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Domracheva: "Ich war leer"

Bei LAOLA1 spricht Darja Domracheva über das Gefühl, wenn der Körper streikt, und das Leben als Vorbild

Domracheva:

Darya Domracheva hat dringend eine Pause benötigt.

Nachdem die Weißrussin in Sochi dreimal Olympia-Gold gewann und endgültig zum Sport-Superstar empor stieg, erfüllte sie sich in der letzten Saison mit dem Gewinn des Gesamtweltcups einen weiteren Lebenstraum.

Danach war die erfolgreichste Biathletin der Gegenwart jedoch ausgebrannt. Müdigkeit machte sich breit, mentale Leere war nicht mehr zu übersehen. Der Körper streikte.

Halt fand sie bei ihrer Familie, aber auch bei Freund Ole Einar Björndalen. Die Beziehung zum Norweger ist zwar ein offenes Geheimnis, die beiden haben aber kein Interesse, ihre Gefühle zur Schau zu stellen. "Ich verstecke nichts, aber ich spreche auch nicht groß darüber. Ich hoffe, die Leute respektieren das", sagt sie kurz und knapp.

Den erhofften Respekt bekam sie auch ob ihrer Entscheidung, die Reißleine zu ziehen und den WM-Winter 2015/16 auszulassen. "Ich liebe diesen Sport von ganzem Herzen. Um diese Liebe noch möglichst lange aufrechterhalten zu können, benötigt es diese Pause", sah sie den Cut als einzige Chance für sich.

Im großen Interview mit LAOLA1 spricht die 29-Jährige über das Gefühl, wenn der Körper streikt, und das Leben als Vorbild. 

LAOLA1: Darya, wie ist es um deine Fitness bestellt?

Darya Domracheva: Ich trainiere jeden Tag und fühle mich gut. Ich mache noch kein intensives Training, es ist Grundlagentraining. Der Rest kommt später.

LAOLA1: Hattest du je das Gefühl, deine Auszeit könnte ein Fehler gewesen sein?

Domracheva: Nein, ich habe das für mich so entschieden. Das war keine Kurzschlussreaktion. Ich habe gefühlt, dass ich diese Zeit brauche und dass sie reif ist für eine Pause. Ich bin schon so viele Jahre dabei und habe gemerkt, dass ich an Kraft verliere. Wenn ich aber die Rennen sehe, motiviert mich das. Ich versuche, mir gewisse Dinge abzuschauen.

Das war keine Kurzschlussreaktion. Ich habe gefühlt, dass ich diese Zeit brauche und dass sie reif ist für eine Pause. Ich bin schon so viele Jahre dabei und habe gemerkt, dass ich an Kraft verliere.

Darya Domracheva

LAOLA1: Nutzt die neue Perspektive?

Domracheva: Genau. Ich schaue mir die Taktik an, oder wie sich andere am Schießstand und in Abfahrten verhalten. Es ist auch gut, die Ski zu testen. Wenn du immer Wettkämpfe hast, bleibt dafür kaum Zeit. Jetzt kann ich das viel genauer betrachten und Zeit dafür investieren.

LAOLA1: Wie hat sich das Pfeiffersche Drüsenfieber bei dir bemerkbar gemacht?

Domracheva: Ende letzter Saison hatte ich schon das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Ich habe mich komplett verausgabt und gefühlt, dass es wohl Zeit für eine Pause ist. Mein Fehler war, dass ich nicht sofort auf meine innere Stimme gehört habe. Nach einem Urlaub habe ich wieder mit dem Training begonnen, wurde sofort wieder stärker, habe dann aber nach eineinhalb Monaten Mononukleosis bekommen. Die mentale Müdigkeit hat dabei sicher auch eine Rolle gespielt. Das Immunsystem ließ nach. Erst dann kamen mir wieder meine ersten Gedanken. Es war dumm, weiter zu pushen. Daher war es besser, einen Schritt zurück zu gehen, um dann wieder von vorne zu beginnen. Ich habe zu wenig auf meine innere Stimme gehört.

LAOLA1: Wessen Rat hast du vor deiner Entscheidung eingeholt?

Domracheva: Natürlich habe ich mit dem medizinischen Team gesprochen. Es gab unterschiedliche Meinungen. Einige dachten, ich müsste weitermachen. Ich wusste, dass das die falsche Entscheidung gewesen wäre. Schlussendlich hat es aber jeder akzeptiert.

LAOLA1: Eine schwierige und untypische Entscheidung eines Sportlers, der für gewöhnlich um jeden Preis starten will. Warum hast du dich bewusst anders entschieden?

Domracheva: Ich liebe diesen Sport aus ganzem Herzen. Um diese Liebe noch möglichst lange aufrechterhalten zu können, benötigt es diese Pause. Wenn ich diese Saison bestreiten würde, wäre es zu hart. Ich war schon lange müde, ich war leer und fühlte, dass ich am Limit war.

LAOLA1: Du hattest letztes Jahr mit Alfred Eder einen österreichischen Coach, der euch inzwischen verlassen hat. Wie war euer Auskommen?

Domracheva: Er ist ein richtig netter Kerl. Wir hatten eine tolle Atmosphäre. Ich kann glaube ich für alle im Team sprechen, dass wir ihn wirklich gerne hatten. Wir waren glücklich, mit ihm arbeiten zu können. Mir waren seine Tipps am Schießstand wichtig, denn dort ist er richtig gut. Ich habe seine Entscheidung respektiert, hätte mir aber gewünscht, dass er weitermacht. Wir verstehen uns immer noch sehr gut. Selbst wenn jetzt jemand Probleme mit der Waffe hat, hilft er aus.

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LAOLA1: Wie hat sich deine Beziehung mit den Teamkolleginnen entwickelt?

Domracheva: Viele Jahre waren wir kein gutes Team. Inzwischen sind sie mehr als nur Kolleginnen, wir sind eine Familie. Natürlich hat mal jemand einen schlechten Tag, jeder hat auch mal schlechte Laune, aber das ist in einer Familie ja nicht anders. Am nächsten Tag ist alles wieder in Ordnung. Das Leben eines Athleten ist nicht immer so leicht, wie es für viele scheint. Man ist die meiste Zeit unterwegs, weg von daheim, weg von der Familie. Wir unterstützen uns daher gegenseitig, die Atmosphäre ist super, wir respektieren einander.

LAOLA1: Ole sagt immer, er sucht nach dem perfekten Rennen. Wie verhält es sich mit dir?

Domracheva: Das perfekte Rennen ist sicher ein Ziel. Auch diese Gefühle, die man bekommt, wenn man über sich hinausgeht. Das Wichtigste ist, stärker zu sein als am Vortag. Das ist vielleicht das Coolste am Sport.

LAOLA1: Hast du Vorbilder?

Domracheva: Nein. In meiner Kindheit wurde ich das oft gefragt, aber ich hatte nie Vorbilder. Alleine, Biathlon-Rennen anzuschauen, war für mich Inspiration genug. Die Möglichkeit, selbst zu trainieren und mich dadurch ständig zu verbessern, ist die größte Motivation.

LAOLA1: Wie gehst du damit um, selbst Vorbild zu sein?

Domracheva: Es ist natürlich eine Ehre, aber zugleich auch eine Verantwortung. Es macht mich glücklich, wenn ich anderen gute Ratschläge geben und ihnen etwas von meinen Erfahrungen vermitteln kann. Ich respektiere sehr viele Athleten, vor allem von der älteren Generation. Diese Legenden, die in Minsk waren, waren allesamt große Athleten. Alfred oder auch Klaus Siebert. Sie haben die Geschichte des Sports mitgeschrieben. Wir alle können davon lernen.

Domracheva nahm sich für LAOLA1 Zeit

LAOLA1: Lernen kann man auch von Ole Einar Björndalen, der selbst mit 42 Jahren zu den WM-Mitfavoriten zählt. Wie siehst du seine Stellung im Biathlon?

Domracheva: Er bekommt von den Athleten, aber nicht nur von ihnen, großen Respekt erwiesen. Er ist ein Paradebeispiel auf so viele verschiedene Arten und Weisen. Es ist nie zu spät, etwas Neues zu lernen. Er zeigt das immer wieder.

LAOLA1: Skandale sind ihm fremd, er hat für den Sport vieles geopfert. Ist das sein Erfolgsgeheimnis?

Domracheva: Natürlich. Der Sport ist ein großer Kampf. Speziell, wenn du keine 20 Jahre mehr bist und du das harte Programm nicht mehr so einfach wegsteckst. Mit dem Alter kommt aber die Erfahrung und du lernst zu verstehen, was der Körper braucht. Es ist wichtig, einen gesunden Lifestyle zu führen und auf Partys zu verzichten. Viele junge Athleten erreichen bestimmte Resultate und fühlen sich sofort als die Stärksten der Welt. Sie glauben, dadurch sind sie cool. Wenn du aber deine Leistungen bestätigen und über längere Zeit an der Spitze sein willst, musst du kontinuierlich an dir arbeiten und verstehen, was es dafür braucht.

LAOLA1: Was kann man von ihm lernen?

Domracheva: Jeder kann von ihm lernen, aber auch von sich selbst. Auch andere, Nicht-Sportler, werden irgendwann 40. Dann achten sie nicht mehr auf ihre Form und begründen das mit dem Alter. Sie behaupten, sie haben so viel zu tun. Dabei hängt es nur von einem selbst ab, ein gesundes Leben zu führen und sich fit zu halten. Man muss Zeit für sich selbst finden, dann ist das möglich. Alfred hat beispielsweise sehr häufig mit uns mittrainiert, er war mit dem Bike fast immer dabei – über drei, vier Stunden. Ein Mann mit 60 Jahren, das ist beeindruckend. Von solchen Leuten sollte man sich inspirieren lassen. Er ist in guter Form und fühlt sich dadurch besser.

LAOLA1: Ist es für dich vorstellbar, ähnlich lang aktiv zu bleiben?

Domracheva: (lacht) Daran denke ich jetzt noch nicht, dafür ist es viel zu früh. Das Leben ist so schnelllebig, da weiß man nie, was einen erwartet.

LAOLA1: Du wirst zwar in diesem Sommer erst 30, aber denkst du schon an die Karriere nach der Karriere?

Domracheva: Natürlich habe ich Pläne, aber es ist zu früh, um darüber zu sprechen. Im Leben kann sich so schnell etwas ändern. In meiner Familie sind alle künstlerisch tätig. Mein Papa war Architekt, meine Mama und mein Bruder sind es, daher bin ich in dieser Atmosphäre aufgewachsen. Für mich ist daher ein kreativer Weg im weiteren Leben interessant. Im letzten Herbst war es aber zum Beispiel höchst interessant, Teil des Einladungsrennens gewesen zu sein. Wir haben viele Aktionen für die Zuschauer kreiert, da ging es nicht nur darum, das Rennen zu schauen. Es war toll, auch mal diese Seite kennenzulernen.

LAOLA1: Du bekommst zahlreiche Einladungen. Wie schwierig ist es, dem Leben in der High Society zu widerstehen?

Domracheva: Ich filtere das sehr gut. Im Moment läuft das sehr balanciert. Ich kann auch mal nein sagen, wenn es mir zu viel Energie raubt oder nicht mein Ding ist. Es geht so schnell, dass man sich zu viel Druck auflastet. Ich bin verantwortlich für meine sportliche Karriere, daher will ich nicht alles auf meinen Schultern tragen.

LAOLA1: Liest du Artikel über dich?

Domracheva: Es wird so viel geschrieben, häufig auch so viel falsches, dass man irgendwann das Interesse daran verliert. Warum sollte ich das noch lesen, wenn es nicht stimmt? Ich lebe mein Leben. Wenn man einen bestimmten Level erreicht, bekommt man sehr viel Aufmerksamkeit. Das ist nicht immer angenehm. Viele Leute werden eifersüchtig, aber auch das gehört zum Leben. Manchmal enttäuscht mich das, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich es easy nehmen muss. Manchen Leuten gegenüber habe ich zwar den Respekt verloren, aber dafür will ich keine Energie mehr verschwenden. Ich blicke in die Zukunft.

LAOLA1: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Christoph Nister

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Posted by Viessmann Sport on Donnerstag, 18. Februar 2016

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