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Salzburg-Coach Jaissle: Emotionales Taktikgenie

Salzburg so defensivstark wie nie! So brachte Jaissle "Bullen" auf neue Stufe:

Salzburg-Coach Jaissle: Emotionales Taktikgenie Foto: © GEPA

Unmittelbar nach Abpfiff brauchte Matthias Jaissle erstmal ein paar Minuten für sich.

Der Deutsche verschwand nach dem Achtelfinal-Einzug seines FC Salzburg direkt nach Spielende in den Katakomben der Red Bull Arena.

Erst mit etwas Verspätung schloss er sich seiner völlig ekstatischen Mannschaft beim Feiern am nun historischen Rasen in Wals-Siezenheim, auf dem am Mittwochabend der erstmalige Aufstieg eines österreichischen Klubs in die K.o.-Runde der Champions League realisiert wurde, an.

"Es war tatsächlich sehr emotional, ich habe zwei, drei Minuten für mich gebraucht, um das Ganze zu realisieren. Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, das ist ganz klar. Der Druck, den ich mir selbst aufgelegt habe, war spürbar. Deshalb war ich nach Schlusspiff überglücklich", sagt der sonst stets abgeklärt wirkende 33-Jährige auf der Pressekonferenz nach dem  Sieg über den FC Sevilla (Spielbericht>>>).

Jaissle meisterte Krise bravourös

Der selbstauferlegte Druck wurde für Jaissle zuletzt auch deshalb zu viel, weil seine junge Mannschaft in den letzten Wochen die Pracht-Form vom Saisonstart vermissen ließ. Während die Salzburger Schwächephase in der Bundesliga ob des großen Vorsprungs der "Bullen" in der Tabelle zu verschmerzen war, kostete sie den Mozartstädtern gleich zwei Mal den vorzeitigen Aufstieg ins Achtelfinale der Champions League.

Nach den vergebenen Matchbällen in Wolfsburg und Lille rechneten nur die wenigsten mit einem erfolgreichen Abschluss der Gruppenphase gegen das favorisierte Sevilla. Selbst ein komplettes Ausscheiden aus dem Europacup war plötzlich im Bereich des Möglichen.

Doch Jaissle ließ sich vom hohen Druck, der nicht nur intern auf ihn wirkte, sondern auch von außerhalb bereits zu spüren war, nicht verunsichern und stellte seine Mannschaft perfekt auf das andalusische Topteam ein. Nach einer ausgeglichenen ersten Hälfte mit wenigen Torchancen auf beiden Seiten traf Sevillas Munir per Kopf die Latte. Allerdings ließ sich die blutjunge Mozartstädter Truppe auch davon nicht verunsichern und schrieb nur wenig später selbst nach einem perfekt angetragenen Angriff durch Noah Okafor an.

Neuentdeckte defensive Stabilität dank Jaissle

In weiterer Folge stand die Salzburger Viererkette bombenfest, Sevilla schwächte sich mit einem Ausschluss von Joan Jordan nur wenige Minuten nach dem 1:0 selbst und konnte bis Schlusspfiff keine weitere ernstzunehmende Torchance kreieren. "Wir wussten, dass ein 0:0 fürs Weiterkommen reicht, deshalb haben wir schon gewusst, wie wichtig die Defensive und die Restverteidigung heute sein wird", erklärt Jaissle.

Salzburg beendete damit erstmals eine Champions-League-Partie ohne Gegentreffer. Außerdem wurde eine 27 Europacup-Partien andauernde Unserie, während derer niemals eine weiße Weste behalten werden konnte, beendet. Die "Bullen" erhielten diesmal über die gesamte Gruppenphase hinweg nur sechs Gegentore, nur die Torleute von Ajax Amsterdam, Real Madrid, Inter Mailand, der Bayern, von Lille und Chelsea mussten weniger oft als Philipp Köhn hinter sich greifen. Zum Vergleich: In der Saison 2020/21 setzte es für die Mozartstädter noch 17 Gegentore, ein Jahr davor immerhin 13.

Jaissle legte von Beginn der Sommer-Vorbereitung an viel Wert auf eine gefestigte Defensive, auch deshalb führte er die bereits von Marco Rose bekannte Raute als Salzburgs primäres Spielsystem wieder ein. In dieser Staffelung kommt den zentralen Mittelfeldspielern eine gewichtige Rolle in der Absicherung zu, bei den Vorstößen der Außenverteidiger nehmen die beiden Achter die vakante Position auf außen ein und verhindern so schnelle Gegenstöße der Gegner bei Ballverlust.

Salzburg so defensivstark wie seit Stevens nicht mehr

Für Jaissle ist das Faktum der ersten weißen Weste in der Salzburger Champions-League-Geschichte nicht nur eine statistische Randnotiz, sondern "natürlich eine coole Geschichte. Gerade in so einem entscheidenden Spiel, wo es wirklich um alles ging. Wir haben auch in der Liga gezeigt, dass wir sehr stabil stehen."

Tatsächlich hält der Serienmeister in der Bundesliga nach 18 Runden erst bei zwölf Gegentoren. Letztmals so niedrig zu diesem Zeitpunkt der Meisterschaft war die Anzahl der eingefangenen Treffer in der Saison 2010/11. Salzburgs damaliger Trainer: Defensivspezialist Huub Stevens.

(Text wird unterhalb des VIDEOS fortgesetzt)



Obwohl sich die Defensive in der Herbstsaison als absolutes Prunkstück der "Bullen" herauskristallisiert hat, spielt meist der spektakuläre Sturm rund um Karim Adeyemi und Noah Okafor die größte Rolle in der öffentlichen Diskussion. Dies ist ob der enormen Qualität und der tollen Torquote der beiden flinken Angreifer wenig verwunderlich. Wenn es nach Jaissle geht, müssen die Stürmer bei der Huldigung der Defensive aber ohnehin nicht ausgespart werden:

"Wir haben in allen Phasen eine richtig gute Partie gemacht, haben es als Mannschaft extrem gut wegverteidigt. Noah und Karim haben eine enorme Power in der Offensive, aber ich möchte auch hervorheben, wie die Stürmer heute gegen den Ball gearbeitet haben. Das war auch ein Schlüssel zum Erfolg, dass jeder auf dem Platz sich der Verantwortung bewusst war, alles zu investieren, um die Null zu halten. Das hat uns heute sicher ausgemacht."

Innenverteidiger-Misere kann Salzburg nichts anhaben

Wie gut die Jaisslesche Raute der Salzburger Defensivstabilität tut, zeigt auch der Umstand, dass es während des Herbstes in keinem anderen Mannschaftsteil so viele Ausfälle gab wie in der Defensive. Abwehrchef Max Wöber, Allrounder Bernardo, der langzeitverletzte Albert Vallci und Innenverteidigertalent Bryan Okoh stehen den "Bullen" momentan allesamt nicht zur Verfügung. Auch Oumar Solet und Kamil Piatkowski verpassten große Teile der ersten Saisonhälfte verletzungsbedingt.

Doch die enorme Fluktuation in der Salzburger Viererkette - oder besser gesagt in der Innenverteidigung, da Andreas Ulmer und Rasmus Kristensen auf außen ohnehin fast alle Spiele machen - sorgte in der Mozartstadt bisher weniger für Probleme als für neue Chancen. So bekam etwa der bereits völlig abgeschriebene Jerome Onguene, der es anfangs der Saison oftmals nicht einmal in den Kader schaffte, plötzlich doch wieder eine Möglichkeit sich zu beweisen - und lieferte eine Weltklasse-Partie nach der nächsten ab.

Freund: "Freut mich extrem für Jaissle"

In Salzburg weiß man längst, was man am erst 33-jährigen Jaissle und seinem enormen taktischen Talent hat. Nicht umsonst wurde der einstige Innenverteidiger innerhalb eines halben Jahres zunächst von der U18 zum FC Liefering und anschließend nach dem Abgang von Jesse Marsch in die Kampfmannschaft befördert. Als ziemlicher No Name wurde dem Deutschen im Sommer das Ruder beim österreichischen Ligakrösus ausgehändigt, ein Vertrag bis 2024 bestätigt das enorme Vertrauen der Verantwortlichen in den Rangnick-Schüler.

"Es freut mich extrem für ihn. Er ist 33 Jahre und ein herausragender Trainer und Mensch. Es macht extrem Spaß, mit ihm zu arbeiten. Ich erinnere mich noch, einige Stimmen im Sommer, als wir Matthias zum Trainer gemacht haben, waren extrem kritisch. Ich war total überzeugt und jetzt geht das so auf. Die tägliche Arbeit macht Spaß und er hat die Mannschaft im Griff", freut sich Sportdirektor Christoph Freund gegenüber "Sky", bei der Trainerauswahl einmal mehr ein goldenes Händchen bewiesen zu haben.

Der 44-Jährige musste seit seinem Amtsantritt als sportlicher Verantwortlicher der "Bullen" im Sommer 2015 mit Peter Zeidler erst einen Trainer entlassen, der Rest wurde von anderen, meist größeren Vereinen abgeworben. Allerdings gelang es Freund auch noch nie, einen Chefcoach länger als zwei Jahre beim Verein zu halten. Auch bei Jaissle könnte dieses Unterfangen ob des bisher Gezeigten ein eher schwieriges Unterfangen werden...

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