Ältere Leser werden sich erinnern: Es hat im österreichischen Fußball Zeiten gegeben, da hätte man als Stammspieler des Tabellen-Vierten der deutschen Bundesliga recht gute Chancen auf Einsätze im Nationalteam gehabt.
Philipp Lienhart zählt derzeit zu jenen Kadermitgliedern, die auf die eher harte Tour erleben müssen, dass sich die Zeiten geändert haben.
In der Amtszeit von Teamchef Franco Foda steht der Freiburg-Legionär, obwohl in dieser Quali halbwegs regelmäßig dabei, noch ohne Einsatzminute da. Sein bislang einziges Länderspiel bestritt er im Oktober 2017 beim 1:0-Sieg in Moldawien, es war die Abschiedsvorstellung von Marcel Koller.
"Ich bin leider immer wieder durch Verletzungen gestoppt worden, habe nie so wirklich einen Rhythmus gehabt. Jetzt geht es mir wieder gut, ich bin fit und probiere natürlich schon, dass ich im Verein so gute Leistungen bringe, dass ich mich wieder fürs Nationalteam empfehle", erklärt Lienhart im Gespräch mit LAOLA1.
Foda: "Lienhart muss mir nichts beweisen"
Das gelingt bis dato gut. In zehn von elf Liga-Partien spielte er für Überraschungs-Team Freiburg durch. Eine Begegnung versäumte er Anfang Oktober verletzungsbedingt und musste in der Folge auch für den Lehrgang des ÖFB-Teams absagen - wieder einmal schlechtes Timing.
"Was Philipp kann und wie wertvoll er in Zukunft auch für das Nationalteam sein wird, ist mir bewusst. Er kann in Dreier- und Viererkette Innenverteidiger, aber auch auf der Sechser-Position spielen, was er bei der U21 oft getan hat. Insofern ist er voll in unserer Planung mit dabei."
Auch wenn er den Abwehrspieler bislang noch nicht aufs Feld geschickt hat, schwört Foda, dass er große Stücke auf ihn hält:
"Lienhart muss mir nichts beweisen. Ich weiß, was er kann. Wir haben ihn oft genug beobachtet", verdeutlicht der Teamchef, "er ist ein junger Spieler. Ich habe auch Gespräche mit ihm geführt. Er hatte das Pech, dass er verletzt war und genau in dieser Phase haben andere Spieler gute Leistungen abgerufen - zuletzt zum Beispiel Stefan Posch. Dann ist klar, dass diese Spieler auch einen kleinen Vorteil haben."
Zudem muss man festhalten, dass es nicht nur Verletzungen waren, die A-Team-Nominierungen verhinderten. Oftmals stand er zeitgleich auch im Kader des U21-Nationalteams, für das er stattliche 30 Einsätze absolviert hat. Bei der U21-Europameisterschaft im Sommer führte er Österreich als Kapitän aufs Feld.
Wertvoll für die Nationalteam-Zukunft
Nun ist es an der Zeit, sich auf A-Team-Level durchzubeißen, und Foda traut ihm dies zu: "Was Philipp kann und wie wertvoll er in Zukunft auch für das Nationalteam sein wird, ist mir bewusst. Er kann in Dreier- und Viererkette Innenverteidiger, aber auch auf der Sechser-Position spielen, was er bei der U21 oft getan hat. Insofern ist er voll in unserer Planung mit dabei."
Das Lettland-Spiel wird für diverse Spieler der zweiten Garnitur zur Bewährungsprobe. Dass dies auch für Lienhart gilt, kann der Teamchef im Vorfeld jedoch nicht versprechen:
"Gerade in der Innenverteidigung weiß ich noch nicht, ob alle zum Einsatz kommen, denn wir haben Aleksandar Dragovic und Stefan Posch dabei, Maximilian Wöber wurde nachnominiert. Stefan Ilsanker hat zuletzt bei Leipzig in der Viererkette Innenverteidiger gespielt. Gerade auf dieser Position haben wir viele Optionen."
Das weiß auch Lienhart, weshalb er lieber nicht mit einem Einsatz spekulieren, sondern sich im Abschlusstraining empfehlen wollte: "Ob ich dann spiele, weiß ich noch nicht. Aber ich hoffe natürlich schon, dass ich Minuten bekomme."
Brutaler Konkurrenzkampf
Posch ist das beste Beispiel, dass auch gutes Timing dazugehört, um in der ÖFB-Hackordnung nach oben zu rutschen. Lienhart war beim Juni-Lehrgang des Nationalteams zwar auch mit von der Partie, kehrte jedoch gerade erst aus einer längeren Pause aufgrund einer Gehirnerschütterung zurück.
Als sich Dragovic in Nordmazedonien verletzte, wurde Posch eingewechselt und schaffte es, jene Plus-Punkte zu sammeln, die ihm im Herbst weitere Länderspiel-Einsätze verschafften. Dass der Konkurrenzkampf auf der Innenverteidiger-Position brutal ist, ist ohnehin bekannt - vor allem agieren die beiden Platzhirschen Dragovic und Martin Hinteregger derzeit sehr konstant.
"Wenn man sich die Innenverteidiger in unserem Kader anschaut und auch die Leute, die nicht dabei oder bei der U21 sind, glaube ich schon, dass wir sehr viel Qualität haben. Wir haben auch einige sehr junge Spieler, die aber schon relativ viel Erfahrung haben. Daher ist es sehr schwierig, dass man spielt", weiß Lienhart.
Man darf annehmen, dass der 23-Jährige sich mit Akteuren wie Posch, Wöber, Kevin Danso oder Marco Friedl auf Jahre hinaus einen Konkurrenzkampf im Nationalteam liefern wird.
Ob Foda ihn um Geduld bittet? "Er führt natürlich auch mit mir Gespräche. Geduld ist immer wichtig - nicht nur hier, das war auch in Freiburg wichtig, als ich verletzt war. Jetzt muss ich eben auf die Chance warten. Wenn ich sie kriege, will ich natürlich da sein. Wenn es in Lettland ist, ist es in Lettland. Wenn es noch länger dauert, dann muss ich warten."
Das Phänomen Freiburg
Auch in Freiburg hatte Lienhart in seinen ersten beiden Saisonen mit mühsameren Phasen zu kämpfen, auch dort immer wieder aufgrund von Verletzungen. Aktuell ist er jedoch fester Bestandteil des Höhenflugs auf den vierten Platz.
"Ich war dort in der Jugend beziehungsweise der zweiten Mannschaft, daher glaube ich nicht, dass der Druck irgendwie gestiegen ist. Es war eine gute Entscheidung, dass ich zu Real Madrid gegangen bin."
"Wir haben im Moment auch ein bisschen Spielglück dabei. Wir arbeiten sehr gut und machen aus eigentlich nicht so vielen Chancen viele Tore. Das zeichnet uns gerade aus", begründet er den Erfolgslauf.
Basis des Phänomens Freiburg seien die altbekannten Tugenden: "Es ist einfach ein Verein, der sehr familiär ist. Jeder kennt jeden und jeder kämpft auch für jeden. Man sieht am Platz, dass die Mannschaft eine Einheit ist."
Die deutsche Bundesliga verzeiht keine Fehler
Und natürlich gibt es mit Christian Streich einen Trainer, den man als Original bezeichnen kann: "Der Trainer lebt diese Bodenständigkeit natürlich vor. Es ist einfach schön, in diesem Verein zu spielen. Es macht Spaß und ich fühle mich sehr wohl dort."
Dass Lienhart Stammspieler bleiben möchte, versteht sich von selbst. Gleichzeitig würde es noch einige Dinge geben, an denen er arbeiten und sich weiter verbessern kann. Wo er in seiner Zeit in Deutschland bislang die größten Sprünge gemacht habe?
"In der deutschen Bundesliga ist es natürlich noch einmal ein anderes Tempo als davor in Spanien in der dritten Liga, auch vom Körperlichen her geht es anders zu, das Zweikampfverhalten ist noch einmal schwieriger. Es wird so gut wie jeder Fehler bestraft, also sollte man wenn möglich keine machen."
Real Madrid war eine gute Entscheidung
Die Zeit in Spanien ist es, mit der viele Fans in Österreich Lienhart nach wie vor in Verbindung bringen. Im Sommer 2014 eiste Real Madrid den damals 18-Jährigen von Rapid los. Er verbrachte drei Jahre in Spaniens Hauptstadt.
Real im Lebenslauf stehen zu haben, ist natürlich außergewöhnlich. Aber ob er dadurch auch mit gestiegener Erwartungshaltung an seine Person konfrontiert war?
"Ich war dort in der Jugend beziehungsweise der zweiten Mannschaft, daher glaube ich nicht, dass der Druck irgendwie gestiegen ist. Es war eine gute Entscheidung, dass ich dort hingegangen bin. Ich habe dort viele Sachen gelernt, es war auf jeden Fall cool."
Besonders in Erinnerung seien ihm die Trainings mit den Profis und dass er im Sommer 2016 mit der ersten Mannschaft mit ins Trainingslager nach Kanada durfte: "Das war ein Highlight."
Zwei Europameisterschafts-Highlights in einem Jahr
Im Idealfall wird auch die EURO 2020 ein Highlight in der Karriere des Niederösterreichers. Dass die Qualifikation gelungen ist, sei "etwas Außergewöhnliches". Außergewöhnlich ist auch, dass es binnen eines Jahres nach der U21-EM seine zweite Europameisterschaft wäre.
"Turniererfahrung ist immer etwas Schönes", grinst Lienhart, "wobei ich glaube, dass man U21 und A-Team wahrscheinlich trotzdem nicht vergleichen kann, weil es schon noch einmal eine andere Stufe ist. Aber die EM im vergangenen Sommer war definitiv ebenfalls ein Karriere-Highlight. Es hat wirklich Spaß gemacht, dass ich dort spielen habe dürfen."
Jetzt muss nur noch im A-Team ebenso der Spaß beginnen und Lienhart spielen dürfen.