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Koller muss seine eigene Suppe auslöffeln

2016 darf zwar nicht vergessen, aber es muss überwunden werden. Mit, nicht ohne Marcel Koller.

Koller muss seine eigene Suppe auslöffeln

Winter is coming…

…und das ist gut so. Zumindest für das ÖFB-Team. Das Länderspieljahr 2016 darf zwar nicht vergessen, aber es muss überwunden werden. Mit, nicht ohne Marcel Koller.

Es heißt, die Qualität der Berichterstattung korreliert zu einem beträchtlichen Maß mit dem Niveau des Fußballs in einem Land. Mehr oder weniger hält diese These der Realität in den meisten Fällen stand. Lange Zeit galt das auch für Österreich, wo ein strategisch kopfloses Nationalteam von großteils an Substantiellem desinteressierten Journalisten begleitet wurde. In den letzten Jahren ging die Schere hier auseinander. Das Team legte kontinuierlich an Qualität zu, die Gruppe der Berichterstatter blieb in der Breite substanzlos. Oder sie war zuerst einmal beleidigt, weil kein Wuchteldrucker mehr am Werk war und man nicht mehr bei Tschick und Bier informell mit dem Teamchef plaudern konnte.

Die Erfolge haben diesen subkutan virulenten Zustand lange überdeckt. Jetzt, in Zeiten der sportlichen Talfahrt, kommt das natürlich alles wieder ans Tageslicht. Das alte Misstrauen gegenüber Marcel Koller kommt wieder hervor und die Debatte wird absurd am Thema vorbeigeführt. Die wirklich wichtigen Kritikpunkte, die sich Marcel Koller im speziellen und der ÖFB in seiner Gesamtheit auch verdient hätten, kommen wenn nur am Rande vor. Die Medienlandschaft beschäftigt sich mit Spitzfindigkeiten wie dem „Wimmer-Experiment“ oder der idiotischen „David Alaba-Linksverteidiger-Thematik“. Auf die Idee, die Frage zu stellen, dass auf den Außenverteidigerpositionen seit Jahren ein akutes Ausbildungsdefizit in Österreich vorherrscht, kommen die meisten Kollegen nicht.

"In der ersten Emotion, die letzten Spiele verfolgt habend, könnte man natürlich leicht dazu neigen, der Koller-Ära das „Es war einmal…“ – Schild umzuhängen. Freilich war es auch bisweilen äußerst ärgerlich, wie der Teamchef sich mit der Pleitenserie auseinandergesetzt hat. Mit differenzierter Betrachtung haben solche Impuls-Schnellschüsse allerdings nichts zu tun."

In der ersten Emotion, die letzten Spiele verfolgt habend, könnte man natürlich leicht dazu neigen, der Koller-Ära das „Es war einmal…“ – Schild umzuhängen. Freilich war es auch bisweilen äußerst ärgerlich, wie der Teamchef sich mit der Pleitenserie auseinandergesetzt hat. Mit differenzierter Betrachtung haben solche Impuls-Schnellschüsse allerdings nichts zu tun. Wie immer ist nicht alles schwarz oder weiß, sondern auch Vieles grau. Wenn Kontinuität und das Erarbeiten einer Spielidee vor ein paar Monaten noch der Schlüssel zum Erfolg waren, kann das jetzt nicht bloß noch Sturheit und mangelnde Flexibilität sein. Die Wahrheit liegt in der Mitte. Natürlich wären wahrscheinlich Adaptierungen notwendig gewesen. Umsonst und von alleine kamen die Probleme des ÖFB-Teams nicht. Trotzdem ist die der Status Quo mittlerweile auch deshalb auf einem ungleich höheren Niveau angelangt, weil zumindest vor mittlerweile fünf Jahren jemand begonnen hat an einer Idee zu arbeiten.

Die Probleme dürfen nicht geleugnet werden. Nur müssen die richtigen Probleme genannt werden. Die beginnen bei der Aufarbeitung der verpatzten Europameisterschaft. Ein Newbie darf das erste große Turnier vergeigen. Der ÖFB und ein Routinier wie Marcel Koller müssen damit allerdings anders umgehen. Die Weichzeichner-Aufarbeitung der Misere in Frankreich, das mehr oder weniger Abwälzen der Verantwortung auf die Spieler und das fehlende Spielglück sowie die Abschottungsstrategie über den Sommer und zu Beginn der WM-Qualifikation rächen sich jetzt umso mehr.

Über all dem schwebt eine Kommunikationslinie, eine Eigendarstellung des ÖFB, die nach innen und nach außen die Abwärtsspirale noch zusätzlich beschleunigt haben. Das hat mit einer Vorbereitung auf Frankreich, die weder intern noch auf dem Platz als optimal bezeichnet werden kann, begonnen. Es ist mit lächerlichen Scharmützeln weitergegangen, die der Sportdirektor mit einem TV-Experten-Neuling vor Ort angefangen hat. Nach dem Ausscheiden ist man zur Feststellung gekommen, von Verbands- und Trainerseite ist eigentlich eh alles richtig gemacht worden, es hätte eben am Platz nicht so gut funktioniert. All das hat sich mit der offen gezeigten kommunikativen Einbunkerung von Marcel Koller in der laufenden WM-Quali manifestiert.

"Das Ende der Vogel Strauß-Mentalität ist der wichtigste erste Schritt zur Trendumkehr. Und auf diese gilt es angesichts der bisherigen Verdienste des Chefcoaches weiterhin zu vertrauen. Vor dem nämlich, was sich in einer Ära Post-Koller zusammenbrauen könnte, sollten wir uns tunlichst fürchten."

Der Schweizer wirkte geknickt, nichts mehr zu sehen vom Selbstverständlichkeit im Tun ausdrückenden Nationaltrainer. Keine Spur mehr vom „Drüberstehen“, vom unantastbar auf Kontinuität setzenden Strategen. Koller war beleidigt, der Spirit war weg, der Aufbau auf den eindeutig erreichten Fortschritt hat einen Bruch erlitten. Das alles müssen sich Österreichs erster Fußballtrainer und der Verband anhören und ins Stammbuch schreiben lassen. Das Ende der Vogel Strauß-Mentalität ist der wichtigste erste Schritt zur Trendumkehr. Und auf diese gilt es angesichts der bisherigen Verdienste des Chefcoaches weiterhin zu vertrauen. Vor dem nämlich, was sich in einer Ära Post-Koller zusammenbrauen könnte, sollten wir uns tunlichst fürchten.

Nicht zuletzt stellt sich nämlich folgende Frage: Welche realistische und sinnvolle Variante gäbe es, um den Schweizer zu ersetzen? Nur weil er im Moment manchmal nervt, hat er nicht alle Fähigkeiten verloren, die ihn vor der Europameisterschaft zum Wunderwuzzi gemacht haben. Alle heimischen Trainer von Format – nein, Dietmar Kühbauer, Andreas Herzog oder Werner Gregoritsch sind nicht gemeint – sind prominent in der deutschen Bundesliga engagiert und außerdem wohl noch nicht im richtigen Alter und in der richtigen Karrierephase für diesen Schritt. Irgendwo in Europa laufen ansonsten sicher fähige Leute herum, die gerade nicht anderweitig beschäftigt sind. Aber macht es Sinn in der aktuellen Phase einen solchen zu suchen? Ich denke nicht. Marcel Koller muss die Suppe, die er sich zu einem beträchtlichen Teil selbst eingebrockt hat, auch auslöffeln. Wenn er über den Winter (endlich) an den richtigen Schrauben in seinem Kopf dreht, kann er das auch.

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