Das ÖFB-Team kommt seit der verpatzten Europameisterschaft nicht mehr richtig in die Gänge. Besonders der Teamchef ist zunehmend außer Tritt geraten. Er sollte dringend in eine Phase der Selbstreflexion eintreten, um zu alter Stärke zurückzufinden.
Ein mäßig erfolgreicher Nationalteam-Oktober liegt seit Sonntag hinter uns. Nur ein Punkt aus den beiden Spielen gegen Serbien und Wales. In beiden Spielen wäre auch mehr drinnen gewesen, in beiden Spielen waren aber auch große Teile der ÖFB-Auswahl einigermaßen indisponiert. Der einzige, der im Moment wider aller Umstände Top-Leistungen abruft, ist Marko Arnautovic. Wer allerdings seit der verhauten Europameisterschaft besonders außer Tritt geraten zu sein scheint, ist der Teamchef.
Vorneweg, um das nicht in einem falschen Licht erscheinen zu lassen: Marcel Koller hat Österreichs Nationalteam-Fußball aus dem Mittelalter geholt, in vielerlei Hinsicht. Seit dem Turnier in Frankreich hat der scheinbar ständige Aufwärtstrend aber den einen oder anderen Bruch erlitten. Großteils von Koller selbst verursacht, wohlgemerkt. Um das Team von der Moderne in eine innovative und noch mal einen Schritt weitergehende Zukunft zu führen, fehlt derzeit wieder der eine oder andere Baustein.
Die Höhepunkte des Spiels in Serbien:
(Artikel wird unter dem Video fortgesetzt)
Natürlich ist es aktuell ein Problem, dass einigen Akteuren die Spielpraxis fehlt. Auch sind Serbien und Wales wahrscheinlich im Vergleich zu Russland oder Schweden in der letzten Qualifikation schwerer zu spielen. Marcel Koller hat aber zu Beginn der EURO-Ausscheidung 2014 und davor immer auf Akteure ohne Spielpraxis gesetzt, denen er vertraut. Daran hält er fest und das ist ihm auch nicht vorzuwerfen. Das ist sein Zugang, das weiß man mittlerweile und das wird sich nicht ändern. Das ewige Gerede um den Einsatzort von David Alaba ist ebenso eine Themenverfehlung. Was er im Mittelfeld verloren hat, hat er mit dem Pass auf Arnautovic im Spiel gegen Wales gezeigt. Wen hat Österreich sonst, der auf dieser Position diesen Ball aus dem Fußgelenk holt?
Es geht um etwas anderes. Das Problem ist Kollers Kommunikation zur Situation und seine fehlende Selbstreflexion. Er stellt sich nicht, er duckt sich weg und lamentiert. Er reagiert auf Kritik an seiner Person, die nach den Ergebnissen bei der EURO und dem Länderspieljahr 2016 insgesamt nun einmal gerechtfertigt ist, patzig und ausweichend. Er bedient mehr und mehr den Begriff Glück und erzählt seit dem Ungarn-Match in Bordeaux die Story von dem Stangenschuss, der eben auch hinein gehen hätte können. Wenn nach den letzten Spielen naheliegende Fragen zu Personalrochaden kommen, erzählt er Geschichten von vorher gut absolvierten Partien. Das Festhalten an seinem Stamm sei ihm unbenommen. Aber langsam aber sicher braucht der erste Fußballtrainer des Landes bessere Argumente für sein Tun, sonst wird die Luft immer dünner werden. Und Alessandro Schöpf immer frustrierter. Dass seine Stammelf es ja könne, es nur mental im Moment nicht drauf habe und die „scheiß letzten zehn Meter“ nicht gegangen würden, ist, bei aller Liebe, einfach eine zu dünne Erklärungssuppe.
Marcel Koller wischt jede Kritik an seiner Person vom Tisch und ist auf eine Art und Weise kritikresistent, dass es langsam ärgerlich wird.
Außerdem merkt Koller immer wieder an, er könne der Mannschaft ja nicht einprügeln, es besser zu machen. So auf die Art „ich habe meine Hausaufgaben gemacht, die Wappler am Feld setzen es halt nicht um, was soll ich tun?“. Erstmals zu hören in der Analyse nach der EURO, als er bei sich und dem Betreuerstab keine Fehler finden konnte. Er wischt jede Kritik an seiner Person vom Tisch und ist auf eine Art und Weise kritikresistent, dass es langsam ärgerlich wird. Koller war es offenbar, nach dem Höhenflug im Frühling und der folgenden harten Landung im Turnieralltag im Juni, nicht mehr gewöhnt, mit Vorwürfen konfrontiert zu sein. Er bunkert sich ein, er wiederholt Stehsätze – eine gefährliche Entwicklung. Das führt in letzter Konsequenz zur Perpetuierung der gleichen Fehleinschätzungen und eine Befreiung aus der Abwärtsspirale wird immer schwieriger, je länger diese Phase dauert.
Es lässt sich aus der Ferne nicht beurteilen, wie sehr das an Kollers eigenen, körperlichen Problemen derzeit liegt, aber auch seine ganze Ausstrahlung, seine Körpersprache – um ein ÖFB-Reizwort zu bedienen – sind im Moment eher deprimierend denn erbauend. Koller wirkt angeschlagen, er drückt in keinem seiner Worte Zuversicht aus, auch wenn die Wortbedeutung diese beinhaltet. Er müsste dringend seine Auftritte anders anlegen, auch einmal klipp und klar die Schuld und die Verantwortung auf sich nehmen und somit den Reset-Button drücken. Marcel Koller wehte bei seiner Bestellung ein Sturm von (unbedarfter und unberechtigter) Kritik der Fußballaltvorderen des Landes entgegen. Er hat dem getrotzt, er ist ruhig geblieben und er hat sich gestellt. An den Spirit dieser Tage sollte er sich zurückerinnern, wenn er zurück zu einem Nationalteam für die Zukunft will. Auch wenn es nach einem zwischenzeitigen Höhenflug, inklusive EM-Qualifikation, schwerer ist, als nach dem Übernehmen des ÖFB-Trümmerhaufens Marke Krankl-Constantini.
Jürgen Pucher war Gründungsmitglied der Plattform „sturm12.at“ und hat dort über Jahre hinweg mit seiner Kolumne „12 Meter“ die Diskussionen rund um den Grazer Verein und den österreichischen Fußball extrem bereichert. Nun beschäftigt er sich als Betreiber der Podcast-Plattform "blackfm.at" mit den Geschehnissen bei den Schwarz-Weißen. Bei LAOLA1 verfasst er in regelmäßigen Abständen Gastkommentare zum Geschehen im heimischen Kick.
Kontakt: blackfm1909@gmail.com