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Bernd Freimüllers Tipps für den NHL-Draft

von Bernd Freimüller Foto: © getty
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Dallas, Texas ist Freitag und Samstag der Nabel der Eishockeywelt: Beim NHL-Draft erfüllt sich für über 200 Jungcracks ein Traum, für andere wiederum bricht eine kleine Welt zusammen.

Die Buffalo Sabres haben den begehrten ersten Pick, Carolina und Montreal dürfen danach wählen. Der Schwede Rasmus Dahlin, der bei Olympia sein Können zeigen durfte, wird wohl als Erster sein NHL-Team kennenlernen. 

LAOLA1-Scout Bernd Freimüller hat einige Tipps für Scouts, Spieler und Fans, um dieses Wochenende ohne allzu großen Nervenkitzel durchzustehen.

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Am und um den Drafttisch

Das Szenario ist ja seit Jahren zumindest vom TV her bekannt: Auf der sonstigen Eisfläche einer NHL-Arena sind 30 oder jetzt 31 Tische aufgebaut, um die herum die Angestellten der einzelnen Teams sitzen. An einem Tischkopf der GM, der Assistant GM, dann der Scouting Director und Headscout, danach die einzelnen Amateur Scouts, vom Full-Timer zum Part-Timer. Am hintersten Ende finden sich dann die Pro Scouts sowie die Coaches ein, die sich meist zu Tode fadisieren, sagen ihnen die Namen der Draftees doch verständlicherweise gar nichts.

Das Ganze ist natürlich alles andere als gemütlich, viel Platz bleibt da nicht für den Einzelnen. Ab und zu muss man sich dann die Beine vertreten oder ganz einfach die Toilette aufsuchen. Nichts dagegen einzuwenden, aber natürlich kommt es für den gemeinen Scout auf das Timing an. Die erste Runde am Freitag zieht sich gewaltig, jeder Pick nimmt mehr als fünf Minuten in Anspruch und nach dem Pick deines Teams hast du fast Feierabend. Der zweite Tag geht dagegen im Stakkato-Stil über die Bühne, ein Pick folgt auf den anderen und die Runden zwei bis sieben dauern insgesamt ungefähr so lange wie die erste.

Es gibt Teams, die streng nach ihrer Liste vorgehen – in der ersten Runde sowieso. Andere wiederum lassen vor allem in den späteren Runden mehr Platz für Improvisation. Hat man schon vier Stürmer gedraftet, wird eher ein Defender oder Goalie angesagt sein, selbst wenn die nächsten drei Spieler auf der Liste Angreifer wären. Oder man sucht halt spezifisch nach gewissen Kriterien wie Größe, Schnelligkeit oder Härte, also einen Spieler, der gerade diese Nische füllen kann. Da kommt es öfters noch zu Nachfragen bei den Regionalscouts ("Sag mir nochmals, warum wir XY draften sollen") und der sollte dann natürlich nicht irgendwo in der Halle herumkurven.

Grundsätzlich gilt: Die Liste steht, gib keine Kommentare zu den Picks deines oder eines anderen Teams ab und sprich nur, wenn du angesprochen wirst. Effizienz ist angesagt, deine Chance, für einen Spieler einzutreten, war das Abschlussmeeting.

Anreisen oder daheimbleiben? 

Eine Frage, die immer wieder gestellt wird: Sollte ein möglicher Draftee anreisen oder daheimbleiben und den Draft vor dem Computer verfolgen? Wohlgemerkt, wir sprechen da nicht von den Cracks, die auf jeden Fall hoch gedraftet werden. Auch für sie ist ein gewisser Nervenkitzel dabei und eventuell auch eine unruhige Nacht, wenn der Name am ersten Tag nicht aufgerufen wird. So glaube ich, dass Deutschlands Dominik Bokk gute Chanceb hat, am Freitag in der ersten Runde gezogen zu werden. Garantie dafür besteht allerdings keine und dann müsste er noch eine Nacht im Ungewissen verbringen.

Doch soll nichts Ärgeres passieren, die Eishockey-Zukunft hängt nicht davon ab, ob man in der ersten, zweiten oder dritten Runde gedraftet wird. Aber jedes Jahr kommt es vor, dass Spieler zur Draft anreisen, dort Stunden verbringen, einen Namen nach dem anderen verlautbart hören und dann mit Tränen in den Augen an der Seite der oft noch mehr deprimierten Verwandtschaft die Halle verlassen. Die Karriere scheint schon vorbei zu sei, ehe sie begonnen hat, wovon natürlich keine Rede sein kann.

Bernd Freimüller erklärt Europa-NHL-Transfers Eishockey - NHL Der LAOLA1-Scout klärt über die wichtigsten Fragen auf:

Gute Agenten können die Lage ihres Klienten einschätzen, wissen durch gewisse Feedbacks (Rückfragen der Scouts, Anzahl der Interviews, Einladung zum Combine), ob ihr Spieler Chancen beim Draft hat. Im Zweifelsfall raten sie von einem Kommen ab.

Was versäumt ein Spieler dann, wenn er trotzdem gedraftet wird? Ein Händeschütteln mit den Scouts, etwas Small Talk, einen kleinen Empfang nach dem Draft sowie das Überreichen eines Jerseys. Dieses sicher schöne Paket muss dann eben mit einer eventuellen Riesenenttäuschung aufgewogen werden. Ich persönlich habe bei meinem ersten Draft erlebt, dass ein Agent mich darum angefleht hat, seinen Spieler in der letzten Runde zu draften, da dieser in der Halle war. Ich habe ihm da leider auch nicht helfen können, sein Klient war nicht einmal auf meiner Regionalliste geschweige denn auf der Atlanta-Gesamtliste…

Ein interessanter Trend hat sich aber über die Jahre etabliert: Einige Agenten bringen ihre Topspieler des nächsten Jahrgangs zum Draft. Sie sollen dann einfach nur die Atmosphäre aufschnuppern, bei den Interviews der Teams mit den Draftees zuhören und wissen so, was sie im nächsten Jahr erwartet.

"Wahnsinn - sie haben sich nicht an die Liste gehalten!"

Immer mehr Fans interessieren sich in den letzten Jahren für den Draft, Publikationen sprießen fast jährlich aus dem Boden. Dazu kommt noch, dass immer mehr Interessierte Juniorenspiele per Stream abgerufen werden. Aus diesen Gründen wird jeder Pick im Draft sofort seziert und ein Satz kommt dabei immer wieder vor: "They went off the list" ("Sie haben sich nicht an die Liste gehalten").

Die erste Frage, die man stellen muss: Welche Liste denn? Die vom Central Scouting Bureau der NHL? Die wäre schon ziemlich nutzlos, splittet sie sich doch in zwei separate Teile (Nordamerika und Europa) auf.

Die von Scouting Services oder Publikationen wie z. B. International Scouting Service, Mc Keen's oder Red Line Report?

Keine dieser Listen hat für ein NHL-Team irgendeine Relevanz, oft kennen sie diese gar nicht. Die Teams erstellen natürlich ihre eigenen Listen, warum sonst würden sie ihre Scouts in der ganzen Welt herumschicken und Hunderttausende von Dollar für ihre Gehälter und Spesen ausgeben. Und diese Scouts erstellen dann in den Meetings ihre Endliste, die die Grundlage für ihre Picks ist. Keiner sonst kennt die Reihenfolge darauf und nur die ist relevant, nicht irgendwelche andere Listen.

Klar, die Topnamen werden überall ungefähr gleich sein, Rasmus Dahlin oder Filip Zadina werden eher nicht irgendwo zwischen Platz und 50 und 60 gelistet sein. Doch schon im Verlauf der ersten Runde werden die Differenzen größer und bei potentiellen Picks für die späteren Runden wird es überhaupt keine Übereinstimmung geben. So verschieden diese Listen also ausfallen – sie alleine sind für die Teams relevant.

Klar, ein völlig obskurer Name in der ersten Runde wäre Grund zur Aufregung, aber wie oft kommt das schon vor? Und sich darüber aufzuregen, dass Team X Spieler Y in der zweiten Runde gedraftet hat, obwohl ihn Central Scouting als Nr. 78 gelistet hat, ist verschwendete Energie…

AHL: Freimüller-Überblick über die 2. Liga der USA Eishockey - International Die zweithöchste nordamerikanische Eishockey-Liga ist ein guter Boden für europäische Scouts:

"Der GM hat einen guten (oder schlechten) Draft Record"

Auch so ein Satz, der nur selten einen Hintergrund in der Realität hat. Nicht GMs draften Spieler, sondern ihr Scouting Staff. Es gibt zwar einige GMs (wie etwa Floridas Dave Tallon), die sich einige hohe Draft Picks ansehen oder zumindest bei der U18 zum Saisonende dabei sind, die meisten aber mischen sich in die Arbeit ihrer Scouts fast nicht ein. Aus gutem Grund, wie mir einmal ein GM sagte: "Ein wenig Wissen ist eine sehr gefährliche Sache".

Gute oder schlechte Draft Records über die Jahre sollten also weniger dem GM, eher seiner Scouting-Abteilung zugeschrieben oder angelastet werden. Ein einzelnes Jahr herauszuheben, ergibt sowieso keinen Sinn.

Doch es wäre auch naiv zu glauben, dass es nie Einmischung von oben gibt. Beispiele dafür: Die Islanders drafteten 2015 den ersten chinesischen Spieler mit Andong Song – hatte da wirklich der ebenfalls in China geborene Eigentümer Charles Wang gar nichts damit zu tun?

Die New Jersey Devils pickten 2013 in der letzten Runde mit Anthony Brodeur den ältesten Sohn von Franchise-Legende Martin Brodeur – sein Talent gab eigentlich keinen Draftpick her. Und die Philadelphia Flyers drafteten 2010 in der vierten Runde Defender Nick Luukko, zufälligerweise der Sohn des damaligen Teampräsidenten.

Eher nicht zu glauben, dass die Scouts diesen Picks vollinhaltlich zustimmen, aber ab und zu muss ein GM Wünsche von oben erfüllen und sie an seinen Staff weitergeben – und sei es nur in vorauseilendem Gehorsam…

Textquelle: © LAOLA1.at