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Salihamidzic: Von der Reizfigur zum Mastermind

Der 45-Jährige hatte bei den Fans des FC Bayern nicht immer einen leichten Stand:

Salihamidzic: Von der Reizfigur zum Mastermind Foto: © getty

Seit Hasan Salihamidzic 2017 als Sportdirektor des FC Bayern München die Nachfolge von Matthias Sammer antrat, ist viel passiert.

"Salihamidzic muss liefern. Die Zeiten, in denen der Sportvorstand des FC Bayern München als unumstritten galt, sind vorüber", titelte etwa "Eurosport" noch im Februar 2022. Ein derartiger Umgangston war in der deutschen Medienlandschaft noch bis vor wenigen Monaten "State of the Art."

Ein weiteres Sommertransferfenster ohne brauchbare Verstärkungen hätten dem 45-jährigen Ex-Profi der Münchner, der in seiner aktiven Zeit 363 Spiele für den FCB absolvierte, zum Verhängnis werden können. Sowohl Hansi Flick als auch Nachfolger Julian Nagelsmann machten "Brazzo" immer wieder unmissverständlich klar, dass sie seine Kaderplanung kritisch beäugten.

Mane- und de-Ligt-Deals: Der wahre Salihamidzic?

Mit Sadio Mane und Matthijs de Ligt gelang es dem immer wieder in der Kritik gestandenen Sportvorstand diesen Sommer echte Weltstars an die Isar zu holen, und dies ohne die zu erwartenden dreistelligen Ablöseforderungen oder Ausstiegsklauseln der Konkurrenz zu bezahlen.

"Brazzo", was im Bosnischen so viel wie "Brüderchen" bedeutet, erwies sich in den Gesprächen mit Juventus und dem FC Liverpool als knallharter Verhandlungspartner. Beide Stars kosteten die Münchner zusammen nicht einmal 100 Millionen Euro Ablöse. Auch in der Breite gelangen mit Ryan Gravenberch und Noussair Mazraoui Verpflichtungen, die den Kader der Münchner für die Zukunft wappnen sollen.

Ganz zu schweigen davon, dass Salihamidzic mit Mathys Tel, der in der französischen Presse bereits als "nächster Mbappe" gefeiert wird, schon den nächsten hochinteressanten Transfer eingetütet hat.

Kriegsflüchtling findet früh "Bayern-Connection"

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Der junge Hasan Salihamidzic beginnt vergleichsweise spät damit, sich im Verein seiner Heimatstadt Jablanica zu engagieren. Zum Zeitpunkt seines Einstiegs in den Jugendfußball, im damals noch zu Jugoslawien gehörenden Bosnien-Herzegowina, ist der beidfüßig starke Rechtsaußen bereits zehn Jahre alt.

1992 wird die Karriere des damals 15-Jährigen zum Spielball der internationalen Geschehnisse: Der Jugoslawien-Krieg nimmt seinen Einzug in Bosnien und die Eltern des Teenagers schicken ihn zu Verwandten nach Hamburg. Dort spielt Salihamdizic erst bei den Amateuren des HSV, bevor er in der Saison 1995/96 Teil des Profikaders wird.

1998 läuft der Vertrag des Mannes aus, der in der Zwischenzeit bereits ein integraler Bestandteil der bosnischen Nationalmannschaft wurde, und Top-Klubs strecken die Fühler nach dem 21-Jährigen aus. Trotz Angeboten des FC Barcelona, Manchester United und Borussia Dortmund entscheidet sich Salihamidzic für Bayern München.

In seiner Jugend hatte "Brazzo" den FCB 1991 live gesehen und sich verguckt, obwohl es gegen Roter Stern Belgrad im Europacup für den deutschen Rekordmeister nur zu einem 2:2 reichte.

Volles Trophäenkabinett

Salihamidzic bleibt bis 2007 an der Isar und absolviert in dieser Zeit 363 Spiele für den FC Bayern, in denen der gebürtige Bosnier 47 Tore selbst erzielt und 53 weitere vorbereitet. Während seiner Zeit in München gewinnt "Brazzo" nahezu jede erdenkliche Trophäe, die man im Vereinsfußball gewinnen kann.

Sechs deutsche Meisterschaften, vier DFB-Pokal-Siege und 2000/2001 sogar die Champions League. In Bosnien wird er in dieser Phase seiner Karriere vier Mal zum Fußballer des Jahres gewählt.

Salihamdizic, für den kein einziges Mal in seiner Karriere eine Ablöse bezahlt wurde, verlässt die Münchner 2007 und heuert bei Juventus an, das den Vertrags des Bosniers nach vier Jahren nicht verlängert. Nach einer Abschlusssaison in Wolfsburg folgt das Karriereende.

"Mehr bewegt als meine Vorgänger in ihrer gesamten Amtszeit"

 

"Aus heutiger Sicht hätte es vielleicht nicht sein müssen, einem so verdienten Spieler, wie David einer war, eine Deadline zu setzen." 

Salihamidzic über David Alaba

Als Funktionär zog es den Wahl-Münchner an seine alte Wirkungsstätte zurück. 2017 wurde Salihamidzic als Nachfolger von Matthias Sammer zum Sportdirektor ernannt.

In seiner Anfangszeit soll "Brazzo" auf Karl Heinz Rumenigge gewirkt haben wie "ein junger Uli Hoeneß". Der damalige Klubpräsident gilt auch heute noch als einer der größten Fürsprecher Salihamidzics und steht stets auf der Matte, wenn sein Schützling öffentlich kritisiert wird.

An Selbstbewusstsein mangelte es beim Neo-Sportdirektor schon damals nicht. "Ich habe wahrscheinlich mehr bewegt als meine Vorgänger in ihrer gesamten Amtszeit beim FC Bayern", schoss "Brazzo" nach wenigen Monaten gegen seine Amtsvorgänger.

Flick-Unstimmigkeiten, Pfiffe für "Brazzo"

Vor allem diese unverblümte Art war es auch, die dem 45-Jährigen in der Münchner Führungsriege Feinde machte. Unvergessen ist das angespannte Verhältnis zu Hansi Flick, welches Salihamidzics Sessel in der Chefetage gehörig ins Wanken brachte. Die Transfer-Wünsche Flicks wurden in seiner Münchner Zeit nur unzufriedenstellend von Salihamidzic berücksichtigt, auch mit der Forderung auf ein Veto-Recht in Sachen Transfers stieß er beim Sportdirektor auf taube Ohren.

"Wir brauchen auf jeden Fall noch Verstärkungen", forderte Flick bereits drei Monate nach seinem Amtsantritt im Winter 2019 Salihamidzic zum Handeln auf. Der holte in den finalen Wochen des Wintertransferfensters 2019/20 mit Alvaro Odriozola lediglich einen Rechtsverteidiger, welcher sich als totaler Flop entpuppte und in der Rückrunde nur 179 Minuten für die Münchner abspulte.

Das Zerwürfnis zwischen Trainer und Sportvorstand soll auch dem Wunsch zur Vertragsauflösung Flicks im Sommer 2021 Nachdruck verliehen haben. Mit sieben Titeln nach anderthalb Jahren im Gepäck wanderte Flick zur deutschen Nationalmannschaft ab.

Für Ruhe sorgte dies allerdings nicht. Noch bei der ersten Meisterfeier unter der Ägide von Julian Nagelsmann im Mai diesen Jahres wurde Salihamidzic von rund 1000 Bayern-Anhängern ausgepfiffen. Während alle anderen Lob und Applaus ernteten, setzte es für den Sportvorstand Buh-Rufe und Pfiffe. Der Anhang hatte sich aufgrund der Lewandowski-Causa auf den 45-Jährigen eingeschossen.

Doch auch schlampiges Vertragsmanagement brachte die Fans in Rage. Innerhalb eines Jahres zogen drei Stamm-Innenverteidiger ab, ohne einen roten Heller in die Vereinskasse zu spülen. Mit Niklas Süle habe sich der Sportvorstand während seiner gesamten Zeit in München "nicht ein einziges Mal richtig unterhalten", Jerome Boateng und ÖFB-Teamspieler David Alaba zogen aus anderen Gründen weiter. Heute ist Salihamidzic einsichtig: "Aus heutiger Sicht hätte es vielleicht nicht sein müssen, einem so verdienten Spieler, wie David einer war, eine Deadline zu setzen." 

"Macht seine Arbeit ausgezeichnet"

"Uli Hoeneß weiß, dass es gut für mich ist, mich in meiner Rolle zu emanzipieren, auch von ihm"

Hasan Salihamidzic

Sollten sich die Münchner auch in dieser Saison den Meistertitel unter den Nagel reißen, wird Salihamidzic als Architekt des Erfolgs seine Anerkennung finden.

Mit Mathijs de Ligt (67 Millionen), Sadio Mane (32 Millionen), Mathys Tel (20 Millionen), Ryan Gravenberch (18,5 Millionen) und Noussair Mazraoui (ablösefrei) hat der Sportvorstand der Bayern den schmerzenden Abgang von Top-Torjäger Robert Lewandowski - zumindest am Papier - mehr als wettmachen können.

Für seine Arbeit wurde der 45-Jährige von Klubpräsident Herbert Hainer geadelt. "Er hat mit seinem Team bisher alle Ziele erricht, die wir gemeinsam formuliert hatten. Dafür kann es nur die Bestnote geben". Wenig verwunderlich laufen an der Säbener Straße bereits die Verhandlungen über einen neuen Vertrag an. "Ich wünsche mir, dass Hasan weitermacht", verriet Hainer.

"Hätte mich klarer positionieren müssen"

Salihamidzic hat sich ein neues Profil gegeben, sich neu erfunden. "Uli Hoeneß weiß, dass es gut für mich ist, mich in meiner Rolle zu emanzipieren, auch von ihm", meint der 45-Jährige gegenüber "Der Zeit".

In der Vergangenheit habe "Brazzo" zu sehr versucht, es allen recht zu machen, dadurch sei das Bild entstanden, dass er "rumeiere". "Im Rückblick lässt sich sagen, dass ich mich klarer hätte positionieren müssen", meint der Wahl-Münchner.

Stellen sich mit dem aufgefrischten Kader in der kommenden Saison die zu erwartenden Erfolg ein, wird der Sportvorstand den Bayern wohl noch lange erhalten bleiben. In diesem Fall kann Hasan Salihamidzic auch zukünftig sein Hobby zum Beruf machen und jenen Verein, den er 1991 erstmals sah, auch als Funktionär zu weiteren Titeln führen.



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