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Ein Quantensprung steht bevor

Alisa Buchinger und Co. setzen nicht nur wegen der Heim-WM zu einem Quantensprung an.

Ein Quantensprung steht bevor

„Du kannst Karate?! Cool, dann hau doch mal den Tisch da durch!“

Sätze wie diese, kennt Thomas Kaserer zur Genüge „und ich kann sie nicht mehr hören“.

Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Der 27-Jährige ist der japanischen Kampfkunst sehr wohl mächtig – und das sogar sehr gut, nur die oberflächlichen Assoziationen der breiten Masse mit seinem Sport nerven halt.

Nur allzu verständlich.

Doch das könnte sich in den nächsten Jahren ändern. Zumindest ein Stückchen weit.

Den Anfang hierfür könnte die Heim-WM von 25. bis 30. Oktober in der Linzer Tips-Arena machen. Ein Spektakel soll es werden. Dafür sorgen nicht nur die rund 2.500 Aktive und Betreuer und die zu vergebenden Titel. Nein, die Organisatoren wollten sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen, stellten jedem der fünf Wettkampf-Tage je ein dem Karate zugrunde liegendes Prinzip aus der Zen-Philosophie zur Seite.

Thomas Kaserer

Ob die benutzten Begriffe „Hara“ (das Zentrum) oder „Kime“ (das Zentrum) die breitenwirksame Akzeptanz fördert? Wohl weniger. Doch dies ist wohl ohnehin mehr ein Aufputz, um innerhalb der Szene herauszustechen.

"We are Karate"

Für Breitenwirksamkeit würden große mediale Aufmerksamkeit und – nona – Medaillen schon mehr helfen. Dinge, die Hand in Hand gehen und die sich der Österreichische Karate-Bund (ÖKB) gleichermaßen erhofft.

Für ersteres haben die ÖKB-Verantwortlichen Medienvertretern während einer Pressekonferenz in Wien sogar einen Regel-Crashkurs gegeben. Nicht gerade gewöhnlich.

Schon eher gewöhnungsbedürftig: Der eigens für die WM kreierte Song „We are Karate“ von Andie Gabauer. Ob dessen Medaillenpotentials lässt sich freilich streiten.

Medaillenpotential wird zumindest den ÖKB-Assen nachgesagt. Vor allem Bettina Plank (bis 50 kg) und Alisa Buchinger (bis 68). Die eine Vize-Europameisterin 2016, die andere Europameisterin 2015. Erfolge, die im Karate von Qualität zeugen. „Europäische Nationen wie Frankreich, Italien oder Spanien zählen unter anderen zu den international führenden“, weiß Kaserer (bis 67), der 2009 EM-Dritter wurde.

„Mehr für die Funktionäre“

Insgesamt gehen 21 heimische Karateka in Linz auf die Matte. 16 verschiedene Klassen stehen auf dem Programm. Neben dem Kumite (Zweikampf) stehen die Kata (Showkampf) und Para-Bewerbe auf dem Programm.

Bettina Plank und Alisa Buchinger

Die genannten Plank, Buchinger und Kaserer fühlen sich allesamt im Kumite zu Hause. „Die Präsentation und der Aufputz der WM ist nicht so sehr für die Sportler, sondern mehr für die Funktionäre“, spricht Buchinger mutmaßlich stellvertretend für einige ihrer Kollegen. Sie konzentriere sich lieber auf das Sportliche.

Die Salzburgerin, die während der WM ihren 24. Geburtstag feiert, will die Gelegenheit beim Schopf packen, um einmal vor all ihren Verwandten und Freunden ihr Können zu beweisen.

„Gerade bei strittigen Situationen kann das Publikum den Schiedsrichter manchmal beeinflussen“, hofft sie auf den Faktor Heimvorteil.

Weit verbreitet

Doch der Karate-Sport hofft auch noch anderweitig an einen Bedeutungs-Gewinn. Anfang August stimmte das IOC im Rahmen seiner 129. Session dafür, Karate für die Spiele 2020 in Tokio in das olympische Programm aufzunehmen.

Das soll auf allen Ebenen für einen Boost sorgen. Doch wie wird sich das auf eine Sportart auswirken, bei deren WM ohnehin bereits über 120 Nationen am Start sind?

Nur zum Vergleich: Im Alpinen Ski-Weltcup holten in der gesamten Vorsaison gerade einmal 24 verschiedene Nationen Punkte. Bei der WM 2015 nahmen 68 Länder teil.

Bei Karate scheint eine weitere Internationalisierung somit nur noch schwer denkbar. „Es könnten durch neue Förderungen weitere kleine Nationen größer auf den Plan treten“, glaubt Kaserer, der sich bei den Premier-League-Turnieren jetzt schon mit über 100 Startern in seiner Gewichtsklasse herumschlagen muss.

Karate-Unterricht für indische Mädchen

„Ich hoffe, dass auch wir nun Zugang zu neuen Fördertöpfen bekommen“, sagt Buchinger. Erfolge und Persönlichkeiten mit Strahlkraft würden dabei freilich helfen.

Buchinger unterrichtet indische Mädchen

Buchinger hätte das Zeug für beides. Die aktuelle Weltranglisten-Erste ist ohnehin nicht untätig, sich auch abseits der Tatami ein Profil zu verschaffen.

So engagiert sie sich für ein Hilfsprojekt von „Sonne International“ in Bodgaya, einer Stadt im Osten Indiens, wo sie Mädchen in Karate unterrichtet, damit sich diese gegen sexuelle Übergriffe wehren können. Ein Projekt, das heuer für die Wahl zum „Sportler mit Herz“ der Österreichischen Lotterien nominiert ist.

Kastriertes Programm?

Die Freude über die Olympische Chance mischt sich in der internationalen Karate-Familie jedoch mit Befürchtungen über ein kastriertes Tokio-Programm.

„Es heißt, dass im Kumite nur drei Gewichtsklassen pro Geschlecht (zudem je eine in der Kata; Anm.) zugelassen werden“, so Buchinger. Das würde ein mehr oder weniger Zusammenlegen von verschiedenen Kategorien bedeuten. „Bei den Damen würden da wahrscheinlich die beiden teilnehmerstärksten Gewichtsklassen kombiniert werden“, schüttelt sie den Kopf.

Andere Gerüchte besagen, dass wiederum nur zehn (!) Kämpfer pro Kategorie starten dürfen.

Bleibt zu hoffen, dass sich die kürzlich entfachte Olympia-Euphorie nicht rasch in Unzufriedenheit umschlägt.

Da wie dort ist Akzeptanz wohl ein schrittweiser Prozess – und das richtigerweise ganz ohne durchschlagene Tische.


Reinhold Pühringer

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