszuspielende Trophäe wäre der Challenge Cup, ein Pokalwettbewerb, der vor der Saison beginnt, danach parallel zur Meisterschaft gespielt wird. Die Belfast Giants gewannen sowohl diesen Bewerb als auch den Meistertitel.

Dass die Eisflächen in den einzelnen Hallen höchst unterschiedliche Ausmaße annehmen – von Olympia-Größe bis zu kleiner als in der NHL – ist nur eine weitere kleine Randnotiz.


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