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"Welches Business hat nicht seine Scheinwelten?"

LAOLA1-Talk verdeutlicht, warum der "schlechte Verlierer" Julian Baumgartlinger ein Musterschüler ist:

Der Spruch, dass Österreich mit elf Julian Baumgartlingers den EURO-Auftakt gegen Ungarn nicht verloren hätte, ist inzwischen ein geflügeltes Wort.

Und womöglich ein richtiges: Denn der 28-Jährige war der beste ÖFB-Kicker auf dem Platz und präsentiert sich als einer der wenigen Österreicher in EM-Form.

Natürlich wurde er auch schon persönlich mit der Elf-Baumgartlingers-Theorie konfrontiert. Seine trockene Reaktion: "In meinem Spiel wären noch Sachen zu verbessern gewesen."

Wer sich folgendes LAOLA1-Interview zu Gemüte führt, könnte verstehen, warum der "schlechte Verlierer" und "sehr selbstkritische Mensch" derart wenig selbstzufrieden tickt, warum er für seine Trainer ein Musterschüler ist und wie ihn die Auseinandersetzung mit seinem Beruf antreibt. 

LAOLA1: Über den Fußballer Julian Baumgartlinger weiß man viel, über den Menschen Julian Baumgartlinger weniger. Was beschäftigt dich abseits vom Fußball?

Julian Baumgartlinger: Es ist ein sehr zeitintensiver Beruf, ich bin schon sehr eingespannt. Es gibt aber natürlich auch ein Leben abseits des Fußballs, das mir wichtig ist. Ich bin ein sehr familiärer und heimatverbundener Mensch, bin gerne in meinem Heimatort Mattsee bei meiner Familie, aber auch mit München und Wien, wo ich zwischenzeitlich gelebt habe, verbinde ich positive Zeiten. Ich versuche immer wieder, dort Zeit mit Weggefährten und Freunden zu verbringen.

LAOLA1: Du hast den Großteil deines Lebens nicht in Österreich verbracht. Verändert das den Blick aufs Land?

Baumgartlinger: Ich glaube schon. Wenn man mal alles von außen betrachten und über den Tellerrand hinausschauen kann, kriegt man immer ein bisschen andere Einblicke und sieht, wie es in anderen Ländern funktioniert. Selbst in einem Land wie Deutschland, das Österreich sehr ähnlich erscheint, gibt es andere Ansichten, Mentalitäten und Eigenschaften, die gut aber auch schlecht sein können. Das habe ich früh zu schätzen gelernt, als ich aus Österreich nach München gekommen bin – alleine schon das andere Schulsystem. Eine andere Sprache wäre jetzt übertrieben (lacht), aber natürlich musste ich mich Hochdeutsch unterhalten, weil man mich sonst nicht verstanden hätte.


LAOLA1: Ist es für dich vorstellbar, in Deutschland zu bleiben, nachdem du so viele Jahre deines Lebens dort verbracht hast, oder ist es fix, dass du nach Österreich zurückgehst?

Baumgartlinger: Es ist wirklich schwierig, zehn Jahre in die Zukunft zu schauen. Ich kann mir relativ viel vorstellen. Dass ich in Österreich lebe, dass ich in Deutschland lebe, ich kann mir auch vorstellen, dass ich dazwischen lebe und überall ein bisschen mein Zuhause habe. In erster Linie wird mein Lebensmittelpunkt davon abhängen, was ich nach der Karriere mache. Das kann ich jetzt noch nicht abschätzen.

LAOLA1: Oder ein ganz anderes Land? Christian Fuchs hat den großen Traum von der NFL. Ich weiß, dass du großer NFL-Fan bist. Würde dich das reizen?

Baumgartlinger: Das ist sehr unrealistisch. Für mich ist das kein Thema, das ist so weit hergeholt. Wenn man es forcieren will, und Christian macht das ja offensichtlich, soll man das machen. Aber für mich gibt es andere wichtige Themen. Ich werde mich auf andere Sachen spezialisieren.

LAOLA1: Welche Sportarten abseits vom Fußball taugen dir besonders?

Baumgartlinger: Sport beherrscht sehr viel in meinem Leben. Meine Eltern hatten meine Schwester und mich sehr früh beim Sport dabei. Wir sind mit drei auf Skiern gestanden, waren Wandern, Radfahren, ich habe viel Leichtathletik und alles Mögliche gemacht. Ich bin nach wie vor in allen Bereichen sehr interessiert, zum Beispiel eben die US-Sportarten. Ich habe zwar noch nie in meinem Leben Golf gespielt, aber auf einmal habe ich angefangen, mir Golf anzuschauen. Früher habe ich geglaubt, das ist das Langweiligste, was es gibt, dem ist aber überhaupt nicht so. Ich versuche dann auch oft, alles selbst zu machen. Wenn ich etwas im Fernsehen sehe, möchte ich immer probieren, ob ich es selbst auch kann.

LAOLA1: Im Mittelpunkt steht natürlich der Fußball. Inzwischen bist du seit rund einem Jahrzehnt im Profi-Business. Ist der Fußball noch das Hobby, das du dir als Kind ausgesucht hast und das dann zum Beruf geworden ist?

Baumgartlinger: Beides. Man merkt in einer Trainingswoche immer wieder, dass es noch ein Hobby ist und man sich aufs Kicken freut. Gerade jetzt im Frühling und Sommer, wenn draußen die Sonne wieder scheint, weiß man seinen Arbeitsalltag noch mehr zu schätzen. Wenn es Richtung Bundesliga-Spieltag oder Nationalmannschaft geht, darf man nicht vergessen, dass ein gewisser Leistungsdruck da ist. Der lässt sich nicht verleugnen und erinnert einen auch immer daran, dass es doch ein Business und eine Arbeit ist, und es empfehlenswert ist, das eine oder andere Spiel zu gewinnen. Dann ist dieser Hobby-Aspekt ein wenig zur Seite gerückt, aber immer noch da.


LAOLA1: Braucht man Mechanismen, um mit diesem Druck umgehen zu können?

Baumgartlinger: Bestimmt! Ich habe mir natürlich meine eigene Umgangsweise damit angeeignet. Da ich schon länger dabei bin, habe ich das auch lernen müssen. Man steigert sich Step by Step von 100 Zuschauern zu 500, 1000, 1500, das summiert sich dann immer weiter. Mit diesen kleinen Schritten geht auch der Druck einher, man muss sich anpassen. Du merkst, es wird immer mehr auf dich geschaut. Heutzutage habe ich meine Art, damit umzugehen. Trotzdem spürt man’s. Es ist nicht so, dass ich sagen könnte, ich spüre keinen Druck mehr. Das wäre auch falsch. Dann fehlt dir die Spannung vor jedem Spiel. Die ist auch schön und macht Spaß.

LAOLA1: Marc Janko hat einmal gemeint, dass der Profi-Fußball eine Scheinwelt ist. Fällt es dir als bodenständigen und reflektierenden Typen leichter, das auszublenden?

Baumgartlinger: Welches Business hat nicht seine Scheinwelten? Da es unser Beruf ist, muss man damit leben, dass es eine Vermarktung gibt oder Medien, die alles ausschlachten wollen. Das ist auch legitim. So lange das Interesse so hoch ist, sind wir auch in der Position, dass wir einen tollen Beruf haben. Da gehört das dazu. So lange man sich zwischenzeitlich auch abgrenzen und immer noch Privatmensch sein kann, ist das völlig in Ordnung für mich.

LAOLA1: Inwiefern ist das in Deutschland extremer als in Österreich?

Baumgartlinger: Da das Land größer ist und der Fußball mehr Massen bewegt, ist es automatisch mehr, aber nicht unfassbar mehr. Da wäre zum Beispiel die USA noch einmal ein anderes Level.

LAOLA1: Die USA sind ein gutes Stichwort. Sandro Wagner hat genau den Vergleich mit den Verdienstmöglichkeiten in amerikanischen Ligen gebracht und wurde dafür heftig kritisiert. Aber ist dieser Vergleich nicht irgendwo zulässig? Denn wir wissen, welche Summen den Top-Stars in den US-Profiligen teilweise gezahlt werden. Ihr verdient natürlich super, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Aber ist er da missverstanden worden?

Baumgartlinger: Natürlich. Ein schwieriges Thema, wobei er viele Nuancen betont und sehr viel in Relation gesetzt hat. Ich finde, dass er das sehr gut gemacht hat. Aber natürlich darf man auch nicht vergessen, dass unsere Gesellschaft so viele Facetten und Bereiche hat, die vernachlässigt und von vielen vielleicht auch vergessen werden. Also ist es für einen Fußballer, der im Fokus steht und auch sehr polarisiert, schwierig, solche Aussagen zu tätigen. Ich weiß, was er gemeint hat und finde es auch gut, dass er seine Meinung kund tut, das heißt deswegen aber nicht, dass ich der Meinung bin, dass es richtig ist. Ich halte mich bei diesen Dingen immer ein wenig zurück, weil ich denke, da wird man nie auf einen grünen Zweig kommen. Denn die Meinungen gehen einfach sehr auseinander, und es haben ja auch nur wenige einen Blick in unser Geschäft. Es fängt ja alles schon an, bevor man professionell wird. Ich als Profi-Sportler weiß, dass man schon ab der Kindheit auf vieles verzichten muss.

"Die Neid-Debatte ist nicht nur im Fußball ein Thema. Man kann das durchaus übereinanderlegen mit Vorstands- und Manager-Gehältern oder Boni in der Wirtschaft. Im Prinzip ist das dasselbe."

Julian Baumgartlinger

LAOLA1: Wagner hat vermutlich die Neid-Debatte ein wenig unterschätzt.

Baumgartlinger: Die Neid-Debatte ist nicht nur im Fußball ein Thema. Man kann das durchaus übereinanderlegen mit Vorstands- und Manager-Gehältern oder Boni in der Wirtschaft. Im Prinzip ist das dasselbe. In einer Gesellschaft, in der sehr viel auf materielle Dinge wertgelegt wird und das ganz einfach ein Faktor ist, wird diese Neid-Debatte immer geführt werden. Da wird jeder, der solch eine Aussage macht und dabei auf der Sonnenseite des Lebens steht, kritisiert werden.

LAOLA1: Bei vielen hervorragenden Trainern heißt es, dass sie schon als Spieler wie Trainer gedacht haben. Gehörst du da dazu?

Baumgartlinger (schmunzelt): Weiß ich nicht! Denn meiner Meinung nach bin ich weder ein zukünftiger Trainer, noch kann ich das jetzt einschätzen. Ich habe bis jetzt viele Trainer kennengelernt und finde das immer wieder spannend, weil jeder anders ist. Jeder hat seine positiven und auch negativen Seiten. Als Spieler kann man dem viel abgewinnen und sich auch schon während der aktiven Karriere Gedanken machen. Aber ob ich das in eine eigene Trainer-Karriere transferiere, weiß ich noch nicht.

LAOLA1: In meinen Augen gibt es wenige Spieler, die so wie du vermitteln, dass sie taktisch alles, was auch über die eigene Position hinausgeht, interessiert. Ich orte sehr wohl das Trainer-Gen in dir. Spürst du es überhaupt nicht?

Baumgartlinger: Das hat mehr mit dem eigenen Beruf zu tun, mit der Auseinandersetzung mit meinem Sport, meiner Position, meinem eigenen Spiel, meiner eigenen Leistung. Ich bin ein sehr selbstkritischer Mensch. Das war schon immer so – egal ob beim Fußball, in der Schule oder sonstwo. Ich bin nach wie vor ein schlechter Verlierer, weil ich mir dann denke: Warum hast du es nicht besser gemacht? Im Fußball habe ich Gott sei Dank die Möglichkeit, dass ich mir Spielszenen – sei es mit Coaches oder zum Beispiel mit meinem Papa – noch einmal anschauen und mich darüber informieren kann. Ich kann mir auch vergleichsweise Weltklasse-Spieler auf meiner Position anschauen. Mittlerweile stehen mir so viele Medien zur Verfügung, dass ich sagen kann, ich brauche keinen Trainer dazu, um mich damit auseinanderzusetzen. Für mich ist das Teil meines Berufs. Deswegen sehe ich das nicht als Coaching-Gen.

LAOLA1: Die nächste Frage wäre gewesen, ob du aus Sicht eines Trainers ein Musterschüler bist. Die hast du gerade beantwortet, oder?

Baumgartlinger: Kann sein. In einem Mannschaftssport ist es wieder etwas anderes als in einem Einzelsport. Vielleicht habe ich das auch aus der Leichtathletik mitgebracht, wo ich als einzelner Athlet auf mein eigenes Training angewiesen war. Ich habe zwar in der Gruppe trainiert, aber im Endeffekt kommt es darauf an: Was tue ich für mich, damit ich der Schnellste, der Beste und der Ausdauerndste bin?


LAOLA1: Wenn du sagst, dass du dir Weltklassespieler auf deiner Position anschaust. Wer sind die Spieler, an denen man sich momentan am besten orientieren kann?

Baumgartlinger: Nehmen wir die Halbfinali in der Champions League und die Art und Weise, wie beispielsweise Atletico Madrid Fußball spielt. Sie gelten als Defensivbollwerk und werden als momentan am schwierigsten zu bespielende Mannschaft bezeichnet. Mir taugt es schon, zuzuschauen, wie Koke und Gabi verteidigen und zum Beispiel Arturo Vidal auf der anderen Seite dagegen spielt, was er macht, um solche Mannschaften auszuspielen. Bei Real Madrid spielen Toni Kroos und Luka Modric auf einer Halbposition und haben wieder eine ganz andere Philosophie, sie sind totale Ballbesitz- und Pass-Maschinen. Das ist etwas Besonderes. Man kann sich von jedem das eine oder andere abschauen und vergleichen: Habe ich in diese Richtung auch schon einmal etwas gemacht? Was kann ich nachholen? Was mache ich vielleicht sogar besser? Das ist ein dauernder Prozess. Man kann ja auch jeden Tag Fußballschauen, das ist ja das Angenehme momentan.

LAOLA1: Tust du das auch?

Baumgartlinger: Im Frühjahr gibt es irgendwann die Phase, wenn die Saison wirklich schon lange geht: Montag ist 2. Liga, Dienstag und Mittwoch Champions League, Donnerstag Europa League, Freitag 2.Liga/Bundesliga und am Wochenende Bundesliga – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich, weil mich das auch interessiert. Da merkt man dann: Jetzt reicht es irgendwann ein bisserl, ich habe eine Überdosis und brauche vielleicht einmal zwei Tage keinen Fußball. Aber im Mai, wenn es Richtung Ende geht und die entscheidenden Spiele kommen, suche ich mir die Zuckerl raus. Dann passt es auch wieder von der Dosis her.

"Da ich immer schon ein harmoniebedürftiger Mensch war, musste ich in meiner Karriere lernen, von mir aus auf Trainer, Mitspieler oder allgemein auf Personen zuzugehen, auch einmal etwas direkt anzusprechen und mich nicht hinten anzustellen, wenn mich etwas stört. Ich bin immer noch am Arbeiten."

Julian Baumgartlinger

LAOLA1: Es ist von außen schwer vorstellbar, dass du irgendeinen Stress mit einem Trainer haben kannst. Gibt es diese Momente trotzdem, und was muss da passieren?

Baumgartlinger: Da ich immer schon ein harmoniebedürftiger Mensch war, musste ich in meiner Karriere lernen, von mir aus auf Trainer, Mitspieler oder allgemein auf Personen zuzugehen, auch einmal etwas direkt anzusprechen und mich nicht hinten anzustellen, wenn mich etwas stört. Ich bin immer noch am Arbeiten. Es ist immer noch nicht so, dass mir das leicht fällt. Aber durch meine Position als Kapitän in Mainz mit einem Trainer, der sehr kommunikativ ist, hatte ich Gott sei Dank die Möglichkeit, das zu üben, immer wieder einmal auf ihn zuzugehen und zu sagen: „Das Gefühl von mir ist so und so, das war heute gut, das war nicht gut. Ich habe das Gefühl, in der Mannschaft passt irgendetwas nicht, oder es passt gerade sehr gut.“ Mittlerweile fällt es mir auf jeden Fall leichter als früher, diese Rückmeldungen zu geben. Aber ich bin noch nicht da, wo ich hin will (lacht).

LAOLA1: Wo willst du hin? Als Perfektionist zum „perfekten Kapitän“?

Baumgartlinger: Nein, das gar nicht, sondern da geht es eher um die persönliche Charaktereigenschaft, direkt, offen und ehrlich auf Leute zuzugehen und ihnen zu sagen, wenn etwas passt oder nicht passt – und das gar nicht nur auf den Fußball bezogen. Das jetzt auszuführen, führt zu weit. Der Fußball ist eben auch ein Geschäft oder Konkurrenzkampf. Es ist schwierig, direkt auf Kollegen zuzugehen und zu sagen, was einem taugt oder überhaupt nicht passt. In einem Mannschaftssport kann das aber entscheidend sein, dass man gut ankommt, aber vielleicht auch einmal aneckt und trotzdem als ehrlicher und authentischer Mensch gilt.

Das Gespräch führte Peter Altmann


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