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Serie der Träume

Fiorentina, Inter, Roma und Napoli träumen vom Titel. Das sind die Hintergründe.

Serie der Träume


Es ist eine dieser Saisonen, in denen einfach alles möglich scheint.

In den vergangenen Jahren wurde nur darüber spekuliert, wer Juventus denn ein bisschen ärgern kann. Doch diesmal ist alles anders. „Ohne einen Boss“, beschrieb „La Repubblica“ die Lage der Liga unlängst treffend.

Nach den Abgängen von Andrea Pirlo, Carlos Tevez und Arturo Vidal ist die „Alte Dame“ verwundbar. Der Serien-Meister hat einen Fehlstart in die Serie A hingelegt – nur vier Siege aus elf Spielen.

Während sich die Turiner in ihnen unbekannten Tabellenregionen bewegen, dürfen andere Klubs vom ganz großen Coup träumen. Die Chance, den Scudetto zu holen, ist groß wie nie. Die Serie A verspricht ein spannendes Titelrennen, in dem einige Klubs bis zum Ende mitreden könnten.

LAOLA1 sieht sich die aktuellen Top 4 der Serie A genau an und erklärt die Hintergründe.

Die Stimmung war im Sommer am Tiefpunkt. Trainer Vinzenco Montella, den sie seit seinem Amtsantritt im Sommer 2012 so sehr ins Herz geschlossen hatten, sah die Ambitionen des Klubs seinen eigenen weit hinterherhinken. Also machte „L’aeroplanino“ (das kleine Flugzeug) den Abflug. Die Eigentümer-Familie Della Valle, musste im Dezember 2014 ordentlich schlucken, als die Jahresbilanz ein Minus von 37 Millionen Euro auswies. Dermaßen rote Zahlen wurden seit der Übernahme 2002 noch nie geschrieben. Also wurde ein Sparkurs verordnet. Sehr zum Unmut der Fans. Die Tifosi der „Viola“ bezichtigten die Führungskräfte des „Schaufenster-Shoppings“ – der Klub würde sich zwar (am Transfermarkt) wie ein Kunde benehmen, in Wahrheit wäre man aber nur Bettler.

Neto weg, Joaquin weg, Stefan Savic weg, Alberto Aquilani weg. Und auch noch Mohamed Salah weg. Obwohl der Ägypter, der im Frühjahr so viel Zauber versprüht hatte, nach Ziehen der Kaufoption eigentlich bleiben hätte müssen, kam er nach dem Sommer nicht mehr zurück nach Florenz und wechselte schließlich von Chelsea zur Roma. Dass dann mit Paulo Sousa auch noch ein ehemaliger Spieler von Erzrivale Juventus auf die Trainerbank gesetzt wurde, war der finale Stich ins Herz der Fans.

Wie es im Fußball aber eben so ist, heilen die Wunden der Fans schnell, wenn die Ergebnisse stimmen. Und das taten sie von Anfang an. Sechs Siege aus den ersten sieben Spielen feierte die Fiorentina. Und das in spektakulärer Art und Weise. Ein Großteil der Experten bewertet den Stil der Viola als attraktivsten der Liga. Sousa, der übrigens schon im Sommer von Montellas Verpflichtung Plan B war, hat dem oftmals öden Ballbesitzspiel der vergangenen Jahre Dynamik verpasst. Vertikal statt horizontal, so das Motto.

Und plötzlich erwacht ein alter Held zu neuem Leben. Während die „Sim Salah Bim“-Fanartikel nämlich längst eingemottet wurden, entwickeln sich die Shirts mit Borja Valeros Konterfei wieder zum Renner. 91,1 Prozent angekommene Pässe, 2,5 Torschussvorlagen pro Partie – der 30-jährige Spanier, der nunmehr eine offensivere Rolle im Mittelfeld bekleidet, spielt in Höchstform. Der Kroate Milan Badelj und der Uruguayer Matias Vecino bilden hinter ihm die am meisten unterschätzte Doppel-Sechs der Liga. Der Slowene Josip Ilicic schwenkt erstmals seit seiner Ankunft in Florenz vor etwas mehr als zwei Jahren am schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn wesentlich öfter zum Genie. Und Nikola Kalinic, für 5,5 Millionen Euro von Dnjepropetrovsk gekommen und sofort als unbrauchbares Schnäppchen, als Verlegenheitskauf abgetan, übertrifft mit sechs Toren und drei Assists locker alle Erwartungen.

Die knappen 1:2-Niederlagen gegen Napoli und die Roma lassen aber noch daran zweifeln, ob die Fiorentina über die nötige Konstanz verfügt, um dauerhaft ganz oben mitzuspielen. Zudem hat sich in den vergangenen paar Tagen offenbart, dass die Gräben zwischen den Della Valles und dem harten Kern der Fans immer noch tief sind.

Roberto Mancini hatte sie an bessere Zeiten erinnert, als er Mitte November 2014 seine Rückkehr auf die Trainerbank von Inter bekanntgab. Er war der letzte Meistertrainer der „Nerazzurri“ vor Jose Mourinho. Die Zeit nach dem Abgang des Portugiesen war von einer Reihe von Trainer-Missverständnissen geprägt. Leonardo, Gian Piero Gasperini, Claudio Ranieri, Andreas Stramaccioni, Walter Mazzarri – es hatte schon den Anschein, als würde überhaupt kein Trainer zu den Mailändern passen.

Die jüngsten Endplatzierungen – Sechster, Neunter und Fünfter – ließen den letzten italienischen Champions-League-Sieger ins Mittelmaß abrutschen. Zudem hatte der Klub durch den Rückzug von Massimo Moratti und die gleichzeitige Machtübernahme des indonesischen Geschäftsmannes Erick Thohir einen Teil seiner Identität verloren. Wer erwartet hatte, Thohir würde fortan mit Geld um sich schmeißen, wurde enttäuscht. Große Investitionen wie die 31 Millionen Euro für Monacos Geoffrey Kondogbia blieben die absolute Ausnahme.

Nichtsdestoweniger wurde die Mannschaft einerseits verjüngt und andererseits schlau verstärkt. Ivan Perisic, Davide Santon, Jeison Murillo, Miranda, Adem Ljajic und Stevan Jovetic sind allesamt Stammspieler und haben – vergleicht man ihre Ablösen mit jenen, die in England gezahlt werden – fast nichts gekostet. Aktuell steht Inter mit 24 Punkten aus elf Spielen ex aequo mit der Fiorentina an der Spitze. Im Gegensatz zu den Toskanern begeistern die „Nerazzurri“ aber niemanden. Das Torverhältnis von 11:7 verdeutlicht, dass derzeit kein anderes Team der Serie A so typisch italienisch spielt wie Mancinis Inter. Sechs 1:0-Siege wurden bisher eingefahren, abgesehen von der 1:4-Klatsche daheim gegen die Fiorentina hat das Team nie mehr als einen Gegentreffer kassiert, sieben Mal hielt Samir Handanovic sein Tor sauber.

Es sind hart erkämpfte Arbeitssiege. Das reicht, um fleißig Punkte zu sammeln, führt aber auch innerhalb des Teams zu Unzufriedenheit. Mauro Icardi, in der Vorsaison noch Schützenkönig, ätzt: „Es ist eine Schande! Ich habe in zehn Spielen vier vernünftige Pässe bekommen.“ Ljajic sagte nach dem jüngsten 1:0 gegen die Roma: „Hoffentlich spielen wir ab jetzt besser.“

Als die Italo-Amerikaner Thomas DiBenedetto und James Pallotta gemeinsam mit zwei weiteren Partnern im Frühjahr 2011 die Roma erwarben, wurden sie zunächst eher verhalten empfangen. Die Partnerschaft des Klubs mit Disney, das klein wenig Herumbasteln am Logo – Fußball-Puristen fürchteten die Amerikanisierung des Calcio.

Auch sportlich lief das Engagement bescheiden an. Zwei Sommer in Folge wurde eine Revolution ausgerufen. Aber angesagte Revolutionen finden eben auch in der ewigen Stadt nicht statt. Luis Enrique, von Barcas B-Team geholt, bezahlte als junger Trainer Lehrgeld. Die Legende Zdenek Zeman konnte ein Jahr darauf nicht beweisen, dass ihr Harakiri-Offensiv-Stil dauerhaft erfolgreich sein kann. Die dritte Wahl fiel wesentlich nüchterner aus und erwies sich letztlich als die richtige. Mittlerweile sitzt der Franzose Rudi Garcia in seiner dritten Saison auf der Trainerbank der „Giallorossi“. So lange hat es zuletzt Luciano Spalletti (2005-2009) ausgehalten.

Die kontinuierliche Arbeit macht sich bezahlt – zwei Mal in Folge wurde die Roma Vizemeister. Das ist nicht zuletzt ein Verdienst von Walter Sabatini. Der Sportdirektor, seit 2011 im Amt, ist vor einigen Transferzeiten zur Hochform aufgelaufen und hat seither nicht mehr nachgelassen. Entgegen seiner Angewohnheiten hat er 2014 einen neuen Dreijahres-Vertrag unterschrieben – so lange hat sich Sabatini noch nie an einen Klub gebunden. Die Roma tut jedenfalls gut daran, den alten Fuchs zu hegen und zu pflegen. Immerhin hat er es diesen Sommer geschafft, trotz der Verpflichtungen von Mohamed Salah, Iago Falque, Lucas Digne, Antonio Rüdiger, Edin Dzeko und Wojciech Szczesny ein Transferplus von über 20 Millionen Euro rauszuholen.

Das hat den ohnehin schon ausgezeichnet besetzten Kader in der Breite noch einmal verstärkt. 13 verschiedene Torschützen haben bisher für 25 Treffer, die meisten in der Liga, gesorgt. Die Offensivwaffen sind denkbar vielseitig – der pfeilschnelle Dribblanski Salah, der groß aufspielende Mittelfeldmann Miralem Pjanic, der in England als Chancentod und seit dem vergangenen Sommer als Gierschlund verschriene Gervinho, der regelmäßig trifft, und die große Stärke bei Standards, aus denen schon acht Treffer erzielt wurden. Diese Roma ist der wohl heißeste Titelkandidat.

In Neapel schütteln sie immer noch den Kopf, wenn sie daran denken, dass Rafa Benitez den Job als Trainer von Real Madrid bekommen hat. Im Süden Italiens steht der spanische Coach für das Zerplatzen von Träumen. Vizemeister waren sie gewesen, als Benitez im Sommer 2013 die Nachfolge von Walter Mazzarri angetreten hatte. Der Plan: Mit dem Mann, der Liverpool zum CL-Triumph geführt hatte, Juventus an der Spitze angreifen. 2013/14 wurde Napoli Dritter und holte immerhin die Coppa, im Jahr darauf standen am Ende 15 Punkte weniger auf dem Konto als in Benitez‘ erster Saison, Platz fünf war eine bittere Enttäuschung.

Ein Klub, geprägt von der unstillbaren Sehnsucht nach dem Meistertitel. 1987 und 1990 hat es geklappt – mit Diego Maradona, dem Mann, den sie in dieser Stadt wie einen Heiligen verehren. „Napoli erschreckt mich. So wie die spielen, beenden sie die Saison nicht einmal im Tabellen-Mittelfeld“, hat Maradona nach den ersten drei Spielen der laufenden Meisterschaft gesagt. Da war das Team noch sieglos, hatte nur zwei Zähler am Konto. „Maradona kann sagen, was immer er will. Er ist mein Idol und wird es immer bleiben“, entgegnete Maurizio Sarri.

Der 56-Jährige ist seit diesem Sommer Napoli-Coach. Es ist seine zweite Saison in der höchsten Spielklasse, nachdem er 2014 mit Empoli aufgestiegen war und im ersten Jahr für Furore gesorgt hatte. Unter all den ehemaligen Weltklasse-Kickern mit ihren zig Länderspielen ist der unweit von Napoli geborene und in der Toskana aufgewachsene Trainer die Ausnahme. Der Kettenraucher hat als Coach ganz unten begonnen. 1990 stand Sarri bei der U.S. Stia erstmals an der Seitenlinie – in der neunthöchsten Spielklasse des Landes, irgendwo im Nirgendwo. Seine Brötchen verdiente sich der Sohn eines talentierten Hobby-Radfahrers in der Bank Montepaschi, wo er in führender Funktion arbeitete. Erst elf Jahre später war der Trainer in der fünften Liga angekommen, beschloss, sich fortan auf den Fußball zu konzentrieren und kündigte seinen Job.

Liga für Liga stieg Sarri auf, es waren stets kleine Schritte zum nächstgrößeren Verein. Bis er mit Empoli ganz oben ankam. Ob er denn sauer sei, der schlechtbezahlteste Trainer der Liga zu sein, wurde der 56-Jährige in der Vorsaison gefragt. „Sauer!? Die bezahlen mich für etwas, was ich gratis machen würde“, lachte er. Der Aufsteiger ist vom Calcio besessen. Dem Zufall wird nichts überlassen. „Mr. 33 schemi“ nennen sie ihn seit seiner Zeit in der sechsten Liga, als er die Amateure von Sansovino 33 verschiedene Varianten für Standardsituationen einstudieren ließ. Nicht nur durch seine Vita, auch durch sein Auftreten passt der Napoli-Coach nicht so recht in die Serie A. Sarri gibt nur ungern Interviews, lässt sich selten zu großen Worten hinreißen und hasst die allgegenwärtigen Talk-Runden, in denen stundenlang über den Transfermarkt spekuliert wird. Zudem wird er wegen der überaus offensiven Spielweise, die seine Teams pflegen, immer ein wenig kritisch beäugt.

Maradonas Kritik war jedenfalls so etwas wie der Startschuss für Sarris Napoli. Sechs Siege wurden in den vergangenen acht Runden eingefahren – darunter beeindruckende Vorstellungen gegen Lazio (5:0) und Milan (4:0). Gonzalo Higuain (10 Tore) trifft fast nach Belieben, Lorenzo Insigne, ein echter Neapolitaner, blüht auf und bekommt nun endlich die Liebe der Massen, nach der er seit seiner Rückkehr aus Pescara 2012 so sehr gelechzt hat, und Marek Hamsik hat die Lust am Kicken, die er unter Benitez verloren hatte, wiedergefunden. Dieses Team hat das Zeug, die Sehnsucht der Massen zu stillen.

Harald Prantl

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