Für die einen ist es die „Hölle des Nordens“, für die anderen ein Lebenstraum.
Radprofi Lukas Pöstlberger gehört mit Sicherheit in die zweite Kategorie, könnte seine Meinung aber zumindest kurzfristig am Sonntag ändern.
Dann steht mit Paris-Roubaix der wichtigste aller Klassiker auf dem Speiseplan. 257,5 Kilometer warten auf dem Weg von Compiegne nach Roubaix, rund ein Fünftel über das gefürchtete Kopfsteinpflaster.
Pöstlberger will finishen
„Mein persönliches Ziel wird sein, das Rennen zu finishen“, erklärt der für sein Team Bora-Argon18 voraussichtlich als einer von fünf Österreichern – auch Michael Gogl (Tinkoff), Marco Haller (Katusha), Matthias Brändle (IAM) und Bernhard Eisel (Dimension Data) stehen auf der vorläufigen Startliste – „La Reine des Classiques“, die Königin der Klassiker, in Angriff nehmen wird.
Was sich für Gelegenheits-Zuschauer als pures Understatement anhören mag, ist für Experten kein einfaches Unterfangen. Pöstlberger gehört zu den Debütanten beim Frühjahrs-Klassiker, diese bezahlen in der Regel jede Menge Lehrgeld.
In Flandern Lehrgeld gezahlt
Genau diese Erfahrung musste der 24-Jährige vergangenen Sonntag bei der Flandern-Rundfahrt machen. Zunächst gelang es dem Oberösterreicher, sich gegen Dutzende weitere Fahrer zu behaupten und einen Platz in der begehrten Ausreißergruppe zu ergattern, ehe der Defektteufel sein Unwesen trieb.
„Es hat ewig gedauert, bis die Spitzengruppe endlich gegangen ist, es waren über 80 Kilometer Kampf“, berichtet er von der Schwierigkeit, den perfekten Moment zu erwischen. Aufgrund eines Materialproblems war sein Rennen allerdings frühzeitig gelaufen.
„Ein Defekt kann immer passieren“, ist Pöstlberger die Gefahr bewusst. Da es allerdings zahlreiche Stürze gab und die Hektik im Peloton groß war, sah er keine Chance, sich wieder ans Feld heranzukämpfen. „Das war unmöglich.“
Auch in Roubaix attackieren
Der ÖRV-Legionär hält aber nichts davon, von seiner Taktik abzuweichen, deshalb lautet auch auf dem Pavé von Roubaix die Devise „volle Attacke“. „Mein Ziel wird sein, wieder die Spitzengruppe abzudecken.“
Für einen ProContinental-Rennstall wie Bora-Argon18, der nicht über ein Star-Ensemble verfügt wie etwa Etixx-Quick Step, ist es von besonderer Bedeutung, sich aktiv zu zeigen. „Wir sind ein relativ kleines Team, wir müssen (in Fluchtgruppen) vertreten sein“, verdeutlicht der ehemalige Staatsmeister. „Wenn es Kraft und Energie zulassen, will ich ins Ziel fahren.“
Da er erst seit Sommer des letzten Jahres für die bayerische Equipe in die Pedale tritt und davor mit den heimischen Conti-Teams Gourmetfein Wels und Tirol Cycling zu keinen kleineren Eintagesrennen in der Umgebung eingeladen wurde, betritt Pöstlberger generell Neuland.
Schlamm- und Staubschicht
Beim Training am Donnerstag war es das erste Mal der Fall, dass er die gefürchteten Pflastersteine zu Gesicht bekam. Insofern ist er schon „sehr gespannt“, wie sich das Rennen am Sonntag entwickelt.
Einen kleinen Vorteil im Vergleich zu Flandern hat er bereits ausgemacht. „Bei Roubaix geht es Gott sei Dank nicht so viel bergauf. Kopfsteinpflaster bergauf oder in der Ebene – das ist ein gravierender Unterschied“, weiß er, wovon er spricht.
Andererseits hält Roubaix in etwa doppelt so viele Pavé-Kilometer bereit, womit eine Tortur zu befürchten ist. Hinzu kommt das schwer kalkulierbare Wetter: Entweder wird der Eintagesklassiker zur Staub- oder zur Schlammschlacht.
Pöstlberger freut sich trotzdem darauf - auch auf die Gefahr hin, dass er sein Urteil am Sonntag kurzfristig revidiert.
Christoph Nister